23.02.2022

Autor*in

Gesa Birnkraut
studierte Betriebswirtschaftslehre, Kulturmanagement und promovierte zum Thema: "Ehrenamt in kulturellen Institutionen im Vergleich USA und Deutschland". Sie hat eine Professur für strategisches Management im Non Profit Bereich an der Hochschule Osnabrück (50%) und ist die geschäftsführende Gesellschafterin der Kulturberatung BIRNKRAUT|Consulting und die Vorstandsvorsitzende des Institut für Kulturkonzepte Hamburg e.V.. 
Neues Werteökonomie-Modell für den deutschen Kulturbetrieb

BCorp Zertifizierung und Benefit Corporation

In Deutschland mangelt es bisher an Brücken und Schnittstellen zwischen gemeinnützigen Organisationen, Sozial- und kreativwirtschaftlichen Unternehmen sowie anderen Wirtschaftsbranchen. Diese wären jedoch wichtig, um das Wirtschaften als ganzheitliches System zu betrachten und entsprechend nachhaltig zu agieren. Ein nordamerikanisches Werteökonomie-Modell könnte das ändern.
Die Themen der purpose driven economy, der Werteökonomie, sind in den letzten Jahren nicht nur mit Sozialunternehmen und kreativwirtschaftlichen Unternehmen immer stärker in Zusammenhang gebracht worden, sondern auch mit anderen Wirtschaftsbranchen. Branchen, die man nicht automatisch mit Werten und Gemeinwohl in Verbindung bringen würde (Taillard 2017, Sanchez-Hernandez 2021). In Bezug zu diesen Modellen wird im nachfolgenden die Zertifizierung der BCorporation und die damit zusammenhängende Rechtsform der Benefit corporation beschrieben. Der Artikel gibt einen Einblick in das zugrundeliegende Modell und einige der untersuchten Fälle, die ich im Zuge eines längeren Forschungsaufenthalts 2021 in Kanada analysiert habe. 
 
Worum es geht
 
Bereits seit 2006 gibt es die Bewegung der BCorp Zertifizierung, die in den USA gegründet und inzwischen weltweit durch BLabs vorgenommen wird. Der Bewegung geht es darum, die bestehenden Wirtschaftssysteme zu ändern und von einer Shareholder- hin zu einer Stakeholder-geprägten Ökonomie zu kommen. Ergänzt wird die Zertifizierung seit 2014 durch die Einführung einer Rechtsform, die die Werte und Grundsätze der Zertifizierung aufnimmt und im Unternehmensrecht des jeweiligen Landes verankert. Diese sogenannten Benefit Corporations sind inzwischen in einer überwiegenden Mehrheit der Bundesstaaten der USA, in Italien, British Columbia in Kanada und weiteren Ländern ins Rechtssystem eingeflossen (Marquis 2020).
 
Die Rechtsform und die Zertifizierung sind grundsätzlich unabhängig voneinander zu sehen. 
 
Die Rechtsform der benefit corporation kann nur in den Ländern gewählt werden, die diese gesetzlich verankert haben (z.B. Italien). Die Zertifizierung kann aber unabhängig davon in jedem Land durch die privaten gemeinnützigen BLabs durchgeführt werden (z.B. Deutschland). 
 
Die Bcorp Zertifizierung fokussiert auf fünf Bereiche, die allesamt auf einem purpose driven economy Modell basieren. Es geht darum, ein ausschließlich profitorientiertes Handeln so zu verändern, dass Profit neben gleichwertige Aspekte des Gemeinwohls gesetzt wird. Dazu gehören die Bereiche:
 
  • Personal, 
  • Unternehmensführung, 
  • Umwelt, 
  • Community und 
  • Kund:innen. 
Oder wie die Gründer der Zertifizierung sagten: Using business as a force of good. Das Zertifikat betrachtet das Unternehmen dabei als Ganzes, um einen systemischen Wandel herbeizuführen. Es geht nicht wie bei einem fair trade Siegel um einen bestimmten Aspekt des unternehmerischen Handelns, sondern um den ganzheitlichen Ansatz, der sich durch alle Belange des Unternehmens zieht. 
 
Im Bereich Personal sind Dinge wichtig wie:
 
  • faire Löhne zu zahlen, die den Lebenshaltungskosten entsprechen (also keine Mindestlöhne, sondern sogenannte living wages),
  • finanzielle Daten für die Mitarbeitenden transparent zu machen (Umsatz, Gewinne, Verluste),
  • die Mitarbeitenden durch Teilhaberschaft einzubeziehen,
  • flexible Arbeitsmodelle einzuführen, die es Menschen in allen Lebenslagen ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen und
  • eine adäquate Personalentwicklung.
Im Bereich Community werden folgende Dinge abgefragt:
 
