25.02.2022

Themenreihe Besucherforschung

Autor*in

Lisa Lehnen
studierte im Master Arts & Cultural Management an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie arbeitet in Köln als Produktionsleitung einer Kompanie sowie als Projektmanagerin und Dozentin im Kultur- und Bildungsbereich für verschiedene Non-Profit-Organisationen. Ihr besonderes Interesse gilt der Neu-Bewertung und Neu-Formulierung der Forderung "Kultur für alle", damit diese (endlich) umfänglich in die kulturelle Praxis einbezogen und von Institutionen und Akteur:innen gelebt wird.
Empfehlungen für partizipative Kulturarbeit in Nachbarschaften

Nehmen Sie teil?

Kulturellen Aktivitäten wird häufig das Potenzial zugeschrieben, Menschen zusammenzubringen. Wie aber kann sich dieses in einem Umfeld mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen entfalten? In ihrer Masterarbeit untersuchte Lisa Lehnen, ob - und wie - partizipativ angelegte, kulturelle Nachbarschaftsprojekte für ein breites lokales Publikum zugänglich gemacht und die Bewohner:innen in ihrer Demographie (besser) widergespiegelt werden können. Dafür hat sie abschließend zehn Handlungsempfehlungen formuliert.*

Themenreihe Besucherforschung

In den letzten Jahrzehnten haben sich Theoretiker:innen und Praktiker:innen auf den Spuren des Hoffmanschen Leitspruchs "Kultur für alle" ausführlich mit verschiedenen Aspekten der Forderung nach mehr Teilnahme und Teilhabe beschäftigt. Dennoch sind die meisten Bemühungen im Bereich der Kultur bisher oft zu kurz gedacht, um tatsächlich unterschiedlichen Menschen Partizipations- und Identifikationsmöglichkeiten zu bieten. Individuelle und strukturelle Barrieren haben dabei Auswirkungen auf die Akteur:innen, viele von ihnen sind systemischer Natur oder Teil gesellschaftlicher und politischer Denkweisen. Eine gezielte Öffnung von Institutionen und Strukturen sowie die Ansprache durch kulturelle Angebote, z. B. in Nachbarschaften, kann diese aufbrechen und lokal neue Zugänge ermöglichen.
 
Teilhabe - ein weitreichender Diskurs
 
Theoretisch steht die "kulturelle Teilhabe" seit den 1970er Jahren im Vordergrund von Förderdebatten, Projektentwicklung und Politikgestaltung in Deutschland. Durch die ergriffenen Maßnahmen sollte der "kulturellen Unterversorgung bestimmter Gesellschaftsschichten" entgegengewirkt und damit eine "Demokratisierung der Gesellschaft durch Kultur und Kulturpolitik" ermöglicht werden (Klein 1995:186). Oft zeigt sich jedoch, dass nicht nur andere Prioritäten und Sekundärfunktionen die Forderung überschatten, sondern lediglich ein kleiner Prozentsatz der heterogenen Bevölkerung in Deutschland überhaupt regelmäßig staatlich geförderte Kulturangebote nutzt. 
 
Der Partizipationsdiskurs betrifft also nicht nur marginalisierte Gruppen, denn - ohne das Thema banalisieren zu wollen - "es gibt auch einen ganz großen Teil von Akademikern, die gut verdienen und in einem guten Stadtviertel wohnen, die Kunst und Kultur nicht rezipieren und nicht wahrnehmen" (Thele 2020). Werden Projekte demnach ansprechend und offen genug geplant, um möglichst viele zu erreichen? Und inwieweit werden sie dem Recht eines jeden Menschen "am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen" gerecht, das unter anderem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Vereinte Nationen 1948, Artikel 27) verankert ist? Bis heute klaffen große Lücken zwischen politischen Forderungen, gesellschaftlichen Erwartungen, Forschung und der Umsetzung. 
 
