07.10.2021

Autor*in

Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Rückblick Konferenz der Visionen 2021

Sichtbar, stark und selbstbewusst

Wie wichtig gute Netzwerke und Interessensvertretungen für die Freien Darstellenden Künste sind, haben die vergangenen eineinhalb Jahren deutlich gezeigt. Welche Netzwerke dabei bereits existieren und wie sich die jeweiligen Akteur*innen die Zukunft vorstellen, ermittelte die "Konferenz der Visionen" des Verbunds Mitte:Ost Freie Darstellende Künste für Mittel- und Ostdeutschland.
Warum das alles?

Mit der Konferenz machten die Initiator*innen des Verbunds Mitte:Ost Freie Darstellende Künste den ersten Aufschlag für ihre weitere Verbundstätigkeit - was ihnen definitiv gelungen ist. Konkret verbergen sich hinter dem Verbund der Landesverbandes der Freien Theater in Sachsen e.V., der Landesverband Freier Theater Brandenburg e.V., das Landeszentrum Freies Theater Sachsen-Anhalt e.V., der Thüringer Theaterverband e.V. und die Servicestelle FREIE SZENE Sachsen. Menschen also, die sich für die Belange der Freien Szene innerhalb ihrer Bundesländer einsetzen, die Bedarfe ihrer Akteur*innen kennen und für sie als Interessensvertretung fungieren. Ihr Hauptanliegen wird schon mit Blick auf den Konferenzhashtag deutlich: #FreieSzeneStaerken. Dafür braucht es für die Initiator*innen des Verbunds vor allem mehr Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten, um sich nicht nur untereinander kennenzulernen, sondern vor allem Wissen miteinander zu teilen und voneinander zu lernen. Das gilt sowohl für die Akteur*innen der Szenen als auch für die Landesverbände selbst. Wie wichtig und ernst es ihnen mit diesen Anliegen ist, machten die Energie und das Feuer deutlich, die an diesem Konferenztag zu spüren waren.

Nun könnte man meinen, dass ein solcher Verbund für die Initiator*innen die ohnehin schon recht umfangreiche Gremienarbeit noch weiter intensiviert. Zudem ist "Freie Szene" nicht gleich "Freie Szene": So umfasst der Begriff mitunter auch die Sozio- und Stadtkultur, weshalb die Initiator*innen des Verbunds mitunter von den Freien Darstellenden Künsten oder dem Freien Theater sprechen. Hinzu kommt, dass die Verbände selbst (und damit auch die Akteur*innen) innerhalb der vier Bundesländern mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Welche das konkret sind und wie sich das auf den Verbundsarbeit selbst auswirkt, kann in der ersten Folge des projektbegleitenden Podcasts BLACKBOX nachgehört werden (wobei auch die anderen Folgen sehr hörenswert sind!). Entsprechend könnte es also schwierig sein, im Verbund (immer) auf einen Nenner zu kommen. Darauf wurde auch in der abschließenden Fishbowl der Konferenz aufmerksam gemacht.

Diesem Umstand waren sich die Veranstalter*innen aber bereits vor der Konferenz bewusst und nehmen längere Diskussionen und andere Hürden gern in Kauf. Denn es gibt auch viele grundlegende Aspekte, die die Freien Darstellenden Künste der vier Bundesländer einen: So ist die Freie Szene in Mittel- und Ostdeutschland eine ganz andere als die Off Szene Westdeutschlands. Hier gilt es also zu schauen, was sich in den 30 Jahren seit der Wende in den Freien Darstellenden Künsten der neuen Bundesländer verändert hat. Zudem gibt es in jedem dieser vier Bundesländer eine hohe Dichte an öffentlich geförderten Theatern, die viele Mittel bindet. Darüber hinaus hat die Pandemie die prekäre Lage der Freischaffenden weiter verschärft und gezeigt, wie notwendig Vernetzung ist, um sozialverträgliche Einkünfte und gute Produktionsbedingungen zu schaffen. Bereits in den letzten Jahren gab es viele Zusammenkünfte zwischen den vier Landesverbänden. Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR, haben sie nun die Chance ergriffen, um eine nachhaltige Struktur für eine langfristige, länderübergreifende Zusammenarbeit zu schaffen - mit dem Potenzial, bundesweite Strahlkraft zu entwickeln.
Wer Visionen hat, sollte nach Halle kommen

Unabhängig vom Hauptanliegen der Verbundsarbeit einte zunächst ein Gedanke viele der über 70 Teilnehmenden: "Endlich wieder eine Konferenz in Präsenz!" Entsprechend groß war die Freude, am 7. September im WUK Theater am Quartier in Halle (Saale) ohne Bildschirm mit anderen in Austausch zu kommen (mit einem entsprechenden Hygienekonzept und unter Einhaltung der 3G-Regel). Dies gilt umso mehr, da die Schwierigkeiten der Pandemie dazu geführt haben, dass sich viele Menschen der Freien Darstellenden Künste bei digitalen Vernetzungsformaten in den vergangenen Monaten kennengelernt haben und sich nun zum ersten Mal live sehen konnten.

