22.03.2022

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Denitsa Tuparova
ist seit 2017 Studentin im deutsch-französischen "International Management"-Programm der HWR in Zusammenarbeit mit der ESCE Paris. Ihren MA-Doppelabschluss in International Marketing & Entrepreneurship erlangt sie im Juli 2022, mit besonderer Spezialisierung in den Bereichen Cultural Heritage Management & Museum Marketing. Aktuell als Marketing Advisor & Gallery Assistant bei der BBA Contemporary Art Gallery Berlin tätig, beschäftigt sie sich aktiv mit der Optimierung des Erlebnisses der Kunstvermittlung. 
Einfluss der Digitalisierung auf die Entwicklung von Museen

Das Museum von morgen

Während die Bedeutung des Kulturangebotes von Städten angesichts der Globalisierung und des Tourismus-Wettbewerbs rasant an Bedeutung gewinnt, verlieren immer mehr Museen an Attraktivität. Insbesondere unsere digitalen Gewohnheiten stellen Museen vor neue Herausforderungen. Welche Rolle und Aufgaben das Museum von morgen daher übernehmen muss, habe ich im Umfang meiner BA-These an der HWR Berlin ermittelt.

Themenreihe Digitale Formate

Die Haupterkenntnis meiner Thesis: Der digitale Wandel stellt sowohl in seinen technischen als auch gesellschaftlichen Ausprägungen eine Chance für die Entwicklung von Museen dar: Interne Prozesse können optimiert werden, Daten und digitale Angebote können den Vermittlungsprozess verbessern, wobei nicht zuletzt ergänzende Online-Angebote neue Zugänge schaffen. Somit können und müssen digitale Formate genutzt werden, um das "Erlebnis Museum" zu erweitern, für breitere Gesellschaftsschichten zugänglich zu machen und in einen Ort des "Austausches" und "Vernetzens" umzuwandeln (Vgl. Abbildung 1). Es stellt sich jedoch die Frage, warum diese Möglichkeiten bisher nur zaghaft genutzt werden. Zu den von mir ermittelten, vier zentralen "Grenzen" der Digitalisierung gehören personelle und finanzielle Limitationen, technologische Herausforderungen und rechtliche Anforderungen.*  
 
Dabei basiert der aktualisierte Aufgabenkanon auf zentralen Erkenntnissen aus der aktuellen Fachliteratur, die eigenständig zu zentralen "Faktoren" zusammengefasst und neu-konzipiert wurden. Erste direkte Berührungspunkte mit dem "digitalen Museum" stellte ein im Umfang meines Marketingstudiums verfasster wissenschaftlichen Aufsatz zum "Marketing von kulturellen Institutionen" dar. Ich denke jedoch, dass ich mich bereits bei jedem meiner persönlichen Museumsbesuche mit der Frage beschäftigt habe, wie aus dem Besuch ein optimiertes Erlebnis gemacht werden kann - insbesondere dann, wenn die Hälfte meiner Begleiter:innen überfordert auf Wikipedia nach zusätzlichen Informationen zu den Kunstwerken suchten, während die andere Hälfte die ausgestellten Werke ihrer (wohlbemerkt subjektiven) Schönheit nach rankte.
 
 
Methodik und Vorgehen 
 
Um die theoretisch ermittelten Chancen und Grenzen empirisch zu bestätigen, habe ich im Rahmen meiner Thesis sechs Expert:inneninterviews mit Museumsleiter:innen -und Angestellten der digitalen Transformation geführt. Hierbei konnte der "aktualisierte Aufgabenkanon" nicht nur bestätigt, sondern auch ergänzt werden. 
 
Die Befunde des theoretischen Teils der Arbeit sowie die zentralen Expert:innenaussagen, die im Umfang der empirischen Untersuchung interpretiert wurden, dienen als Grundlage für die Konzeption eines Zukunftsausblicks in die "ideale" zukünftige Entwicklung und Gestaltung der Museumserfahrung. Ziel dieses Zukunftsausblicks ist es, wesentliche Erkenntnisse und Anforderungen an Museen zu erfassen und um daraus Ansätze für die praktische Umsetzung einer digitalen Strategie ableiten zu können. Unbestreitbar ist, dass die Relevanz und Aktualität der digitalen Transformation durch Kunstmuseen bereits erkannt wurde und aktiv behandelt wird, wie die Vielzahl an Tagungen, Leitfäden und wissenschaftlichen Werken verdeutlicht.[1] 
 
