13.05.2009

Autor*in

Dirk Heinze
Rückblick 1. Thüringer Kulturkonferenz

Welche Werte schafft eigentlich Thüringens Kultur?

Auf der symbolträchtigen Wartburg fand am 17. März Thüringens erste Kulturkonferenz statt. Veranstalter war die Kulturinitiative Thüringen (KIT), die bereits 2008 mit einem flächendeckend organisierten Kulturtag von sich reden machte.
Dirk Heinze erlebte eine eintägige Konferenz, die Antworten auf Zukunftsfragen für ein Bundesland suchte, das wie kein anderes in Deutschland von der Kultur lebt und umso mehr die Kulturadministration ihre Schwierigkeiten damit hat, mit dieser Verantwortung umzugehen. Ein Beitrag von Dirk Heinze, Chefredakteur Kultur schafft Werte, lautete das Motto der ersten Kulturkonferenz, die am 18. März 2009 auf der Wartburg in Eisenach stattfand. Eingeladen hatte die Kulturinitiative Thüringen (KIT), eine von engagierten "Kulturbürgern" ins Leben gerufener Dachverband, der sich überraschend schnell als Anwalt der Kulturschaffenden im Freistaat hat profilieren können. Inzwischen allerdings, so erfährt man unter vorgehaltener Hand, wird das Engagement der KIT bei manchen selbsternannten Kulturlobbyisten und bei Regierungsvertretern zunehmend mit Argwohn betrachtet. Es bleibt abzuwarten, ob aus diesen versteckt ausgetragenen Grabenkämpfen die Kulturlandschaft Thüringens als Sieger oder Verlierer hervorgeht.
 
