19.09.2008

Autor*in

Matthias Theodor Vogt
Kulturelles Erbe im kirchlichen Raum

Erklärung der Religion zur Privatsache

Zur historischen Entwicklung der Skepsis gegenüber kirchlicher Kulturarbeit Der Görlitzer Kulturpolitikwissenschaftler Matthias Theodor Vogt hat erstmals theoretischen Grund für eine Analyse des Beitrags der Kirchen zum kulturellen Leben in Deutschland gelegt. Aufgrund seiner langjähriger Vorarbeiten beauftragte ihn 2005 die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland des Deutschen Bundestages mit einem Gutachten, dessen volkwirtschaftliche Überlegungen bundesweit dazu beitrugen, die Kirchen als den über Kommunen und über Länder hinaus zentralen Akteur deutscher Kulturpolitik zu erkennen. Seither hat u.a. der Deutsche Kulturrat das Thema aufgegriffen. Die Analyse von Matthias Theodor Vogt wird in durchgesehener Form voraussichtlich Ende 2008 im Peter Lang Verlag erscheinen(1). Im folgenden publizieren wir mit freundlicher Genehmigung des Autors einen Auszug aus der "Grundlegung".

1. Religion

Religion(2) bildete mit dem Einsetzen des so zu definierenden Mittelalters die Matrix der Leitvorstellungen für wesentliche Teile des Gebiets der heutigen Bundesrepublik Deutschland und seiner mitteleuropäischen Nachbarn. Topologisch wurde Kunst mit wenigen Ausnahmen (etwa die Minnesänger) innerhalb des religiösen Raumes entwickelt.
 

2. Vernunft

Vernunft bildete mit dem Einsetzen der so zu definierenden Neuzeit die Matrix der Leitvorstellungen für das Gebiet, über das Voltaire spotten sollte, es sei weder Heilig, noch Römisch, noch ein Reich.(3) (Voltaire 1745:414). Mitten im Zweiten Weltkrieg sollte Benedetto Croce jedoch darauf hinweisen, dass der Kernbestand christlicher Ethik im Zeichen der Vernunft eine erhebliche Aufwertung erfahren hat.(4) Die 1942 in Europa dominierenden Totalitarismen von Faschismus, Francismus, Nationalsozialismus und Stalinismus seien, so Croce, eine Form modernen Heidentums, während das Naturrecht des XVII. Jahrhunderts, die Aufklärung des XVIII. Jahrhunderts, ja, selbst die Französische Revolution "Kulturbewegungen seien, die eine Überwindung spezifisch religiöser Positionen anstrebten und zugleich genuin christliche Postulate realisiert hätten, in dem sie politischen und sozialen Normen zum Durchbruch verhalfen, die Croce als Kernbestand christlicher Ethik interpretiert." (Tschopp 2002). Auch die Kunst blieb dieser Ethik wesentlich verhaftet und insofern cum grano salis christlich geprägt. Neueste Untersuchungen unterstützen die These von Mircea Eliade(5), dass sich mit der kreativen Kraft in manchen Bildern der modernen Kunst "ähnliche Haltungen verkörpern, wie sie die inkonoklastischen Bewegungen in Zeiten geistlicher Reformen kennzeichneten." (Amador Vega Esquerra).(6)
 

3. Nation

Nation bildete sich im Widerstand gegen Napoléon als Matrix der Leitvorstellungen für das Gebiet des späteren Deutschen Bundes und der Deutschen Reiche II, III und IIIa/IV.(7) Nach französischer Vorstellung ist die Staatsnation ein tägliches Plebiszit mit den Füßen (Renan 1882:904).(8) Demgegenüber wurden in Deutschland und seinen östlichen Nachbarländern da hier nicht in vergleichbarer Weise auf einen schon ausgeformten Staat zurückgegriffen werden konnte und mit folgenreichen Auswirkungen von ethnischen Vorstellungen her gedacht wurde(9) - die miteinander konkurrierenden und in die politische Praxis einfließenden Vorstellungen von Volksnation, Wirtschaftsnation, Arbeiternation, Kulturnation und Totalnation entwickelt. Die Idee eines subsidiären Neben- und Miteinanders von wirtschaftlichen, juristischen und kulturellen Einheiten dagegen blieb intellektuell und politisch folgenlos.(10)
 