Ziel der "Konferenz der Visionen" war es, gemeinsame Bedarfe und Lösungen der Freien Darstellenden Künste in Mitte- und Ostdeutschland zu identifizieren und daraus eine Vision für die weitere Verbundsarbeit zu entwickeln. Dafür arbeiteten die Veranstalter*innen mit vielfältigen partizipativen Formaten, bei denen die Teilnehmenden immer wieder ihre Komfortzone (mitunter auf spielerische Art und Weise) verlassen mussten. Wenngleich all diese Formate gut durchdacht und geplant waren, wirkten sie so ungezwungen und natürlich, wodurch es (selbst für Szene-Outsider*innen wie mich) alles andere als peinlich war, was absolut bemerkenswert ist. Ein Umstand, der nicht zuletzt mit der generell sehr offenen und herzlichen Konferenzdynamik zusammenhängt und den lösungsorientierten Ansatz der Veranstaltung hervorragend unterstützte.

Auf zu nahen und etwas ferneren Ufern

Um inhaltlich die gewohnten Gewässer zu verlassen - greifen wir hier einmal die Seefahrts-Metaphorik auf, die sich Dank des Kollektivs theatrale subversion durch die komplette Konferenz zog - warfen bereits zu Beginn der Konferenz drei Impulsvorträge einen wichtigen Blick über den Tellerrand der Freien Darstellenden Künste: Josephine Hage von Kreatives Sachsen zeigte mit Beispielen aus anderen Branchen, wie wichtig es für eine erhöhte Sichtbarkeit ist, mutig zu sein und aus der Reihe zu tanzen. So hat sich etwa eine Gruppe von Voralberger Handwerker (sic!) aus unterschiedlichsten Bereichen zum Werkraum Bregenzer Wald zusammengeschlossen, um mit internationalen (mitunter auch renommierte) Designer*innen Handwerkskunst entstehen zu lassen. Die jeweiligen Handwerke werden damit nicht nur zukunftsfähiger, sondern bekommen auch ein besseres Image - um letztlich auch Nachwuchs zu gewinnen. Ebenso wurde der Werkraum zu einem wichtigen Knotenpunkt für die Vernetzung der Handwerksszene. Aber auch innerhalb der Freien Szene gibt es bereits hervorragende Beispiele: So können sparten- bzw. szeneübergreifende Kooperationen dabei helfen, sichtbarer zu werden, wie insbesondere das digitale Format "Klubnetz meets Tanznetz" deutlich machte. Dieses schaffte es sogar auf Arte Concert und erreichte damit ein internationales Publikum. Ebenso sei es unverzichtbar, direkt auf Politik und Verwaltung zuzugehen, um den Verantwortlichen ein Verständnis für die eigenen Produktionsbedingungen und Bedarfe zu vermitteln: Lobbyarbeit lautet hier die Devise. Um in Leipzig beispielsweise die Clubszene zu stärken, haben Clubbetreiber*innen die Clubtour speziell für kulturpolitische Akteur*innen und Verwaltungsmitarbeitende initiiert.

Jonas Zipf, der Leiter von JenaKultur, gab Einblicke in das Modell kommunaler Eigenbetriebe, die mitunter sehr komplex sind und damit innerhalb des Betriebs unterschiedliche Bedürfnisse zu berücksichtigen sind. JenaKultur vereint dabei Einrichtungen der kulturellen Bildung, hochkulturelle Häuser sowie den Tourismus und das Stadtmarketing. Dabei machte er deutlich, dass eine klare Kommunikation - wie so oft - in solch großen Betrieben ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist, insbesondere wenn es um die Vergabe von Mitteln geht. Über den aktuellen Stand der Fördervergabe in den ostdeutschen Bundesländern informierte Steffen Klewar (Programmleiter Fonds Darstellende Künste) aus Bundesfördererperspektive. Dabei räumte er mit den Vorurteilen auf, dass es Förderanträge aus Ostdeutschland schwerer haben. Zum einen werde der Fonds mit solchen Statements auch aus westdeutschen Bundesländern konfrontiert. Zum anderen läge die Förderquote der Programme #TakeThat und #TakeHeart sowie von Sonderförderprogrammen in Ostdeutschland über dem Bundesdurchschnitt. Wünschenswert wäre hier fürs bessere Verständnis eine kurze visuelle Präsentation eben jener Verteilungen gewesen. Wen das konkreter interessiert, der oder die findet alle Impulsvorträge als Aufzeichnungen bei YouTube.

