18.05.2009

Autor*in

Irene Knava
ist Korrespondentin für Kulturmanagement Network.
Best Practice

Vom Führerbau zum Wissensturm. Vom Stahlkessel zu High-Tech

Ein Streifzug durch die diesjährige europäische Kulturhauptstadt Linz von Irene Knava.
72 Mio EUR für ein Jahr Kulturhauptstadt. Zahlt sich das aus? Kann eine Stadt damit ihren Imagewandel bezahlen - von einer Stahlstadt zu einer Kulturstadt? Oder wird mit dem Kulturhauptstadtjahr vielmehr auch auf kultureller Ebene an das internationale Niveau modernster Hochtechnologieunternehmen wie die VOEST das heute ist, an- und aufgeschlossen? Hochtechnologie und Ars Electronica (das erste Festival fand 1979 statt), das macht inhaltlich schon Sinn. Und genau darum geht es bei Linz 09: auf internationaler Ebene darzustellen, dass Linz auch eine Kulturstadt ist. Wenn man an Österreich und Kultur denkt, denkt man an Wien und Salzburg. Ab sofort muss man auch Linz mitdenken. Nur dass der Kulturbegriff ein anderer ist ein moderner, junger, in die Zukunft gewandter. Da geht es um Neue Medien, das 21. Jahrhundert. Zielgruppe sind die Menschen, die in den Technologieunternehmen arbeiten: nicht mehr im Stahlkessel rühren, sondern die Computerprogramme schreiben, die den Stahlkessel bedienen.