Die Künste und Geisteswissenschaften erhielten repräsentative Aufträge eines Staates, der Vergewisserung und symbolische Überhöhung suchte. Der Staat mutierte zur Ersatzreligion. Darauf reagierten die Kirchen. Im bürgerlichen Umkreis der Paulskirche forderten sie 1851 unter Berufung auf Gewissensfreiheit die Trennung von Staat und Kirche. Karl Marx erklärte 1875: "Jeder muß seine religiöse wie seine leibliche Notdurft verrichten können, ohne daß die Polizei ihre Nase hineinsteckt." (Marx 1875/1962:30).
 
Das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie zog daraus 1891 die Konsequenz und forderte "5. Erklärung der Religion zur Privatsache." Diese Formulierung ist ein zentraler Topos des kollektiven Gedächtnis der Deutschen geworden und bis heute als Ausgangslage des Denkens über Religion in der deutschen Öffentlichkeit anzutreffen.
 
Forderung 5 des Erfurter Programms besagte weiter: "Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu religiösen und kirchlichen Zwecken." In Forderung 6 hieß es: "Weltlichkeit der Schulen." Wie in Teil II.2 dieser Arbeit dargestellt, entzündete sich an diesen Vorstellungen zweimal Streit. 1919 bei den Weimarer Verfassungsberatungen mündete er in den Kompromissformeln der Weimarer Kirchenartikeln, 1945 bei den Bonner Verfassungsberatungen führte er zur Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist heute zwar faktisch geklärt, nicht aber systematisch. Der Erinnerungsort Erfurt ist offensichtlich bis heute wirksam. Ein Lieblingstopos der deutschen Medien ist die Beschimpfung von Abgeordneten als Selbstbedienungsvertretern; ein anderer (und Gegenstand überwiegend unwissenschaftlicher Veröffentlichungen: Frerk 2002: Erbacher 2003; Schwarz 2005. Anders dagegen: Besier 1997) sind die Kirchen und ihre Finanzen.
 
Dieser Topos ist gelegentlich bis ins staatliche Handeln wirksam. 1992 wurden die katholischen wissenschaftlichen Bibliotheken aus dem Südwestdeutschen Zentralkatalog verbannt. Das Statistische Bundesamt Wiesbaden negiert den Beitrag der Kirchen zum kulturellen Leben in Deutschland so weitgehend, dass auf staatlicher Seite keine systematische Datenbasis zu seiner Beurteilung vorliegt. Die tatsächliche Bedeutung der Kirchen für das kulturelle Leben bleibt ausgeblendet.
 

4. Wirtschaft

Wirtschaft bildete seit dem faktischen Anschluss der westdeutschen Besatzungszonen an das US-amerikanisch dominierte System die Matrix der Leitvorstellungen für das Gebiet der nachmaligen Bundesrepublik Deutschland, seit dem Anschluss nach Art. 23 GG auch für das Gebiet der östlichen Länder. "Above us only sky", heißt es dazu bei John Lennon in Imagine. Die Kultur in einem allerdings geänderten Verständnis ist der große Gewinner dieser Entwicklung. In den USA ist die Kulturindustrie nach der Luftfahrtindustrie größte Exporteurin des Landes, in Europa ist sie unter dem Namen creative industries, also einschließlich der Werbe- und der audiovisuellen Branche pp., der beschäftigungs- und wachstumsintensivste Sektor. 780.000 Kulturberufler stehen 680.000 Beschäftigten der Automobilindustrie in Deutschland gegenüber (UNESCO 2005).(11)
 
