27.02.2011

Autor*in

Monika Seiffert
Gregor Seiffert
Kulturpolitisches Partizipationsinstrument

Der Bürgerhaushalt - eine neue Form der demokratischen Partizipation setzt sich durch

Der Wille zur stärkeren Einbindung der Bürger (1) in politische Entscheidungen erscheint gegenwärtig das politische Klima in der Bundesrepublik und in Europa zu verändern. Insbesondere im kommunalen Bereich fordern weite Teile der Bevölkerung Mitsprache- und Gestaltungsrechte. Ein Bürgerhaushalt, oder besser Bürgerbeteiligungshaushalt, bietet sich hierzu an. Es ist das erfolgreichste Partizipationsinstrument der letzten 20 Jahre.
Entstanden in Brasilien und Neuseeland (2), fand diese Form der Bürgerbeteiligung in den letzten Jahren in ganz Europa Verbreitung. In Deutschland haben bereits mehr als 65 Städte und Gemeinden ein Beteiligungsverfahren zum kommunalen Haushalt eingeführt.(3) So unter anderem Bonn, Potsdam, Cottbus, Köln und Leipzig. In Thüringen wirken u.a. die Bürger von Erfurt, Jena, Weimar, Suhl und der Gemeinde Westhausen an der Aufstellung des Kommunalhaushalts mit. Insgesamt gibt es Deutschlandweit 140 Kommunen, in denen sich ein Bürgerhaushalt zumindest in der Diskussion befindet.(4) Der interessierte Leser fragt nun: Was ist ein Bürgerhaushalt? Welche Formen gibt es und welche Wirkungen entfalten diese? Auch die einschlägige Literatur gibt hierauf kaum eindeutige Antworten. "Politisch ist der empirische Gehalt des Begriffs umstritten, da sich ganz unterschiedliche Formen der Beteiligung dahinter verbergen, die die () exponentielle Ausbreitung () erst ermöglichten."(5) Grundsätzlich haben die beteiligten Bürger die Möglichkeit mindestens über Teile der frei verwendbaren Haushaltsmittel mitzubestimmen sowie Sparvorschläge zu unterbreiten. Die Erhöhung der Transparenz des Haushaltes, seiner Prozesse sowie die Stärkung des Dialogs zwischen den Bürgern, den Parteien und der Verwaltung und die Einbringung von Bürgeranregungen in den Haushalt sind Kernziele dieses Partizipationsinstruments. Da es sich um einen deliberativen Prozess handelt, d.h. beratschlagenden Charakter hat, sind die gewählten Volksvertreter nicht an die Wünsche und Empfehlungen des Bürgerhaushaltes gebunden. Das Etatrecht liegt weiterhin beim repräsentativ gewählten Stadtrat. Die oft als direktdemokratisches Partizipationsinstrument bezeichnete Prozedur ist von ihrer Anlage her vielmehr ein indirektdemokratisches Verfahren, in der die Bürger um Rat gefragt, also konsultiert werden. Die Ergebnisse einer solchen Konsultation bzw. Befragung fließen i.d.R. als ergänzendes Beratungsmaterial in die politischen Beratungs- und Entscheidungsprozesse ein.(6) Trotz alledem stellt "der Bürgerhaushalt eine neue Qualität der Beteiligung dar, die insbesondere durch die Rechenschaftslegung über den Umgang mit den Vorschlägen der Bürger erreicht wird".(7) Es ist Kleger und Franzke (8) zu folgen, die in ihrer Analyse des Potsdamer Bürgerhaushaltes die Kriterien von Herzberg, Röcke und Sintomer (9) übernehmen, um einen Bürgerhaushalt zu definieren und von anderen kommunalen Partizipationsmöglichkeiten abzugrenzen.
 
· Demnach müssen erstens finanzielle Angelegenheiten im Zentrum des Bürgerhaushalts stehen.
 
· Zweitens findet die Beteiligung auf der Ebene der Gesamtstadt oder auf der eines Bezirks mit eigenen politischen und administrativen Kompetenzen statt. Ein Stadtteilfonds allein, ohne Partizipation auf der gesamtstädtischen bzw. bezirklichen Ebene, stellt keinen Bürgerhaushalt dar.
 
· Drittens handelt es sich um ein auf Dauer angelegtes und wiederholtes Verfahren. Ein einmaliges Referendum zu haushaltspolitischen Fragen ist kein Bürgerhaushalt.
 
· Der Prozess beruht viertens auf einem eigenständigen Diskussionsprozess. Die Miteinbeziehung von Bürgern in bestehende Verwaltungsgremien oder Institutionen der repräsentativen Demokratie stellt noch keinen Bürgerhaushalt dar.
 