Absolut begrüßenswert waren zudem die beiden thematisch voneinander abgegrenzten Workshoprunden, bei denen die Teilnehmer*innen miteinander und mit den eingeladenen Expert*innen in den direkten Austausch kommen konnten. In den beiden Workshops zum Thema STRUKTUREN ging es dabei um folgendes:
  • Welche Strategien brauchen die Freien Darstellenden Künste Mitte:Ost für mehr Sicht- und Hörbarkeit? Und was soll dabei von wem wahrgenommen werden? Angeleitet wurden sie dabei von Björn-Helge Meyer, der die Leitung Politik & Gremien Bundesverband Freie Darstellende Künste innehat.
  • Wie lassen sich nachhaltige Kommunikations- und Arbeitsstrukturen zwischen Kultur, Regionalentwicklung und den Ländern und Kommunen entwickeln? Welche vorhandenen Ressourcen lassen sich nutzen - und welche braucht es noch? Der Workshopleiter Christian Bodach, gab hierbei Einblicke in seine Erfahrungen als Projektleiter von f/stop - Festival für Fotografie Leipzig, 100 jahre bauhaus, BUGA 2015. Ebenso machte deutlich, wie wichtig Mut und ein kleiner Hang zum (durchdachten) Größenwahn sind, um letztlich auch eher skeptische Entscheider*innen sowie Multiplikator*innen von der eigenen Idee und deren Umsetzbarkeit zu überzeugen.
In den darauffolgenden drei Workshops zum Thema PRAXIS wurden Fragen besprochen, die viele der Teilnehmenden in ihrem Arbeitsalltag umtreiben. So gaben Sabine Chwalisz, Künstlerische Leitung der Fabrik Potsdam und Tom Wolter, Künstlerische Leitung WUK Theater Quartier Halle Einblicke in ihre Erfahrungen mit dem Aufbau von Theater- und Produktionshäusern. Dirk Förster, als Kurator, Berater und Produzent tätig, erarbeitete indes mit den Teilnehmer*innen seines Workshops die Strukturen für ein mitteldeutsches Gastspiel- und Touringsystem und brachte die Erwartungen und Wünsche der Kulturschaffenden an ein länderübergreifendes Netzwerk zusammen. Im dritten Workshop legte Nathalie Frank, Kulturvermittlerin im Performing Arts Programm, den Teilnehmenden Strategien zur Publikumsgenerierung nahe. Dabei wurden diese aktiv zur Entwicklung eigener Strategien und der Weiterentwicklung bestehender ihrer Einrichtungen angeregt. Wenngleich dieses wichtige Thema sicherlich einen eigenen Konferenztag hätte einnehmen müssen, um wirklich in die Tiefe zu gehen, ist es doch verglichen mit anderen Konferenzen absolut lobenswert, das Thema Publikumsforschung überhaupt praktisch und damit nachvollziehbarer anzugehen. Nicht zuletzt, da viele Teilnehmende berichteten, das hierfür in ihrem Alltag schlicht Ressourcen jeglicher Art fehlten.

Fazit: Volle Fahrt voraus!

Sie werden es sicherlich bereits gemerkt haben, aber ich will es dennoch in aller Deutlichkeit zusammenfassen: Mit der "Konferenz der Visionen" hat der Verbund Mitte:Ost einen wahrlich gelungenen Auftakt für seine weitere Arbeit und die damit verbundenen Vorhaben gemacht. Davon - insbesondere dem Mut zu partizipativen Formaten und der herzlichen Offenheit der Veranstaler*innen - können sich einige bereits etablierte Vernetzungsformate einiges abschauen. Dass die Konferenz wirklich nur ein Anfang ist, zeigt unter anderem der Podcast BLACKBOX.  Dieser begleitet(e) die Konferenz nicht nur davor und danach, sondern wurde inhaltlich wie qualitativ hochwertig und absolut durchdacht produziert. All das macht Lust auf mehr, wobei den Initiator*innen anzumerken war, dass sie diese selbst bereits haben.

Es bleibt allen Beteiligten daher einerseits zu wünschen, dass sie diese enorme Energie weiterhin beibehalten (kleiner Tipp für künftige Konferenzen an dieser Stelle: mehr Zeit und mehr Pausen sind hierfür unverzichtbar!). Andererseits wäre es wünschenswert, dass sich die bisher noch ungleiche Verteilung der Teilnehmer*innen aus den vier Bundesländern künftig ausbalanciert: Denn während die Freien Darstellenden Künste aus Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits zahlreich vertreten waren, waren die Teilnehmendenzahlen aus Brandenburg und Thüringen recht überschaubar. Aber vielleicht haben die jeweiligen Verbände das auch das schon an ihre Mitglieder weitergegeben, denn letztlich kann der Verbund nur dann volle Fahrt aufnehmen und die Interesse seiner Akteur*innen vertreten, wenn diese sich ihm anvertrauen und ihre Visionen mit ihm teilen. Damit verbunden bleibt aber vor allem der Wunsch, dass der Verbund Mitte:Ost all seine Ziele erreicht, damit die Freien Darstellenden Künste künftig (noch) sichtbarer, stärker und vor allem selbstbewusst im Kulturbetrieb wirken. Also genau so, wie sie bereits bei der "Konferenz der Visionen" zu erleben war.
 
Impressionen der Konferenz der Visionen 2021
 

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