Der Prozess vom ersten Vorschlag bis zur Realisierung von Linz 09 dauert insgesamt 20 Jahre. In dieser Zeit ist kulturell einiges in Linz passiert. Sichtbarstes Beispiel das 1996 gebaute Ars Electronica Center am Donauufer. Kulminationspunkt dieses Prozesses ist Linz 09. Wohin fließt das Geld? In Gastspiele und internationale Kompagnien oder in regionale Strukturen und lokale Veranstalter? Wer profitiert vom finanziellen Füllhorn? Die Freie Szene und lokale Initiativen fühlen sich benachteiligt und zählen auf einer eigenen Homepage (www.linz0nein.org) schon den Countdown bis zum 31.12.2009. Dann ist Linz 09 vorbei. 30% des Programmbudgets fließen in lokale KünstlerInnen und Initiativen. Für die Freie Szene zu wenig. Die Erwartungen waren scheinbar andere. Vielleicht zu hoch? Die Freie Szene präsentiert in einer eigenen Broschüre selbstbewusst in hochwertigem Gold gehalten - all die Projekte, die von Linz 09 nicht realisiert worden sind. Bitter, denn genau diese Freie Szene war an der Werdung von Linz 09 stark beteiligt.
Denn das ist das Besondere an Linz 09 die Entstehung. Im Jahr 1990 gibt es den ersten Vorschlag zur Bewerbung als Kulturhauptstadt. Im Jahr 2000 gibt es dann einen Gemeinderatsbeschluss über die Bewerbung von Linz als Kulturhauptstadt. Dass Linz den Beschluss zur Bewerbung gefasst hat, kann man in einem umfangreichen öffentlichen Kulturentwicklungsplan nachlesen. Das ist spannend. Ein kulturelles Strategie-Papier der Stadt. Der Kulturentwicklungsplan wird partizipativ unter Teilnahme der Bevölkerung und unterschiedlicher kultureller Institutionen und Initiativen erstellt. Der politische Wille steht somit auf einer breiten Basis und die Identifikation mit dem Konzept ist groß. Im Jahr 2004 erfolgt der Aufruf der österreichischen Bundesregierung an die Bundesländer, Städte für das Kulturhauptstadtjahr zu nominieren. Mehrere Städte planen eine Bewerbung, darunter auch Innsbruck und Krems. Letztendlich gibt aber nur Linz eine Bewerbung ab und kommt zum Zug. Ein fertiges Konzept und der bereits erzielte politische Beschluss sind Wettbewerbsvorteile. Im Gegensatz zu anderen Bewerberländern ein typisch österreichischer Prozess. In anderen Ländern herrscht stets reger Wettbewerb, in Deutschland kämpften für die Kulturhauptstadt 2010 ein gutes dutzend Städte um die Nominierung. In Österreich wird nicht gekämpft. Hier gab es nur einen einzigen Kandidaten tu felix Austria.
Das Linzer Kulturamt, das den Begriff Amt schon lange abgelegt hat und sich Linz Kultur nennt, war an der Entstehung von Linz 09 maßgeblich beteiligt. Das klingt vielleicht logisch, ist aber in anderen Ländern und Städten nicht der Fall. Da werden Tourismus- oder Stadtmarketing-Organisationen mit dem Bewerbungsprozess betraut. Mit kulturellen Visionen hat das relativ wenig zu tun. Im Gegensatz dazu hat Linz Kultur den Kulturentwicklungsplan erstellt und auch alle Vorbereitungsarbeiten für die Bewerbung von Linz als Kulturhauptstadt betreut. Vorteilhaft waren ein bereits bestehendes umfangreiches Netzwerk an internationalen Kontakten und das Know How als (internationaler) Kulturveranstalter. Bereits im September 1998 war Linz Kulturmonat ebenfalls von Linz Kultur ausgerichtet. Jährlich veranstaltet Linz Kultur auch das "Pflasterspektakel" ein mehrtägiges internationales Straßenkunstfestival. Hier sind also keine klassischen BeamtInnen am Werk, sondern Kultur-ManagerInnen.
2005 erfolgt die Ausschreibung für die Intendanz. Der Schweizer Martin Heller, der die Bewerbung von Bremen als Kulturhauptstadt vorbereitet und 2002 auch die Schweizer Expo organisiert hat, geht in einem Hearing als Sieger hervor. Wenig später wird der kfm. Geschäftsführer Dr. Walter Putschögl ernannt. Er kommt aus dem Tourismus des Landes Oberösterreich. Es wird eine GmbH gegründet und am 1. Oktober 2005 beginnt das Team zu arbeiten. Die im Kulturentwicklungsplan festgeschriebene Frauenförderung bleibt bei den beiden Führungsfunktionen unberücksichtigt. Diese bleiben fest in Männerhand, obwohl von den insgesamt je 30-40 BewerberInnen ca. ein Drittel weiblich waren. Das Duo wächst im Lauf der Zeit auf ca. 60 MitarbeiterInnen an. Organisation und Struktur sind die größten Herausforderungen. MitarbeiterInnen fluktuieren, das Führungsteam ist jedoch noch immer im Amt - auch das ist eine Besonderheit von Linz 09.
Was hat Europa davon, dass Linz Kulturhauptstadt ist? Linz thematisiert sein historisches Erbe und stellt das Thema Nationalsozialismus und die Zeit zwischen 1938 und 1945 in den Mittelpunkt. Die inhaltliche Achse wird in einem Statement festgeschrieben. "Linz 09 ist in einer Stadt verortet, deren Geschichte es im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres auf europäischer Ebene wie auch lokal zu thematisieren gilt. Eine wichtige Position nimmt dabei jene Zeit ein, in der die heutige Kulturhauptstadt als "Führerstadt" galt und umgeben war von einem Ring an Vernichtungsorten (Mauthausen, Gusen, Ebensee und Hartheim). Spuren des Nationalsozialismus sind nicht nur im Umland, sondern auch in der Stadt selbst spürbar und bis zur Gegenwart hin wirksam in den sogenannten "Hitlerbauten", in den Industrieanlagen der VOEST (die ihren Ursprung in den "Hermann Göring Werken" hat) und auch in den Baumaterialien scheinbar unscheinbarer Bauten, die in der NS-Zeit mit Mauthausener Granit gefertigt wurden, der mit dem Leben der KZ-Häftlinge bezahlt wurde." Es geht "um eine Reflexion der Fakten und deren Einbettung in gegenwärtige Fragestellungen".
Was haben die Stadt Linz und deren BürgerInnen nachhaltig vom Kulturhauptstadtjahr? Es wurde eine kulturelle Infrastruktur geschaffen, die ohne Linz 09 nicht entstanden wäre: die Landesbibliothek, das neue Musiktheater, das Museum Lentos, der Südtrakt des Linzer Schlosses und die Bruckner Universität. Bestehende Institutionen werden "herausgeputzt". Auch die neue Hülle für das Ars Electronica Center, das nun schon von weitem sichtbar ist. 250 Mio werden insgesamt bis 2013 in große Kulturbauten investiert. Es werden zusätzliche Arbeitsplätze in diesen Institutionen geschaffen. Das Kulturbudget der Stadt Linz steigt nachhaltig an. Linz wurde von vielen neu entdeckt: statt Kohlegestank und Schwärze gibt es Parkanlagen und eine barocke Innenstadt. Linz 09 hat sichtbar gemacht, dass die Entwicklung der Stadt Linz eine internationale ist. Die Spiegeleier als visueller Anker im Stadtbild.
Auf der anderen Seite gibt es Befürchtungen, dass ab 2010 die finanziellen Mittel für Kultur und Kulturschaffende vertrocknen werden. Dass das Kulturhauptstadtjahr zu viele Mittel frisst, die dann in den weiteren Jahren eingespart werden müssen. Dann hätten sich die schlimmsten Erwartungen der Freien Szene erfüllt. Mit Sicherheit verschwinden die Linz-09-Ansagen in der Straßenbahn, verschwindet der rote Teppich am Bahnhof. Verschwinden die Spiegeleier aus dem Stadtbild. Aber wenn ein Kulturpolitiker von "Risiko-Kapital" anstelle von "Subvention" spricht, dann ist das ein Gewinn. Nachhaltig.
MMAG. IRENE KNAVA Studium der Theater- und Handelswissenschaft und des Kulturmanagements (MAS) in Wien. Seit 1996 als Kulturmanagerin in leitenden Funktionen tätig. Seit 2002 freiberufliche Trainerin im Kulturbereich. Lehraufträge an österreichischen Universitäten.

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