Den Wunsch nach einer Konferenz wurde bereits im Herbst 2007 von einigen Kulturverbänden formuliert - gut Ding will bekanntlich Weile haben. Rund 100 Teilnehmer erlebten nun im Wappensaal der über Thüringens Dächer thronenden Wartburg ein freundliches, wenn auch diskursives Zusammentreffen wichtiger Akteure des künstlerisch-kulturellen Lebens im Freistaat. Raum für gemeinsame Debatten gab es mit Ausnahme der Politikerrunde am Nachmittag nicht - dies war allerdings auch für die erste Veranstaltung dieser Art nicht zu erwarten. Bereichernd und z.T. bemerkenswert waren umso mehr jene Vorträge, die die "unbefangenen" Gäste aus den angrenzenden Bundesländern hielten. Mit einer Ausnahme: Die Vertreterin aus Hessen, MinRin Kirsten Worms, überstrapazierte mit ihrer zu langen Rede etwas die Geduld ihrer Zuhörer.
Thüringen sei bereits "in seinem Selbstverständnis Kultur", so in seiner Einleitung der Sprecher der Kulturinitiative, André Störr. Nun habe der erste Kulturwirtschaftsbericht des Freistaates (KM berichtete) gezeigt, dass Kultur nicht nur Werte, sondern auch Mehrwert schafft. Damit zielte Störr auf die Umwegrentabilität von Kultursubventionen, die in der Tat inzwischen von niemanden mehr bestritten wird. Offen ist vielmehr, ob der hohe Anteil des Staates an der gesamten Kulturfinanzierung - in Thüringen fast 90% - gerechtfertigt ist. Die wirtschaftlichen Effekte werden zumindest seit einigen Jahren von vielen Kulturpolitikern auffallend gern betont, während es schwer fällt, den Wert und Mehrwert für die Gesellschaft zu verdeutlichen. Hier macht sich im Grunde seit der Wende Thüringens reiche Kulturlandschaft unnötig angreifbar.
Um sich bei solchen entscheidenen Fragen besser mit anderen Bundesländern zu vergleichen, hatte man sich zur Konferenz Sachverständige aus den Nachbarländern Sachsen, Hessen und Niedersachsen eingeladen. Der Geschäftsführer des Landesverbandes Soziokultur, Tobias Knoblich, ist als Mitglied im Sächsischen Kultursenat und Vizepräsident der Kulturpolitischen Gesellschaft gleich auf mehrfache Weise prädestiniert, zum Thema Kulturpolitik Stellung zu beziehen. Ihm gelang es in seinem Auftaktvortrag, alle entscheidenden Fragen aufzuwerfen, die bei der aktuellen Debatte in Thüringen notwendigerweise zu stellen sind. Nicht nur Thüringen sehe sich als Kulturland, so Knoblich zu Beginn, auch die heutige Bundesrepublik definiere sich als Kulturnation, obwohl es gar nicht explizit im Grundgesetz so stehe. Nach Meinung Knoblichs existiere offenkundig ein Grundkonsens unter der Deutschen, dessen Belastbarkeit - dies sei angesichts der gegenwärtigen Krise in der Wirtschaft angemerkt - gern einmal erkunden sollte.
Für viele Politiker sei es beim Thema Kulturwirtschaft in den letzten Jahren eine überraschende Erkenntnis gewesen, dass man "mit Kultur auch Karriere machen" kann. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die die ständig neuen Kulturwirtschaftsberichte erregten, sorgten offenkundig für einen Bewusstseinswandel, dass Kultur inzwischen eine ökonomische Komponente habe. Knoblich stellte in diesem Zusammenhang für die Kulturpolitik 3 zentrale Herausforderungen fest. Man habe es einerseits weiterhin mit einem scharfen Wettbewerb um die Gunst der Publikums zu tun. Jene Kulturanbieter, die hier mit gutem Marketing und Kommunikationsstrategien reagierten, sind demzufolge klar im Vorteil. Darüber hinaus gäbe es zwischen dem öffentlichen, privaten und dritter Sektor immer mehr Überschneidungen - Knoblich sprach hier von "Verflüssigungen" und nannte das Beispiel öffentlicher Kulturträger, die selbst als Marktteilnehmer auftreten. Man sollte sich - dies mag man an dieser Stelle einmal der Kulturpolitik ins Stammbuch schreiben - über die möglichen Widersprüche im Klaren sein. Einerseits fordert und fördert diese die Selbstständigkeit und Existenzgründung in den in Auftrag gegebenen Kulturwirtschaftsberichten. Andererseits wird es als problemlos hingenommen, dass hoch subventionierten Häusern sich in Größenordnungen privatwirtschaftlich engagieren. Welcher Auftrag - gesellschaftlich wie ökonomisch - muss nach Meinung der Politik also eine institutionell geförderter Kultureinrichtungen erfüllen?
Der dritte Trend ist auch bei Knoblich natürlich der demografische Wandel - allein schon aus der Sorge heraus, wer denn in Zukunft das kulturelle Publikum sein. "Was heißt in diesem Zusammenhang Grundversorgung?" 20 Jahre nach der deutschen Einheit eine berechtigte Frage gerade im Osten der Republik, der von zum Teil dramatischen Bevölkerungsrückgängen in der Fläche betroffen ist. Knoblich bedauerte hier ausdrücklich, dass das Kapitel zur DDR im aktuellen Jahrbuch zur Kulturpolitik leider recht klein ausgefallen ist. Den anwesenden Kulturschaffenden aus Thüringen riet er, auf andere Akteure in den Kommunen zuzugehen, mehr auf Partizipation und kulturelle Bildung zu setzen, ressortübergreifende Gremien zu gründen und letztlich vor allem Erfolgsgeschichten zu schaffen. Wenn die politischen Vertreter der Kultur Haushaltsmittel für sich reklamierten, sollten sie dies nicht in einem Anspruchsdenken fordern, sondern umso treffender begründen, welchen Zielen diese finanziellen Mittel dienten. Zu lange habe man den "klassischen Bildungsbürger" im Blick gehabt, vielleicht zu selten kulturpolitische Leitlinien gesetzt, sofern überhaupt konkrete Entwicklungsabsichten artikuliert wurden. In seinem Bundesland sei man hier auf einem guten Weg, meinte der Gast aus Sachsen.
