27.07.2012

Autor*in

Dirk Heinze
Kommentar

Debattenkultur. Der Ton macht die Musik

"Lass uns reden!", heißt das Schwerpunktthema im KM Magazin des Monats Juli. Lasst uns reden, war offenkundig auch das Bedürfnis der Autoren des Buchs "Der Kulturinfarkt", das seither für eine intensive Debatte weit über das Feuilleton hinaus gesorgt hat.
Alles begann mit einem Paukenschlag: der SPIEGEL veröffentlichte in seiner Ausgabe 11/2012 einen Beitrag der 4 Autoren just eine Woche vor Erscheinen des bei Knaus verlegten Buchs "Der Kulturinfarkt". Auch wenn sich das Titelfoto des Nachrichtenmagazins nicht auf diesen Artikel bezog, passten die auf das Herz bezogenen neuen Therapien gegen den Infarkt perfekt. Die Veröffentlichung sorgte im Anschluss für mindestens zwei recht seltene Phänomene: erstens verkaufte sich ein Buch zu einem kulturpolitischen Thema so gut wie noch nie, und zweitens beherrschte die polemische Schrift es wochenlang, fast monatelang die Gazetten. Dabei gingen - endlich, möchte man rufen - nicht nur Kulturredakteure auf die Thesen von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz ein. Gerade an dem Tag, an dem ich mich mit den Autoren zum Interview in Stuttgart traf, titelte das Handelsblatt mit dem Thema und widmete sich ausführlich der Frage, wie viel Subvention und wieviel Markt der Kultursektor benötige.
 
Die Resonanz in der Wirtschaftspresse war allerdings weitaus gemäßigter als im Feuilleton. Viel zu viele fühlten sich von der These "Von Allem zu viel und überall das Gleiche" provoziert. Vor allem der Angriff auf die dichte Kulturlandschaft sowie die Forderung auf mehr Markt wurde von den meisten Kommentatoren als falsch angesehen. So schrieb Rolf-Peter Carl, 1991-2006 Leiter der Kulturabteilung im Kultusministerium Schleswig-Holstein, am 18.4. "Nahezu jede Kommune verfügt zumindest über eine öffentliche Bibliothek, eine Musikschule und eine Volkshochschule (oder deren Zweigstelle). Das ist gut so, und davon kann es gar nicht zu viel geben." Inwieweit und wem diese Kultur- und Bildungseinrichtungen genutzt werden, fragt Carl nicht. Er bestritt sogar, dass der Kultur viele Ziele jenseits der reinen Kunstausübung zugesprochen werden - von Stadtentwicklung über Integration bis hin zur Wirtschaftsförderung.
 
Inzwischen wird die Debatte weitaus offener, auch nüchterner geführt. Dazu beigetragen haben nicht nur Klarstellungen der Urheber einerseits oder die Beschäftigung mit dem Buch durch den geneigten Leser andererseits. Die Zahl der Podiumsdiskussionen und Beiträge in der Fachwelt waren enorm. Die Kulturpolitische Gesellschaft richtete eigens einen Blog ein, in dem sich inzwischen 10 Artikel inklusive Kommentare befinden, darunter der bereits erwähnte von Rolf-Peter Carl. Da ist die Grundsatzprogramm-Diskussion, die parallel dazu geführt und sicherlich auch auf Aspekte der Kulturinfarkt-Thesen reagiert, noch nicht mit berücksichtigt. So weist in einem Interview Oliver Scheytt, der Präsident der KuPoGe, zwar darauf hin, dass die vier Autoren "die Diskussionen und Fortschritte in Kulturpolitik und -praxis der letzten anderthalb Jahrzehnte einfach übergehen und sich selbst mit ihren Thesen in Frontstellung zu 'der Kulturpolitik« sehen". Dennoch sieht er in den Verfassern der Streitschrift "kluge Autoren und Redner" und hebt ihre Verdienste hervor. Das Buch hätte, so Scheytt, das "Potenzial zu neuem Denken deutlich werden lassen". Im gleichen Beitrag erwähnt Norbert Sievers die Ideen Alfons Spielhoffs Anfang der 70er Jahre zur Umwandlung der Dortmunder Oper in "ein bürgernahes City-Kulturzentrum". Ähnliches empfehlen auch Kulturberater heute - und scheitern mitunter am Widerstand der Politik vor Ort. Die partizipativen Ansätze, die landauf, landab mehr und mehr die kulturpolitischen Debatten durchziehen, sind noch keine Garantie dafür, dass daraus tatsächlich Maßnahmen umgesetzt werden.
 
"Lasst uns reden" sollte dennoch der Ansatz sein, um Veränderungsprozesse nicht von oben - womöglich allein von der Stadtkämmerei oder Haushaltspolitikern - anzustoßen. Die Akteure in den Kultureinrichtungen sind ebenso einzubeziehen wie die gesellschaftlichen Gruppen und externe Fachleute. Allerdings macht der Ton die Musik, sprich die Debattenkultur hängt von guter Moderation und der Fähigkeit der Beteiligten ab, sich in die Lage und Interessen des Anderen hineinzuversetzen. Empfehlungen dazu, wie das gelingen kann, geben die Autoren des Schwerpunktthemas im aktuellen KM Magazin. Denn schließlich wollen selbst die Autoren des Buchs "Der Kulturinfarkt" nicht die selbsterfüllende Prophezeihung, sondern Debatten und letztlich Lösungen für Veränderungen im Kulturbetrieb.
 
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