  • gleichberechtigte, diverse Teams in der Führungsebene, genauso wie in der Gesellschafter- und der Mitarbeiterebene,
  • Balance der Relation zwischen den bestbezahlten und den am schlechtesten bezahlten Mitarbeitenden,
  • Förderung von ehrenamtlichem Engagement der Mitarbeitenden,
  • Formalisierung von Partnerschaften mit NPOs, um eine langfristige Kooperation zu schaffen und
  • Überprüfen der eigenen Lieferkette und Verändern hin zu einer lokalen und nachhaltigen Lieferkette, die Unternehmen unterstützt, die sich für vergleichbare Werte einsetzen.
Im Bereich Umwelt geht es um Aspekte wie:
 
  • den CO2 Ausstoß zu reduzieren,
  • erneuerbare Energien zu nutzen,
  • nachhaltige Mobilität bei den Mitarbeitenden zu fördern,
  • klimafreundliche Kriterien für den Einkauf einzuführen und
  • die eigenen Vertriebskanäle auf Nachhaltigkeit zu überprüfen.
Bei der Unternehmensführung werden folgende Kriterien abgefragt: 
 
  • Integration von sozialen / nachhaltigen Zielen in den Unter-nehmenszweck,
  • Evaluation der Führung und der Mitarbeitenden, inwieweit sie sich nach den gesetzten Werten und Zielen verhalten und
  • Erstellung eines Berichtes, der die Werte und die dazugehörigen Aktionen beschreibt. 
Im Bereich der Kund:innen sind folgende Dinge unter anderem wichtig:
 
  • regelmäßige Qualitätskontrollen und
  • Feedback Management (siehe mehr Details in Honeyman 2019). 
Welche Auswirkungen hat die Änderung auf das Unternehmen?
 
Die Zertifizierung und die Wahl der Rechtsform verändern bei den Unternehmen eine grundsätzliche Einstellung, bzw. festigen diese bereits vorhandene Einstellung. In einer explorativen Feldforschung habe ich 2021 sechs Fallstudien von kanadischen BCorp zertifizierten Unternehmen durchgeführt. Als besonders wertvoll wurden Effekte in der Personalarbeit und in der Arbeit mit den Lieferant:innen benannt. 
 
In Bezug auf die Personalarbeit sagten fast alle Befragten aus, dass es eine positive Auswirkung auf ihre Personalbeschaffung / ihr Talentmanagement hatte. Viele Bewerbungen bezogen sich auf die BCorp Zertifizierung und die darin angesprochenen Werte. So sagt der Gründer und Geschäftsführer von Keela Nejeed Kassam: "The BCorp certification has made a material difference to our business - both internally and externally. We’ve found it to be an incredibly valuable recruiting tool as both Gens-Y (Millennials) and Z care deeply about impact, and the BCorp certification process reaffirms our commitment to impact. We continually work hard to communicate both our actual impact and the effect of impact on our values. We have an impact officer and have implemented both a donation matching program and a quarterly volunteer program for our staff." Keela ist ein Mittelstandsunternehmen, das Software für NPO programmiert und vertreibt.
 
Auf die Zusammenarbeit mit Lieferant:innen und den Einfluss der BCorp Zertifizierung auf diese gingen alle Unternehmen ein. Durch die Zertifizierung lag ein sehr viel größeres Augenmerk auf den Praktiken der Lieferant:innen. Lokale Zusammenarbeit wurde gestärkt, es gab in vielen Fällen einen intensiveren Austausch zu Werten und Verständnis von Nachhaltigkeit. Zoe Grams, Gründerin und Geschäftsführerin von ZGstories, sagt dazu: "Essentially the values that being a B corp suggests or proved, we already held as a company. The company when it first started was an extension of me, prioritizing female owned companies, giving back to the community, cutting on our footprint, working with local community. Becoming a Bcorp was an opportunity to do all these things a bit more rigorous, not only what is easy and nice to do." Zstories ist eine kleine inhabergeführte Literaturagentur in der Verlagswelt.
 
Auch der Einfluss auf das strategische Handeln und die Führung wird bei allen deutlich hervorgehoben. So sagt Heena Narula von Spring: "Going through the process makes you learn a lot about your company and makes you document everything. Preparing for the certification for the first time it will help you also do a five year strategy plan for your company and I think that is very important.” Spring ist ein Inkubator, der Sozialunternehmen und kreativwirtschaftliche Unternehmen unterstützt und Impact Investoren ausbildet. Zoe Grams ergänzt: "The assessment helped me to be more strategic and conscientious about the decisions that I make as a leader and helped me be a better leader.”
 
Für wen kommt es in Frage?
 
Die Zertifizierung und insbesondere die Umfirmierung in eine benefit corporation können gerade kreativwirtschaftlichen und sozialen Unternehmen die nötige Kredibilität und ein legales und unternehmerisches Zuhause geben. Sozialunternehmen, aber auch viele kreativwirtschaftliche Unternehmen, arbeiten in Deutschland oftmals an einer Schnittstelle der Akzeptanz. Für die Wirtschaftsförderung, die Investor:innen, die Wirtschaftsbehörden und die Banken sind diese Unternehmen zu sozial orientiert und nicht klar genug ausschließlich auf den Profit ausgerichtet. Für die Kultur- und Sozialbehörden, die Stiftungen und öffentlichen Förderprogramme sind diese Unternehmen andererseits zu kommerziell und nicht ausschließlich gemeinnützig orientiert. Dass wirtschaftliches, profitorientiertes Handeln sich nicht immer ausschließlich auf monetären Profit konzentrieren muss, sondern in der Mischung auch im sozialen, ideellen und künstlerischen Profit liegen kann, ist eine noch nicht weit genug verbreitete Überzeugung. 
 