Um diese Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überwinden, braucht es neue Forschung und Ansätze, die in der Praxis verankert sind. Daher wählte ich als Ausgangspunkt meiner Masterarbeit zunächst eine Fallstudie, um die Struktur der Teilnehmenden und Besucher:innen eines nachbarschaftlichen Kulturprojekts zu untersuchen. Dieses wurde gut angenommen und von einer Vielzahl von Personen genutzt, was zu einer Wahrnehmung von großer Diversität seitens der Projektverantwortlichen führte. Allerdings gab es nur eine geringe Übereinstimmung in Bezug auf Herkunft, Altersstruktur, Geschlecht oder Bildungsniveau der Besucher:innen, verglichen mit den demographischen Merkmalen der gesamten Nachbarschaft. Eine von den Projektmacher:innen wahrgenommene Vielfalt bedeutet also nicht automatisch die demographische Repräsentation eines Stadtviertels. Wie aber kann man genau diese erreichen? Was trägt dazu bei, dass sich eine diverse Gesellschaft angesprochen und zur lokalen Teilhabe an Kultur ermutigt fühlt? Diesen Fragen näherte ich mich zum einen auf einer theoretischen Ebene, aber auch im Gespräch mit sechs Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen, Funktionen, Institutionen und (kulturellen) Schwerpunktthemen. Ausgehend von der Überzeugung, dass jede:r ein Recht auf kulturelle Teilhabe hat, untersuchte ich in der Arbeit, welche Faktoren kurz- und langfristig dazu beitragen können, dass die demographische Realität eines Viertels in partizipativen Kulturprojekten angemessen repräsentiert wird.
 
Kultur für, durch und mit allen - eine neue Perspektive auf Teilhabe 
 
Menschen engagieren sich in unterschiedlichsten informellen (kulturellen) Aktivitäten: Nachbar:innen kommen zusammen, um einen Garten zu bepflanzen, über nachhaltige Stadtentwicklung zu sprechen, Räume (zurück) zu erobern oder Hofflohmärkte zu veranstalten. Sie spielen Theater, feiern Straßenfeste, kochen und essen gemeinsam, veranstalten Workshops. Öffentliche Räume werden umgestaltet durch bürgerschaftliches Engagement, öffentliche und private Gebäude für großflächige Kunstwerke lokaler und internationaler Künstler:innen zur Verfügung gestellt. Dies zeigt zum einen, dass Kultur und Teilhabe in Gemeinschaften sehr unterschiedliche Formen annehmen können. Es belegt aber gleichzeitig die kollektiven kulturellen Bedürfnisse, die im öffentlichen Raum und in der Gesellschaft außerhalb der herkömmlichen kulturellen Infrastrukturen bestehen.
 
Die Gestaltung von Kultur für, durch und mit allen Menschen impliziert daher vor allem die Abkehr von einem statischen Kulturkonzept und einer limitierten Perspektive auf Teilhabe. Es ist offensichtlich, dass derselbe Kulturbegriff, der jahrzehntelang die kulturellen Angebots- und Finanzierungsstrukturen bestimmt hat, nicht unverändert auf heutige und zukünftige Entwicklungen übertragen werden kann. Er löst sich angesichts eines pluralistischen Verständnisses von kultureller Praxis und der Aufhebung der Grenzen zwischen Alltagsleben und Kultur zunehmend auf. Dazu gehört es auch, die eigene Wahrnehmung und Arbeitsweisen zu überprüfen und entsprechend zu hinterfragen. Letztlich kann es vor allem dieser Perspektivwechsel sein, der zu einem neuen Verständnis des Partizipationsbegriffs und seiner Umsetzung führt.
 
Einen Fokus kann man dabei vor allem auf die Stadtteilkulturarbeit legen. Denn "partizipative Kunstprojekte sind eines der besten Mittel, die uns zur Verfügung stehen, um ein Engagement der Menschen zu gewährleisten" (Matarasso 1997, S. 77). Dies erfordert das Zusammenwirken aller Akteur:innen in den Kultureinrichtungen sowie den jeweiligen Stadtteilen, in denen partizipative Projekte realisiert werden sollen. 
 