Der Leitfaden basiert strukturell auf den eigenständig konzipierten aktualisierten Aufgabenkanon von Kunstmuseen, der ebenso die Grundlage der Auswertung der Experteninterviews darstellte. Auf dieser Grundlage wird eine idealisierte Vision des "Museums 4.0" konzipiert und davon ausgehend Forderungen für eine erfolgreiche Transformation zusammengefasst. 
Aktualisierter Aufgabenkanon für Museen
 
Das ideale "Museum 4.0" verknüpft die Aufgabenbereiche des "Bewahrens", "Ausstellens" und "Vermittelns" durch die Nutzung digitaler Projektmanagement -und Kommunikationstools sowie durch die Nutzung online-basierter Speicherungseinheiten für Museumsdaten (vgl. Abbildung 2). Auf diese Weise wird nicht nur eine Effizienzsteigerung interner Betriebsprozesse geleistet, sondern darüber hinaus - durch die Integration von "Self-Ticketing"-Systemen, Barcodes etc. - die Besucher-Journey an die modernen Anforderungen der aktuellen und zukünftigen Generationen angepasst. 
 
Kunstmuseen sind in der Zukunft nicht mehr einseitige Sender von passiv aufzunehmenden Informationen. Vielmehr vermitteln sie ergänzende oder weiterführende Informationen der Ausstellungen zielgruppenorientiert und verständlich. In diesem Sinne greifen sie unter der Berücksichtigung der Datenschutzgesetzte auf Besucherdaten zu, um den Museumsrundgang an individuelle Bedürfnisse und Wissensstände anpassen zu können. Darüber hinaus nutzen sie digitale Medien - beispielsweise in Form von Videoprojektionen vor Ort, Podcast-Angeboten oder Kurzfilmen zur Vor -oder Nachbereitung des Museumsganges - um einen Kontext für das Verständnis der Kunstwerke und ihrer Hintergründe zu schaffen und somit für alle Besuchergruppen einen Zugang zur Kunst zu ermöglichen.
 
Das Museum der Zukunft vereint die Aufgabenbereiche des "Bewahrens", "Forschens" und "Ausstellens", indem es sowohl seine Sammlungen als auch seine ergänzenden Vermittlungsangebote digital zur Verfügung stellt. Auf diese Weise wird Kunst für Forschungszwecke zugänglich gemacht und digitale Formate der Kunstvermittlung werden unabhängig von räumlichen und zeitlichen Einschränkungen genutzt, um die Auseinandersetzung mit Kunst in den Alltag der Besucher und Nutzer zu integrieren und somit die Relevanz des Museums als gesellschaftliche Institution zu stärken.
 
Zusätzlich zu den bisher anerkannten fünf Pfeilern der Tätigkeitsfelder von Museen, erkennt das Museum 4.0 auch seine Funktion als Freizeitort bzw. Akteur der Unterhaltungsbranche an. Es nutzt digitale Medien sowohl vor Ort als auch online, um den Museumsbesuch vor Ort und die Auseinandersetzung mit Kunst im Alltag erlebnisorientiert zu unterbreiten und damit einer Funktion außerhalb von bildungs -und erziehungsbegründeten Motiven zu entsprechen. Das Museum erweitert damit seine Aufgabenbereiche um "Unterhalten" und Vernetzen".
 
 
Neu-Konzeption der musealen Angebote
 
Als Ausgangspunkt für die Neu-Konzeption des Museumsangebotes in der Zukunft erkennt das Museum 4.0 seine gesellschaftliche Relevanz an und positioniert sich bewusst in der Gesellschaft als Ort des Zusammentreffens und Vereinens unterschiedlicher Gesellschaftsschichten. Zu diesem Zweck nutzt es zum einen digitale Medien, um den jeweiligen Kenntnissen und Interessen der Gesellschaftsgruppen entsprechen zu können, und bezieht sich darüber hinaus in seinen Ausstellungen auf Themen, die zum Diskurs anregen und aktiv zu der Gestaltung von gesellschaftlichen Strömungen beitragen. 
 
Um das Museums 4.0 erfolgreich neu zu konzipieren, müssen finanziellen und personellen Ressourcen ausgeweitet werden. Dazu müssen Förderprogramme der Digitalisierung in Kunstmuseen nicht nur ermöglicht, sondern weitläufig kommuniziert werden, und anstelle von punktuellen Projekten vielmehr auf eine grundlegende und langfristige digitale Transformation des Kulturbetriebes abzielen. Dafür muss die neue gesellschaftliche Relevanz von Museen auf Staatsebene diskutiert und anerkannt werden. Darüber hinaus müssen die transformierten Anforderungen an ein technisch-geschultes und pädagogisch gelehrtes Museumspersonal nicht nur einheitlich durch die Kulturbetriebe festgelegt werden, sondern auch durch die Einführung entsprechender Ausbildungen und Studiengänge institutionell verankert werden. Auf dem Weg zum Museum der Zukunft braucht es zudem einen allgemeingültigen Leitfaden, um eine digitale Strategie von Kunstmuseen und Kulturbetrieben jeglicher Größe, Struktur und Funktion zu konzipieren. Dabei müssen rechtliche Fragen von vornerein berücksichtig werden, die durch die Nutzung digitaler Medien aufkommen. 
 