Die Monetarisierung ergreift alle Lebensbereiche, auch jene, die nach dem Diktum Jan Sokols Gegenstand der "dankbaren Sorge" sind für "all das, was sich kein Mensch weder kaufen noch herstellen oder verdienen kann, sondern nur empfangen kann die Sonne, die Liebe, Freunde und Kinder, Glück und Gesundheit, das Leben und die Welt" (Sokol 2004).(12) Die "einfachste Religion", so Sokols "annähernde Definition, ist eine systematische, artikulierte und einigermaßen öffentliche Ausübung der Dankbarkeit und Sorge".(13) Die Wirtschaftswissenschaft aber kalkuliert auch dieses: der Glücksgewinn durch eine anhaltende Ehe entspreche einem zusätzlichen Einkommen von 95.000,- jährlich, der Tod eines Lebenspartners entspreche einem Glücksverlust von einmalig 250.000,- - so der BSV-Forschungsbericht Kinder, Zeit und Geld (Bauer 1998). Der Trendreport Megatrend Basics des Gottlieb Duttweiler Instituts führt zum Stichwort 'Werteorientierung' aus: "Die nächste Enttäuschung ist vorprogrammiert. [..] Nation, Religion und Familie konkurrieren mit Automarken, Mode-Labels, Freizeitparks, Business-Schools, Softwarefirmen, Hollywood, Sportclubs und virtuellen Gemeinschaften." (Boshart, Frick 2003:22). Unter der Oberfläche der medial reproduzierten Nichtigkeiten blieb allerdings, wie Teil III der vorliegenden Arbeit für die Sepulkralkultur erhellt, ein lebendiges Gefühl für die letzten Dinge über den Kreis der Kirchenmitglieder hinaus erhalten.
 
Man kann als primäre Aufgabe des Staates die Wahrnehmung seiner Pflichten aus dem Machtmonopol im Sinne Webers ansehen. Dann wäre zu konstatieren, dass sich seit den frühen 90er Jahren aus dem Eindruck, mit dem Ende des Kalten Krieges habe sich das Sicherheitsrisiko minimiert, in zahlreichen Ländern eine deutliche Verschiebung in den Haushaltspositionen zugunsten so gesehen sekundärer staatlicher Aufgaben ergeben hat. Deutschland gibt in der Zwischenzeit mehr für seine Hochschulen aus als für sein Militär; die öffentliche Kulturförderung wies lange hohe Zuwachsraten auf; in die Infrastruktur wurde verstärkt investiert, während gleichzeitig der Steueranteil am BIP in den Ländern der industrialisierten Welt zwischen 1990 und 2000 um ein bis acht Prozent zurückging, was erheblich zur Dynamisierung der Weltwirtschaft gegen Ende der 90er Jahre beitrug. Kaskaden technischer Innovation trieben die Konsummärkte und die Produktivität voran, der internationale Reiseverkehr verdoppelte sich zwischen 1991 und 2001, auch die Schwellenländer entwickelten Massenmärkte (Horx 2001:3). Der Kunstmarkt boomt.
 
Gleichzeitig aber hat sich das 1648 etablierte Staatsmonopol auf Internationalität, also Zwischen-Staatlichkeit, aufgelöst zugunsten einer Asymmetrie zwischen Staaten und Milizen als zwischenzeitlich häufigstem Krisenfall. Kenner der Materie wie Martin van Creveld haben dies bereits 1991 (The Transformation of War) prognostiziert, ohne dass dies unmittelbare Konsequenzen für Ausrüstung und Planung des Militärs gehabt hätte. Erst unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 hat die NATO ein Joint Center for Operational Analysis and Lessons Learned eingerichtet. Als neuer Begriff der Zukunftsforschung wurde in sprachlicher Kühnheit der "Megatrend Terror" eingeführt und seine Auswirkungen auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft untersucht (Horx 2001:27).
 
In einer durchaus analogen Situation hatte Winston Churchill mit einem jahrhundertealten britischen Tradition gebrochen. Seit der Glorious Revolution von 1689 war staatliche Kulturförderung verpönt. In der gleichen Intention wie mit seiner "Blood, Toil, Tears and Sweat"-Rede vom 13. Mai 1940 jedoch gründete Churchill mit einer Royal Charter das Council for the Encouragement of Music and the Arts (CEMA) als "a scheme to improve national morale during wartime.
 