· Die Organisatoren müssen fünftens Rechenschaft in Bezug darauf ablegen, inwieweit die im Verfahren geäußerten Vorschläge aufgegriffen und umgesetzt werden.
 
Im Rahmen einer solchen Definition konstatieren Kleger und Franzke sechs Idealtypen der Bürgerbeteiligung am kommunalen Haushalt.(10) Diese Reinmodelle kommen in der Realität selten vor und sollen an dieser Stelle nicht eingehender diskutiert werden. Ein best practice Ansatz ist in der Vielzahl der Mischformen noch nicht erkennbar. Allerdings zeigt eine durch die Heinrich-Böll-Stiftung beauftragte Studie zu den Bürgerhaushalten in Ostdeutschland, dass erfolgreiche Beteiligungsverfahren auf einer breiten politischen sowie administrativen Akzeptanz basieren und durch personelle Ressourcen in den Verwaltungen getragen werden.(11) Zudem ist es wichtig, die Bevölkerung von Beginn an in die Planungen einzubeziehen bzw. sie über diese zu informieren. Essentiell ist hier eine wirksame Werbungs- und Öffentlichkeitsarbeit.
 
In diesem Zusammenhang haben sich eine Vernetzung der Kommunen sowie Foren zum Austausch von Erfahrungen bewährt.(12) Ein erfolgreiches Beispiel hierfür stellt das Bürgerhaushaltsnetzwerk in Thüringen dar. Weiterhin hat sich der Einbezug einer externen unabhängigen Begleitung der Prozesse als positiv erwiesen. Die Moderation von Veranstaltungen sowie die Erstellung und Auswertung von Fragebögen können durch externe Partner oft professioneller und wissenschaftlich fundierter durchgeführt werden.(13) Ebenso wird die Akzeptanz der Erhebungsergebnisse erhöht.
 
Die Bürgerhaushalte in Deutschland können alle auf einen dreistufigen Ablauf zurückgeführt werden. In einem ersten Schritt informiert die Kommune den Bürger über den Haushalt und die geplante Vorgehensweise bei der Durchführung des Bürgerhaushaltes. Phase zwei ist die eigentliche Konsultation der Meinungen und Ideen der Bürger. In der Rechenschaftsphase, dem dritten Schritt, informieren die repräsentativ gewählten Organe über die Annahme oder ggf. Ablehnung der Vorschläge.(14) Folgt man dieser Grundkonzeption und den Idealtypen Franzkes und Klegers ergibt sich beispielsweise für die Bürgerhaushalte der Städte Jena und Weimar eine Kombination des Porto Alegre Modells sowie der sog. Bürgernahen Partizipation. Solche Modelle sind sonst vor allem auf der iberischen Halbinsel und in Italien verbreitet. So stimmen die beteiligten Bürger direkt über Investitionen und Projekte ab, diese werden in der Regel hierarchisiert und der Einfluss der Zivilgesellschaft auf die politische Entscheidung ist als relativ hoch einzuschätzen.
 
Andere deutsche Städte, wie der Berliner Stadtteil Lichtenberg betreiben eine Mischung aus dem Modell der Bürgernahen Partizipation sowie der Konsultation öffentlicher Finanzen.(15) Hierbei sind die generelle Finanzsituation, einzelne Dienstleistungen und der Haushaltausgleich Gegenstand der Diskussion. Diese Modalität kommt ohne eine Hierarchisierung der Diskussionsgegenstände aus und der Einfluss der Zivilgesellschaft ist deutlich niedriger.
 
Generell sind "die Effekte des Bürgerhaushalts nur schwer zu verallgemeinern. Zum einen hängen sie von dem jeweiligen Modell ab, zum anderen spielen der lokale Kontext und der Wille der politisch Verantwortlichen eine wichtige Rolle."(16) In Städten und Gemeinden, in denen der Bürgerhaushalt durch eine gute Medienarbeit begleitet wird, hat sich das Wissen der Bürger über die kommunalen Finanzen verbessert. Dennoch wird das Ziel nach mehr Transparenz der kommunalen Budgets nur bedingt erfüllt. Die beteiligten Bürger verfügen in der Regel nicht über ausreichend Sachkenntnis, um die Finanzen der Städte tatsächlich zu kontrollieren.(17) Weiterhin haben Studien keine Belege dafür erbracht, dass mit dem Bürgerhaushalt auch die Wahlbeteiligung zunimmt.(18)
 