Die Ansätze und Bedingungen für partizipative Kulturprojekte in Stadtteilen haben sich jedoch seit den 1970er Jahren kaum verändert. Sie scheitern nach wie vor häufig an einschränkenden Faktoren wie der ungleichen Einbindung in den Planungsprozess (von Initiator:innen und der teilnehmenden Öffentlichkeit) und einer vordefinierten Agenda. Obwohl Kulturakteur:innen sich häufig der Hindernisse bewusst sind, gelingt es trotz dieser Erkenntnis nur selten, Barrieren abzubauen, weshalb wenig Raum für neue Ideen und Konzepte existiert. Projekte im Kultursektor basieren meist auf einer "eingeladenen Beteiligung", die durch Initiator:innen und Strukturen bereits einen gewissen Rahmen vorgibt. An dieser Stelle wird oft die Chance verpasst, durch die Einbindung vieler unterschiedlicher Stimmen und mehr Planungssicherheit nachhaltige Strukturen in Quartieren zu etablieren. Ein Umdenken könnte dazu beitragen, dass Kulturinitiativen über den Rahmen eines einzelnen Projekts hinaus wirksam bleiben.
 
Dennoch bestätigen sowohl die bisherige Forschung als auch meine Interviewspartner:innen, dass es utopisch ist, davon auszugehen, dass alle mitmachen, wenn nur genug angeboten wird. Ebenso kann eine Öffnung und die Einbeziehung vieler durchaus auch problematisch sein: konfliktreich in der internen sowie externen Ausrichtung und Kommunikation und zudem sehr bürokratisch. Dieser Tragweite müssen sich Projektintiator:innen und Institutionen gleichermaßen bewusst sein, wenn sie Teilhabeprozesse anstoßen, die immer auch bestehende Strukturen tangieren und verändern. Sie sind komplex, fordern heraus, können scheitern. Aber wenn es gemeinsam gelingt, diese Hürden zu meistern, sind die Ergebnisse und Folgen häufig umso bereichernder für alle Beteiligten.
 
Empfehlungen für gelingende Partizipative Kulturarbeit in Nachbarschaften 
 
Der Begriff "Teilhabe" entzieht sich einer klaren Definition und beschreibt vielmehr einen dynamischen, komplexen und sich beständig wandelnden Prozess mit vielen Akteur:innen und Zielen. Ebenso gibt es keine allgemeingültige Strategie zur Förderung von Teilhabe an kultureller Praxis. Es ist vielmehr eine Kumulation verschiedener Faktoren, die Projekte (potenziell) erfolgreich und zu einem Gewinn für die Teilnehmer:innen sowie die jeweilige Nachbarschaft machen. Dennoch haben sich einige Faktoren herauskristallisiert, die die Wirkung eines partizipativen Projektansatzes zu verstärken scheinen. 
 
Das übergeordnete Ziel sollte immer eine positive kulturelle Erfahrung für viele sein - sowohl auf individueller als auch auf gemeinschaftlicher Ebene. Von zentraler Bedeutung ist dafür zum einen der Abbau physischer Barrieren. Zum anderen muss das Projektteam oder die Institution den eigenen Anspruch haben, das Publikum in den Mittelpunkt der Aktivitäten zu stellen, es umfassend einzubeziehen und eine Beteiligung zu ermöglichen. Darüber hinaus kann es hilfreich sein, die folgenden Empfehlungen zu berücksichtigen, die teilweise eng miteinander verknüpft sind:
 
1) Den Prozess als Ziel anerkennen: Die Abwendung von einem produktorientierten Projekt hin zu einer Betrachtung als kollaborativ ausgerichtetem Prozess, wird der demographischen Vielfalt eines Quartiers in den meisten Fällen viel eher gerecht. Insbesondere, da ein solcher Prozess das eigentliche Ziel des Kulturprojekts ist. Eine jeweils gemeinsame Vorbereitung-, Durchführungs-, Abschluss- sowie Nachbereitungsphase sollten in Betracht gezogen werden, denn "positive soziale Wirkungen können ohne eine strategische Vision nicht aufrechterhalten werden" (Matarasso 1997, S. 82). Es ist dafür beispielsweise hilfreich, eine Analyse des Stadtteils und der Bedürfnisse seiner Bewohner:innen durchzuführen. Dazu sind die Verbindungen mit lokalen Multiplikator:innen, der Aufbau von Partnerschaften und die Zusammensetzung eines vielfältigen Teams unerlässlich, das möglichst (demographisch) repräsentativ für das Quartier ist. Eine strukturelle Voraussetzung hierfür wäre u. a., diese Vorarbeit im Quartier bereits im Budgetplan einzukalkulieren.
 