"Das Museum von morgen" braucht eine neue, allgemeingültige Definition des "Museums" sowie seiner zentralen Aufgaben. Dies bildet die Grundlage der digitalen Transformation bzw. der Etablierung einer digitalen Strategie durch die Kunstmuseen. Darüber hinaus ist auch ein struktureller Überblick über die vielfältigen Implikationen des Begriffs "Digitalisierung" im Kontext der Kunstvermittlung notwendig. So basieren die Erkenntnisse meiner Thesis auf der Grundannahme, dass digitale Transformation "zu einer Querschnittsaufgabe geworden (ist), die das ganze Betriebssystem Museum in all seinen Bereichen beeinflusst und verändert."[2]  Im Idealfall dient dieser Vorschlag als Ansatz, um einen Diskurs zu diesem Thema anzuregen. Auch der aktualisierte Aufgabenkatalog kann als Grundlage für die Erarbeitung der zukünftigen Rolle von Museen dienen. Eine allgemeingültige und valide Definition des "Museums 4.0" kann und muss jedoch ausschließlich auf Bundesebene oder sogar auf internationaler Ebene erfolgen.
 
Vertreter:innen und Leiter:innen von Museen, die sich auf diesem Themengebiet eigenständig weiterbilden und aktiv die digitale Transformation ihres Betriebs in die Hand nehmen möchten, finden dazu auf der Website des Verbundprojektes museum4punkt0 Inspiration, Erfahrungsberichte und Guidelines. Bereits die Gestaltung der Startseite des Verbundprojektes bietet eine visuell äußerst anschauliche und beinahe greifbare Vision darüber, wie das "Museum 4.0" gestaltet sein könnte. Dabei wird auf dem ersten Blick deutlich, dass das Museum zu einem Ort des Vernetzens werden kann und soll - gerade dank der Nutzung der Möglichkeiten, die die Digitalisierung mitführt. 
 
Fazit
 
Der aktualisierte Aufgabenkanon führt eine neue, prägende Relevanz des Museums als gesellschaftliche Institution mit sich. Nach dieser dient die Kunst als einheitliche Sprache, um Diskurs zu schaffen. Die Schwierigkeiten, die hierbei insbesondere "kleine" museale Institutionen herausfordern, können nur mittels langfristig angelegter staatlicher Subventionsprojekte gemeistert werden. Als Ausgangspunkt hierfür muss in einem ersten Schritt allerdings eine aktualisierte Definition des Museums und seiner Aufgaben vorgenommen werden. Auf Basis dieser kann und muss Museen ein möglichst allgemeingültiger und anpassbarer Leitfaden für die Konzeption einer Digitalen Strategie zur Verfügung gestellt werden. Denn in der Bilanz sehen die Expert:innen die Digitalisierung eindeutig als Chance für die zukünftige Entwicklung von Museen und betonen ihre Funktion als Bindeglied der Gesellschaft. Wichtig ist der Konsens darüber, dass digitale Vermittlungskonzepte den analogen Museumsgang in keinem Fall ersetzen werden, sondern eine wertvolle Ergänzung für die Anpassung der Museumsaufgaben im Sinne der wandelnden Anforderungen der Gesellschaft darstellt. So lässt sich schlussfolgern, dass die Digitalisierung die Antwort auf diese Herausforderungen liefern kann, sofern sie reflektiert und im Kontext der jeweiligen Funktion und Relevanz des Museums eingesetzt wird.
 
*Die gesamte Erarbeitung inklusive Literaturverweise und Expert:inneninterviews ist im hier beigefügten vollständigen PDF meiner BA nachzulesen. Bei Fragen oder Anmerkungen stehe ich Ihnen unter denitsatuparova[at]gmail.com gerne zur Verfügung! 
 
Fußnoten
 
[1] Vgl. Pöllmann, Lorenz und Herrmann, Clara (Hrsg.) (2019); Gries, Christian (2019); Becker, Jörg (2013); Bast, Gerald (2018); Maaz, Bernhard (2020); ICOM Deutschland; Deutscher Museumsbund e.V., Stiftung Preußischer Kulturbesitz usw. 
[2] Köhne, Eckhart (2019), S. 1.

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