Unabhängig vom Modell bzw. der Modellkombination ist dennoch der Stellenwert, welchen die im Bürgerhaushalt behandelten Themen haben. Diese können von der Kinder- und Jugendarbeit über Straßensanierungsanliegen bis zu Forderungen bezüglich des Umgangs mit der Kulturförderung oder der Schuldentilgung reichen und sind von den durch die Bürger eingereichten Vorschlägen abhängig. Es macht nur Sinn den Bürger für ein solch komplexes Verfahren zu mobilisieren, wenn die zentralen Fragen der lokalen Haushaltspolitik angesprochen werden.(19)
 
DIE AUTOREN
 
Diplom-Betriebsw.(FH) Monika Seiffert, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachhochschule Jena, wissenschaftliche Betreuung und Auswertung des Bürgerhaushaltes der Stadt Jena von 2008 bis 2010 sowie des ersten Bürgerhaushaltes der Stadt Weimar im Jahr 2010.
 
Gregor Seiffert, Student der Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Psychologie an der Friedrich- Schiller-Universität Jena, studentische Hilfskraft an der Fachhochschule Jena, Unterstützung der wissenschaftlichen Betreuung und Auswertung des Bürgerhaushaltes der Stadt Jena von 2008 bis 2010 sowie des ersten Bürgerhaushaltes der Stadt Weimar im Jahr 2010.
 
ANMERKUNGEN
 
(1) In dieser Publikation wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form von Funktionsbezeichnungen genutzt, diese steht zugleich immer auch für die entsprechende weibliche Form.
 
(2) Der erste Bürgerhaushalt (Orcamento participativo) wurde 1989 in Porto Alegre (Brasilien) durchgeführt. Die neuseeländische Stadt Christchurch bekam 1993 den internationalen Preis der Bertelsmann Stiftung für Demokratie und Effizienz.
 
(3) Märker, Oliver / Rieck, Sophia, Bürgerhaushalte in Deutschland. Statusbericht Stand 01.03.2010, S.2f
 
 
(4) Ebenda
 
(5) Vgl. Bürgerhaushalte in Ostdeutschland. Entwicklungsperspektiven und Handlungsempfehlungen, Eine Studie zu Bürgerhaushalten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von Orbit (Organisationsberatungsinstitut Thüringen), Erfurt 2010, S.4
 
(6) Märker, Oliver, Ergebnisse der Bürgervoten ignoriert? http://www.buergerhaushalt.org/kommunen/jena-ergebnisse-der-buergervoten-ignoriert/ am 01.02.2012
 
(7) Vgl. Herzberg, Carsten / Röcke, Anja / Sintomer, Yves, Was ist ein Bürgerhaushalt, http://www.buergerhaushalt.org/grundlagen/was-ist-ein-buergerhaushalt/ am 02.12.2010
 
(8) Franzke, Jochen / Kleger, Heinz (Hrsg.), Kommunaler Bürgerhaushalt in Theorie und Praxis am Beispiel Potsdam. Theoretische Reflektionen, zusammenfassende Thesen und Dokumentation eines begleitenden Projektseminars, Potsdam 2006, S.192f
 
(9) Vgl. Herzberg, Carsten / Röcke, Anja / Sintomer, Yves, Was ist ein Bürgerhaushalt, http://www.buergerhaushalt.org/grundlagen/was-ist-ein-buergerhaushalt/ am 02.12.2010 oder Herzberg, Carsten / Röcke, Anja / Sintomer, Yves, Der Bürgerhaushalt in Europa eine realistische Utopie? Zwischen partizipativer Demokratie, Verwaltungsmodernisierung und sozialer Gerechtigkeit, Wiesbaden 2010
 
(10) Franzke, Jochen / Kleger, Heinz (Hrsg.), S.193ff
 
(11) Bürgerhaushalte in Ostdeutschland, S.24f
 
(12) Wichtigstes Forum ist die durch die Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Internetplattform: http://www.buergerhaushalt.org
 
(13) So wird die wissenschaftliche Betreuung und Auswertung der Bürgerhaushalte der Städte Jena und Weimar durch die Fachhochschule Jena gewährleistet.
 
(14) Bürgerhaushalte in Ostdeutschland, S.4f.
 
(15) Ähnliche Modelle weisen auch Rheinstetten, Hilden und Emsdetten auf, vgl. Franzke, Jochen / Kleger, Heinz (Hrsg.), S.203f.
 
(16) Vgl. Franzke, Jochen / Kleger, Heinz (Hrsg.), S.198.
 
(17) Ebenda, S.200
 
(18) Ebenda
 
(19) Ebenda, S.201
 

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