27.06.2008

Autor*in

Michael Srba
Fortschrittsglaube

Riga, wo die Kultur lebte. Und noch lebt!

Lettland besitzt etwas, was offenbar in einigen mitteleuropäischen Ländern abhanden gekommen ist - einen Fortschrittsglauben, der sich maßgeblich neben dem Wirtschaftsboom durch die Kultur äußert. Das Beispiel Riga könnte uns lehren, wie man zu neuem Selbstbewusstsein gelangt. Vielleicht starten wir einfach, meint unser Osteuropakorrespondent Michael Srba, so wie die Letten mit der Einsicht in den Wert unseres kulturellen Erbes und dem Willen, es am Leben zu erhalten.
Wenn man an europäische Musikzentren denkt, ist man geradezu klischeehaft schnell bei Wien mit seinen Philharmonikern oder der Staatsoper, an Paris mit der Opera de la Bastille, Mailand mit seiner Scala, Berlin mit den Philharmonikern oder Amsterdams Concertgebouw. Doch innerhalb Europas haben wir eine kleine Nation an der baltischen Küste, die eine Vielzahl berühmter Musiker hervorgebracht hat, deren Namen freilich nicht immer eindeutig auf ihre Herkunft schließen lässt. Häufig liegen wir unglücklicherweise daneben und halten sie für Russen. Sicher, rein formal waren Künstler wie Gidon Kremer, Mischa Maisky, Mikhail Baryshnikov, Sergei Eisenstein, Mariss Jansons, Baiba Skride oder El'na Garanda, um nur einige zu nennen, einige Jahre sowjetische Staatsbürger, bevor sie jetzt den lettischen Nationalstolz mehren.

Statistisch gesehen ist Lettland kein Land, was mit seinen etwas über 2 Millionen Einwohner besonders sichtbar wäre. Der Anteil der Menschen, die im Kulturbetrieb arbeiten, unterscheidet sich kaum von dem anderer europäischer Länder. Nichtsdestotrotz ist die Zahl erfolgreicher und weltberühmter Künstler erstaunlich.

Betrachtet man das lettische Beispiel, sollte die Geschichte die Antwort auf dieses Phänomen geben. Die Unterdrückung unter kommunistischer Herrschaft während der Sowjetzeit hat zweifellos einen wichtigen, ausschlaggebenden Faktor gespielt; ob eine Nation kulturell reicher als die andere ist, wird ein nie endender Streit sein, aber ein Land, das eine Minderheit innerhalb einer größeren Gruppe prägt gerade im Fall einer Unterdrückung kann eine große Motivation hervorrufen, seinen Nationalstolz maßgeblich durch Kultur zu pflegen. Das sowjetische System hat einerseits so eine Situation geschaffen, gepaart mit einem gut organisierten Bildungssystem. Die Sowjetunion hat längst aufgehört zu existieren, geblieben ist aber die Tradition einer fundierten musikalischen Bildung nach der Unabhängigkeit Lettlands im Jahr 1991.

Wenn Kulturmanager in meiner Heimat Slowakei zusammentreffen, ist die häufig geäußerte Beschwerde "Es gibt kein Geld für die Kultur oder "Wir sind ein zu kleines Land für ausreichende Kulturförderung bis hin zur Klage über zu viel Bürokratie. Es gibt so etwas auch in einigermaßen wohlhabenden Ländern Mitteleuropas. Daher ist es sogar noch interessanter, die kulturellen Trends in Riga zu analysieren und zu bewerten. Sie sind unter den kleinen EU-Staaten recht einzigartig und, soweit es Kulturmanagement betrifft, ein interessanter Lackmustest, wie Kultur gedeihen kann, gerade mit der kleinen Zahl von Einwohnern als Voraussetzung effektiven Managements. Sie, die Letten, haben es geschafft, eine Qualität im globalen Wettbewerb zu erreichen, wie es die sicher noch unvollständige Liste an berühmten Persönlichkeiten oben bereits eindrucksvoll belegen kann. In dieser Zeit sehen wir um uns herum vor allem eine Stimmung des Niedergangs; wo Konzerthallen trotz wachsendem Bruttosozialprodukt weniger vom Publikum besucht werden, wo die Kunst mehr und mehr marginalisiert wird durch Budgetgrenzen oder mangelndem gesellschaftlichen Interesse, wie auch die Kultur manchmal nicht mehr weiß, wie sie sich selbst verkaufen soll. Riga könnten uns vielleicht lehren, was Konzerthäuser oder Museen wieder etwas erfolgreicher werden lässt. Vielleicht starten wir einfach, so wie die Letten, mit der Einsicht in den Wert unseres kulturellen Erbes und dem Willen, es am Leben zu erhalten. Selbst wenn nicht alle von uns die gleichen historischen Erfahrungen besitzen da gibt es ganz gewiss eine Lektion zu lernen


MICHAEL SRBA Dirigent, Managementberater und Publizist, wurde in Prag geboren, lebte aber viele Jahre in den Niederlanden, wo er Musik und Linguistik studierte. Seit seinem Ortswechsel in die Slowakei beschäftigte er sich verstärkt mit der Situation der Orchester sowie allgemein von Kultureinrichtungen in diesem Land. Folgerichtig gründete er im Januar 2007 eine Beratungsfirma, die Managern an Musikschulen, von Ensembles und Orchestern hilft, effizienter zu werden. Besonders Augenmerk richtet er sich auf die Förderung und Pflege Alter Musik und historischer Aufführungspraxis. Seit Mai 2008 ist er Osteuropakorrespondent für Kulturmanagement Network.
 

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