Der 11. September 2001 machte die Verletzlichkeit des Gesellschaftssystems deutlich. In der Politik herrscht fraktionsübergreifend Einigkeit, dass Vertrauen der Bürger in ihre Gesellschaft die Grundsubstanz politischen Agierens ist, die "national morale", um den britischen Ausdruck aufzunehmen. Die lange wirtschaftliche Schwäche beim Inlandskonsum war Ausdruck dessen, dass es im heutigen Deutschland zu einem empfindlichen Verlust an Vertrauen in die Zukunft des Gemeinwesens gekommen ist. Die bald 10% für rechtsradikale Parteien im sächsischen Landtagswahlkampf 2004 beispielsweise haben eine massive Störung parlamentarischer Abläufe zur Folge gehabt; der Bundestagswahlkampf 2005 stand unter nicht massiven Vorzeichen uneinlösbarer Versprechen auf staatliche Leistungen, diesmal auf der linken Seite.
 
Wirtschaft als Matrix der Leitvorstellungen entspricht nicht mehr den politischen Gegebenheiten. Paradoxerweise lässt sich dies am Markt für Spiritualität ablesen. Er umfasst mit rund 10 Mio. EUR p.a. alleine in Deutschland mehr als nach traditioneller Lesart für die öffentliche Kultur aufgebracht wird.
 

Anmerkung

 
1 Matthias Th. Vogt: Zur Freude der Menschen und zum Lobe Gottes. Der Beitrag der Kirchen zum kulturellen Leben in Deutschland. Edition kulturelle Infrastruktur Band 2
 
2 Jan Sokol verweist darauf, dass der Begriff "Religion" sich in zahlreichen Sprachen nicht findet: das Niederländische spricht von "godsdienst", analog das Tschechische von "náboenství", ebenso das Polnische (Sokol: Mensch und Religion. Religion im Leben und in der Geschichte. Übersetzung aus dem Tschechischen von Jürgen Ostmeyer [erscheint 2007], Anm. 3). Der Begriff der "Religionswissenschaften" ist aufgrund dieser Nicht-Übertragbarkeit auf andere Kulturen in Diskussion gekommen.
 
3 «Ce corps qui sappelait et qui sappelle encore le saint empire romain nétait en aucune manière ni saint, ni romain, ni empire.» Voltaire: Essai sur les moeurs et lesprit des nations et sur les principaux faits de lhistoire, depuis Charlemagne jusquà Louis XIII, 2 Bde., Paris 1745/46, Ausg. 1859, Bd. 1, LXX, S. 414. Jetzt auch in: OEuvres complètes de Voltaire, Essai sur les moeurs et lesprit des nations, Chap. LXX. De lempereur Charles IV. De la bulle dor. Du retour de Saint-siège dAvignon à Rome. De Sainte Catherine de Sienne, etc. http://www.voltaire-integral.com/Html/11/11ESS_72.html#i70.
 
4 Croce, Benedetto (1942). Perché non possiamo dirci christiani [Antwort auf Bertrand Russell: Warum ich kein Christ bin (Vortrag 1927)].
 
5 Mircea Eliade: La permanencia de lo sagrado en el arte contemporáneo. In: Eliade: El vuelo magicoy otros ensayos sombre simbolismo religioso, hrsg. von Victoira Cirlot und Amador Vega [Esquerra]. Madrid 2001, S. 139 146.
 
6 Amador Vega Esquerra: Religiöse und ästhetische Erfahrungen in der Moderne. In: Markus Enders, Holger Zaborowski (Hrsg.): Phänomenologie der Religion, Zugänge und Grundfragen. Freiburg, München 2004. S. 312.
 
7 Das erste auch so titulierte Deutsche Reich (I) wurde 1806 aufgelöst, das zweite dauerte von 1871 bis zur Revolution 1918 (II), das dritte setzte 1919 mit der Verabschiedung der Weimarer Verfassung ein (III). Es wurde durch das Ermächtigungsgesetz 1933 auf eine veränderte Grundlage gestellt (IIIa) und durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs 1934 förmlich in eine neue Rechtsform überführt (IV). Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich ("Ermächtigungsgesetz"). vom 24. März 1933. geändert durch Gesetz vom 30. Januar 1937 (RGBl. I S. 105), Gesetz vom 30. Januar 1939 (RGBl I S. 95), Führererlass vom 10. Mai 1943 (RGBl. I S. 295), faktisch jedoch aufgehoben durch Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 (RGBl. IS 75). Als die WRV am 24. März 1933 durch das Ermächtigungsgesetz außer Kraft gesetzt und ein der deutschen Verfassungsgeschichte durchaus fremdes uniformes Staatsganzes installiert wurde, griff Göbbels auf den Begriff des "Dritten Reiches" zurück, den Arthur Moeller van den Bruck 1923 in Anlehnung an die chiliastischen Vorstellungen des Joachim de Fiore geprägt hatte. Während Goebbels selbst den Begriff bei Kriegseintritt 1939 aber wieder verbot, hat er sich in ähnlicher Weise im kollektiven Gedächtnis festgesetzt wie der der "Wende", mit dem Egon Krenz am 18. Oktober 1989 einen Eintrag aus Goebbels Tagebüchern zur Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 aufgegriffen hatte, und der jetzt für eine Rückkehr zum traditionellen Duopol auf dem Gesamtgebiet des heutigen deutschen Staatsgebiets steht.
 