2) Schwerpunkt(e) setzen: Insbesondere bei begrenzten Ressourcen ist es für ein Projekt unerlässlich, einen klaren Schwerpunkt zu setzen. Zu den Fragen, die bereits im Vorfeld der konkreten Planung und für die Projektkonzeption gestellt werden sollten, gehören: An wen richtet sich das Angebot? Was ist das konkrete Ziel? Was bedeutet dies für das Projekt und den vorgegebenen Zeitraum? Ziele sollte nicht nur betriebswirtschaftlicher, organisatorischer und struktureller Natur sein, sondern auch ganz klar die soziale Ebene berücksichtigen. Das Projektteam nimmt dabei eine begleitende und moderierende Rolle ein, es kann aber auch aktiv am Abbau von Barrieren durch die Künste mitwirken und neue Impulse geben.
 
3) Erwartungen miteinander abstimmen und Verantwortlichkeiten klären: Neben aller Offenheit für neue Ideen und andere Herangehensweisen ist es wichtig, die Erwartungen aller Beteiligten von Anfang an aufeinander abzustimmen: "Es braucht ein Gleichgewicht zwischen persönlichen Wünschen [der Initiator:innen] und den Wünschen der Gemeinschaft" (Karjevsky 2020). Nur wenn klar ist, was die einzelnen Interessensgruppen von einem Projekt wollen, kann es auf bestmögliche Weise mit dem Potenzial hoher Beteiligung umgesetzt werden. Dafür müssen sprachliche Begrifflichkeiten geklärt sowie Verantwortlichkeiten verteilt werden. Dies sollte unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen (z. B. Geld, Zeit, Personal) geschehen.
 
4) Menschen als Expert:innen wahrnehmen: Die Anwohner:innen im Viertel sind Expert:innen für ihre eigene Lebenswirklichkeit. Insofern ist es gerade bei der Umsetzung eines Kulturprojekts in einem bestimmten Stadtteil wichtig, die Bewohner:innen und ihre Geschichten von Beginn an aktiv in Prozesse und relevante Entscheidungen einzubeziehen. Dadurch entsteht das notwendige Bewusstsein dafür, "wie sie diesen Ort wahrnehmen, wie die Abläufe sind und was getan werden kann und was nicht" (Halbrecht 2020). Dies ermöglicht ein hohes Maß an Mitbestimmung aller Nachbar:innen und erhöht vermutlich maßgeblich die Identifikation, Aktivität und das Engagement im Verlauf des Projekts.
 
5) Botschafter:innen finden: Um eine ständige Ansprechbarkeit vor und während der Projektlaufzeit zu gewährleisten, sollte mindestens eine Kontaktperson etabliert werden, die neben dem Projektteam eine Art Gastgeberfunktion im Quartier übernimmt. Wie ein:e "Botschafter:in" agiert diese nah am Alltagsleben im jeweiligen Stadtteil und ist in der Lage, informell mit den Nachbar:innen ins Gespräch zu kommen. Häufig existieren solche Personen in Vierteln bereits, beispielsweise als Vertreter:innen bestimmter Communities, und können konkret einbezogen werden. Durch ihre Präsenz werden Beziehungen und Vertrauen aufgebaut und ein Gefühl der Zugehörigkeit geschaffen. Eine konkrete Maßnahme können z. B. Rundgänge im Quartier mit einer mobilen Station/Installation sein, die an wechselnden Standorten aufgestellt wird, ins Gespräch bringt und Ideen sammelt. Dies ermöglicht zwanglose Begegnungen in Alltagssituationen.
 
6) Wert auf (gute) Kommunikation legen: Ähnlich wie der Kontakt mit den Nachbar:innen wird auch der Bereich der Kommunikation oft als Nebenaspekt eines Projekts betrachtet. Um jedoch eine breite Öffentlichkeitswirkung zu erzielen und die gewünschten Zielgruppen und Teilnehmer:innen zu erreichen, müssen Kommunikationsstrategien bereits in der Konzeptphase berücksichtigt und geplant werden. Es ist ratsam, die Nachbarschaft im Hinblick auf ihre Demographie und die lokalen Annehmlichkeiten genau zu untersuchen, um zu entscheiden, wie und wo kommuniziert werden soll. Dies betrifft unter anderem die Bereiche Mehrsprachigkeit, Sprachniveau und Kommunikationsorte (z. B. analog/digital, über Plakate, soziale Medien, Zeitschriften, Multiplikator:innen usw.).
 