Den zweiten Vortrag des Vormittags mit einem Akzent auf das Thema Kulturelle Vielfalt hielt Prof. Dr. Eckart Lange, amtierender Präsident des Landesmusikrates Thüringen. Lange, der in vielerlei Funktionen bei Musikverbänden und Dachorganisationen des musikkulturellen Lebens Deutschlands engagiert ist, freute sich zunächst, dass der "Zugang zu musikalischer Bildung jetzt Berliner Appell, den der Deutsche Musikrat an Bundespräsident Köhler im Juli 2006 überreichte. Vorangegangen war diesem Appell eine längere Debatte und schließlich ein Kongress zum Thema interkultureller Dialog. Eckart Lange begründete die Wichtigkeit dieser Entscheidung damit, dass man die eigene kulturelle Vielfalt nicht erkennen könne, wenn man die Vielfalt der anderen nicht erkennt.
Die häufigen Zitate der kulturpolitischen Meinungsmacher wie Max Fuchs (Deutscher Kulturrat) oder Christian Höppner (Deutscher Musikrat) erschwerten allerdings das Verständnis seines Vortrags. Zu häufig versteckte sich Lange in einer wissenschaftlichen, zu plakativen Sprache, die zwar viele berechtigte kulturpolitische Forderungen aufwirft, aber wenig darüber verrät, wie das eigentlich konkret umgesetzt wird und vor allem durch wen? Er warnte durchaus zu Recht vor einem "freien Fall bei der Musikschulfinanzierung". Viele dieser Einrichtungen kämpften in diesem wichtigen Sektor kultureller Bildung ums Überleben, obwohl alle Politiker derzeit sich in Sonntagsreden dem Thema Bildung widmen. Lange lobte die gute Aus- und Weiterbildung von Musikpädagogen, ließ aber offen, welche zu vermittelnden Kompetenzen er damit meint. "Es ist eine Mär, dass wir nicht praxisorientiert unterrichten", so der studierte Musikpädagoge mit leicht trotzigem Unterton. Einen wichtigen aktuellen Streitpunkt sprach Prof. Lange mit den gegenwärtigen Bestrebungen einiger Bundesländer an, Kunst- und Musikunterricht zu einem Großfach zusammenzulegen. Der Vertreter aus dem Freistaat Thüringen bezweifelte, dass man damit das Thema kulturelle Bildung in Schulen stärkt und ließ erkennen, dass er diese Entwicklung geradezu für gefährlich hält.
Ein Vertreter, der ebenfalls bei vielen Gelegenheiten die Interessen von Kulturschaffenden vertritt, ist Frank Simon-Ritz, Direktor des Thüringer Bibliotheksverbandes. Ihm wird das Verdienst zugeschrieben, mit dem ersten Bibliotheksgesetz eines Bundeslandes Thüringen als Vorreiter in diesem Bereich entwickelt zu haben. Der Erfolg dieses Gesetzes ist unter Fachleuten allerdings umstritten, zumal selbst Simon-Ritz in den letzten Wochen bei Landespolitikern bereits für eine Novellierung der Regelung wirbt. Nach seiner Meinung sei es in der vorliegenden Gesetzesfassung aber bereits gelungen, die Wahrnehmung von Bibliotheken in der Öffentlichkeit zu steigern. Ein zweiter Grund für diese Initiative sei der Wunsch gewesen, mit der Politik in einen Dialog zu treten, wobei sich der geneigte Zuhörer schon fragen durfte, warum dies nur mit dem Einbringen von Gesetzesvorlagen möglich sein soll.
Der sicher für Kulturmanager lehrreichste Vortrag war der von Olaf Martin, Geschäftsführer des Landschaftsverbandes Südniedersachsen. Diese Landschaftsverbände sind ein Konzept, das vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen für die Kulturentwicklung prägend ist. Die älteste Landschaftsverband wurde immerhin bereits 1464 in Ostfriesland gegründet. Olaf Martin konnte den anwesenden Thüringer Kulturvertretern dieses kulturpolitische Konzept mit einer hilfreichen Präsentation veranschaulichen. Diese werden spätestens bei der finanziellen Struktur und Aufgabenverteilung aufgemerkt und verglichen haben, denn schließlich war es offenkundiges Ziel der Wartburger Tagung, Impulse für ein schlüssiges Kulturentwicklungskonzept zu liefern, das in Thüringen seit Jahren auf sich wartet. Insbesondere der Umstand, dass im Freistaat die Hälfte des Kulturetats für die Staats- und Stadttheater aufgewendet wird, bereitet Kulturpolitikern regelmäßig Kopfzerbrechen. Hier liefert auch der erste Kulturwirtschaftsbericht keine neuen Antworten.
Nach weiteren Vorträgen und Diskussionsbeiträgen - hervorzuheben hier besonders die engagierte Kulturamtsleiterin aus dem Thüringischen Pößneck, Dr. Julia Dünkel und Prof. Dagmar Demming von der Universität Erfurt bildete eine Politikerrunde den Abschluss der eintägigen Veranstaltung. Vor dem Hintergrund der Ende August stattfindenden Landtagswahlen - nur eine von 4 anstehenden Urnengängen in Thüringen im übrigen - erhielt diese Podiumsdiskussion eine besondere Bedeutung. Die Diskutanten waren daher auch allesamt gut vorbereitet "in den Ring gestiegen" und konnten z.T. mit guten Ideen zu einer besseren Kulturpolitik im eigenen Bundesland punkten. Leichter hatten es hier natürlich die Vertreter der Opposition, da aufgrund der derzeit ohne Dieter Althaus führungslosen Regierung ihr Verhältnis 4:1 gegenüber dem kulturpolitischen Vertreter der CDU war. Insbesondere der Sozialdemokrat Hans-Jürgen Döring und der Liberale Uwe Barth konnten hier eigenständige kultur- und bildungspolitische Akzente setzen. Krause zog sich indessen gekonnt auf die Rolle eines loyalen, wenn auch schlagfertigen Parteisoldaten zurück.
 

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