8 "L'existence d'une nation est [] un plébiscite de tous les jours []".
 
9 Vgl. Böckenförde (1999:34 ff und 59 ff.)
 
10 Die Übertragung der Vorstellung einer Staatsnation bedeutete für den slawischen Sprachraum beträchtliche Schwierigkeiten. Hier behalf man sich demokratietheoretisch hochinteressant - mit dem Begriff "Narod" (Volk). Das Prager Narodni Divadlo ist also ein Volkstheater, nicht eigentlich ein Nationaltheater. In den deutschen Sprachraum ist der Begriff schon früh als Lehnwort aus dem spätmittelalterlichen Latein greifbar. Nation bedeutet hier wesentlich Sprachgemeinschaft.
 
Die erste Publikation jedoch, in der der Begriff deutsche Nation als politischer Begriff erscheint (Fichte 1808: 257-299), formuliert die Überzeugung, dass es Nationen gibt, die minderwertig sind. Bei Fichte sind es die Juden. Bei Karl Marx im "Kommunistischen Manifest" (1848) wird implizit, ohne dass der Text diesen Begriff aufführt, den Bourgeois die Bildung einer Wirtschaftsnation unterstellt ("Die Arbeiter haben kein Vaterland. [] Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie""). Dagegen stellt er die Forderung, dass "das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß." (Marx: 1848:25-57).
 
Meinecke bringt gegen Renan 1907 den bis heute viel zu hörenden Begriff der Kulturnation in die Debatte ein. Die alte Kulturnation sei bloß kulturelle Einheit gewesen. Die moderne Kulturnation solle die staatliche Einheit nach sich ziehen (Meinecke 1907/1962:15).
 
Gegen Meineckes Zielstellung einer "Totalität des Lebens" (Meinecke 1962:34f) wendet sich Steiner 1917. Für ihn ist die Nation eine wirtschaftliche, politische oder kulturelle Einheit, die kleiner sei als die Welt. Wirtschaft, Staat und Kultur haben unterschiedliche soziale Funktionen; wirtschaftliche, politische und kulturelle Grenzen bewegten sich unabhängig voneinander. Die wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Einheiten tendierten von sich aus zur Weltwirtschaft, Weltstaatenbund und Weltkultur. Versuche man aber sie aneinander zu koppeln, fänden sie nicht mehr zu sich selbst und damit zur Quelle der eigenen Universalität. Eine Staatswirtschaft könne nicht mehr der Weltwirtschaft zustreben. Wolle eine kulturelle Einheit zur politischen Einheit werden, so gehe sie der Weltkultur verloren. (Steiner 1917).
 
Die Totalnation wurde dann 1933 1945 in Deutschland Staatsdoktrin. Gellner und Hobsbawm definieren Nationalismus als Prinzip, demzufolge "politische und nationale Einheiten deckungsgleich sein sollten." (Gellner 1991:8; Hobsbawm 1991:20).
 
11 Metze-Mangold 2005:31. Angaben nach Wilhelm-Neufeldt und dem Schlußbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Globalisierung der Weltwirtschaft".
 
12 Sokol, Jan: Christliche Mission unter den Heiden? In: Markus Enders, Holger Zaborowski (Hrsg.): Phänomenologie der Religion, Zugänge und Grundfragen. Freiburg, München 2004. S. 454.
 
13 Sokol, ibidem (Anm. 15), S. 454.
 

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