7) Experimentell sein: Offen zu sein für Experimente, bedeutet auch, das Unerwartete zu planen. Dazu gehört es, ein interaktives Experimentierfeld, z. B. in Form offener Bürger:innen-Werkstätten, zu schaffen, das den Raum für Dialoge und die Möglichkeiten für neue Erfahrungen und kreative Freiheit(en) eröffnet. Denn es "liegt das Potenzial künstlerischer Partizipation doch gerade darin, durch kreative Strategien festgefahrene Verfahren aufzubrechen" (Mader 2019:177). Die Förderung einer solchen Experimentierfreude auf Seiten der Bewohner:innen kann dazu führen, dass in der Nachbarschaft überraschende Ideen, Aktivitäten und Entwicklungen entstehen. Es empfiehlt sich daher, diesen Raum möglichst früh und durchgängig zu öffnen.
 
8) Nachhaltigkeit anstreben: Zu Beginn eines Projekts steht die soziale Nachhaltigkeit von Aktivitäten und Prozessen möglicherweise nicht im Vordergrund der Überlegungen. Nichtsdestotrotz sollte der Aufbau einer lokalen Infrastruktur und eines Kompetenznetzwerks angestrebt werden, insbesondere für lokale Institutionen. Langfristig kann dies zum Aufbau von eigenständigen Ressourcen führen und neue, unabhängige Projekte in der Nachbarschaft entstehen lassen.
 
9) Messbarkeit implementieren: Evaluation und Messbarkeit sind wahrscheinlich die unbeliebtesten Aufgaben für viele Projektinitiator:innen. Gleichzeitig sind es aber sehr wichtige Aspekte, die vor, während und nach Abschluss eines Projekts zu berücksichtigen sind. Nicht nur, um gegenüber Fördergeber:innen die Finanzierung zu rechtfertigen, sondern vor allem, um selbst daraus zu lernen und Schlussfolgerungen für zukünftige Projekte ziehen zu können. Es sollten dafür im Projektverlauf sowohl quantitative Daten erhoben, als auch andere Möglichkeiten zur Bewertung (nicht) erfolgreicher Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Dazu können beispielsweise im Rahmen einer Wirkungsanalyse bestimmte Faktoren und Indikatoren festgelegt werden.
 
10) Grenzen akzeptieren - eigene und die des Projekts: Gerade im Rahmen von partizipativen Projekten kann die Arbeit mit vielen verschiedenen Akteur:innen und die Berücksichtigung zahlreicher Bedürfnisse in einem Quartier frustrierend werden. Es ist nicht immer möglich, alle Wünsche innerhalb eines Projektrahmens umzusetzen, insbesondere wenn Ressourcen begrenzt sind. Solche (vermeintlichen) Einschränkungen als Potenziale statt als Hindernisse zu erkennen und entsprechend proaktiv anzugehen, scheint für erfolgreiche Projekte häufig der Schlüssel zu sein. Manche Effekte treten auch nicht sofort ein, aber langfristige Auswirkungen sind in der Regel zu beobachten.
 
Fazit
 
Die zehn formulierten Handlungsempfehlungen sind als unvollständige Sammlung zu betrachten und sollen sowohl Erinnerung als auch Aufruf an Kultureinrichtungen und Kulturakteur:innen sein, sich ihrer Verantwortung einerseits und der Potenziale andererseits bei der Arbeit in einem lokalen Umfeld bewusst zu werden. Sie machen die Komplexität der partizipativen Kulturarbeit in Stadtvierteln deutlich. Denn die Einbeziehung einer Vielzahl von Stimmen und die Beteiligung vieler in Projekte und Prozesse bedeutet häufig zusätzliche Arbeit. Das wiederum erfordert Ressourcen sowie eine gewisse Sensibilität seitens der Kulturschaffenden. Dennoch können die langfristigen Ergebnisse weitreichend und lohnend sein. Möglichst viele Menschen im Sinne einer offenen Projektgestaltung zu berücksichtigen, ermöglicht kurzfristig mehr Partizipation, aber gibt auch Impulse für Entwicklungen auf der systemischen Ebene und führt dadurch langfristig zu einer positiven Transformation in kultureller Praxis und (Kultur)Politik.
 