Doch auch von Seite der gemeinnützigen Institutionen ist die BCorp Zertifizierung interessant, inbesondere als Kriterium bei der Suche nach Partnern. Jede Kultureinrichtung muss überprüfen, ob die Unternehmen, mit denen sie Kooperationen eingehen, ihren Werten und Überzeugungen entsprechen. Dabei kann die BCorp Zertifizierung als Orientierung bei der Partnerwahl helfen. 
 
Wie bekannt ist das System?
 
Auch wenn die BCorp Bewegung in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, verläuft die Skalierung in Relation zu der Gesamtheit der Wirtschaftsakteure eher langsam. Die Bekanntheit in der Wirtschaft, der Politik und auch bei den Investoren ist verbesserungswürdig. So sagt Nejeed Kassam von Keela: "I also believe that the BCorp certification is still in its nascence and relatively unknown. Many of our investors (generally more traditional start-up investors) have never heard of B-Corps and don’t understand the value it adds to our business. However, I am excited about the positive momentum of the certification and the growing importance and trends of impact-businesses and ESG."
 
Gerade auch in der Kreativwirtschaft wird die Zertifizierung nicht immer als einfach und ressourcenschonend angesehen. Zoe Grams sagt dazu: "The publishing industry is an industry with tight margins and so many variables. The publishers do not look at business with the BCorp lense, it feels more corporate to them, they will mostly think about: how do we pay our staff more? How are we making sure that we are publishing diverse voices? It is rather publishing related issues, not energy output or HR, there is maybe a perception you need a lot of room to go through the assessment and it is low on the list. People in the creative industries would say that BCorp is not frivolous but maybe privileged to have the time to answer so many questions.”
 
Was muss passieren, dass die Bewegung zu einer Systemänderung führt und die entsprechende Kraft entwickelt? Christopher Marquis, Professor an der Cornell University und Autor des Buches "Better Business" (Marquis 2020) setzt einen besonderen Schwerpunkt auf die politische Lobbyarbeit: "To scale the BCorp movement I think more policy recognition is the fundamental thing. Companies draw on all kinds of resources from society, the fact that they are mainly only accountable to shareholders is a fundamental disconnect. Adopting this policy innovation should become mandatory for companies, as some have suggested, as opposed to a voluntary selection.  Also, tax incentives could be created for benefit companies, because they follow a social good.”
 
Fazit
 
Deutschland würde es meiner Ansicht nach guttun, die Brücken zwischen gemeinnützigen Organisationen, Sozialunternehmen / kreativwirtschaftlichen Unternehmen und anderen Wirtschaftsbranchen zu stärken, Schnittstellen anzuregen und Mischformen zu unterstützen. Dadurch würde eine Systemänderung angeregt, die Wirtschaften als ganzheitliches System sieht. Verantwortungsvolles Verhalten gegenüber Personal, Umwelt und community wird unabhängig von einem gemeinnützigen Zweck betrachtet und Investoren und Förderern wird es erleichtert, nachhaltig zu handeln. Die bestehende Lücke zwischen der Wirtschaftsförderung und der Subvention sozialer und kultureller Einrichtungen würde schrumpfen. Die Rechtsform der Benefit Corporation ist dabei ein Mittel, um diese mögliche Systemänderung weiter und schneller voranzubringen. Das Assessment als BCorp ist eine gute Anregung, um zu verstehen, worum es bei einer solchen Betrachtung geht. Synergien zwischen Profit und Gemeinwohl werden hier hervorragend beschrieben. 
 
Es geht um mehr als um eine reine Zertifizierung oder Rechtsform, es geht um Bildung der Wirtschaftsunternehmen, aber auch der NPOs. Das Verständnis, was verantwortungsvolles unternehmerisches Wirtschaften bedeutet, wird hier gestärkt. Das betrifft nicht nur das eigene Unternehmen, sondern darüber hinaus auch die Gesellschaft und die gesamte Ökonomie.
 
Literatur
 
  • Honeyman, Ryan (2019): The B Corp Handbook, Berret Koehler Publishers.
  • Marquis, Christopher (2020): Better Business, Yale University Press.
  • Taillard, Michael (2017): Aspirational Revolution The purpose-driven economy, Springer Nature.
  • Sanchez-Hernandez, Maria Isabel et al. (2021): Entrepreneurship in the fourth sector, Springer.
Dieser Beitrag erschien zuerst im freien Teil des Kultur Management Network Magazins Nr. 164: "Freischaffender Kulturbetrieb".

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