Ebenso ist es wichtig, sich von der begrenzten Perspektive auf Teilhabe zu lösen, denn sie ist im Kulturkontext weder Problemlöser für gesellschaftliche Themen noch reiner Selbstzweck für Kunst. Das gleiche gilt für den häufig noch sehr statischen Kulturbegriff. Diese Abkehr ermöglicht die Gestaltung von Kultur für, durch und mit allen Menschen. Ziel ist es dabei nicht, dass jeder an allem teilnimmt, sondern den Raum der Möglichkeiten für alle zu erweitern und stets eine vielfältige Beteiligung anzustreben. Eine Entwicklung hin zu offenen, partizipativen Formaten, die in einem nachbarschaftlichen Umfeld beginnen, kann die Wahrnehmung und Nutzung von Kunst- und Kulturangeboten verändern. Die sorgfältige Auseinandersetzung mit Teilhabe sowie neue Herangehensweisen bieten Möglichkeiten, die Praxis zu verbessern. So lässt sich auch eine größere Wirkung in Bezug auf Partizipation, Vielfalt und Repräsentation innerhalb der Gemeinschaft, in der sie stattfindet, erzielen.
 
Impressionen
 
 
Literatur
 
  • European Union (2017). Executive Summary. Study on Audience Development - How to place audiences at the centre of cultural organisations. European Commission. https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/7f8c1285-19c4-11e7-808e-01aa75ed71a1 [Publiziert am 22. März 2017. Heruntergeladen als PDF am 13. März 2021]. 
  • Glaser, Uli (2014). Mythos Kultur für Alle? Kulturelle Teilhabe als unerfülltes Programm. In KULTURELLE BILDUNG ONLINE. https://www.kubi-online.de/artikel/mythos-kultur-alle-kulturelle-teilhabe-unerfuelltes-programm [Letzter Zugriff am 13. November 2021]. 
  • Halbrecht, Kerem (2020). Interview, geführt am 19. November 2020 im Rahmen der Masterarbeit von Lisa Lehnen mit Kerem Halbrecht, Initiator und Projektleiter von 72 Hour Urban Action (2019, Jena-Lobeda). Frei aus dem Englischen übersetzt durch Lisa Lehnen.
  • Karjevsky, Gilly (2020). Interview, geführt am 19. November 2020 im Rahmen der Masterarbeit von Lisa Lehnen mit Gilly Karjevsky, Projektleiterin von 72 Hour Urban Action (2019, Jena-Lobeda). Frei aus dem Englischen übersetzt durch Lisa Lehnen.KulturSommer 2020 (2020). KulturFleck, Website. https://kultur.klugev.de/ [Letzter Zugriff am 15. November 2021].
  • Mader, Rachel (2019). Zwischen Trend und Aufrichtigkeit. Teilhabe in der Kunst. In Kulturelle Teilhabe - ein Handbuch. Nationaler Kulturdialog. pp. 175-184.
  • Matarasso, François (1997). USE OR ORNAMENT? The social impact of participation in the arts. https://www.artshealthresources.org.uk/wp-content/uploads/2017/01/1997-Matarasso-Use-or-Ornament-The-Social-Impact-of-Participation-in-the-Arts-1.pdf [Heruntergeladen als PDF am 06. März 2020]. 
  • Stang, Kristina (2021). Interview, geführt am 25. Januar 2021 im Rahmen der Masterarbeit von Lisa Lehnen mit Kristina Stang, freiberufliche Theaterpädagogin und ehemalige künstlerische Leitung der Berlin Mondiale. 
  • Thele, Benjamin (2020). Interview, geführt am 17. September 2020 im Rahmen der Masterarbeit von Lisa Lehnen mit Benjamin Thele, Referent "Kultur als Akteur in der Stadtgesellschaft - Kulturelle Teilhabe" im Kulturamt der Stadt Köln. 
  • Vereinte Nationen (1948). Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger [Letzter Zugriff am 13. November 2021]. 
*Dieser Text basiert auf den Ergebnissen der Masterarbeit der Autorin mit dem Titel "Kultur für Alle?! Wie können partizipative Kulturprojekte die demographische Realität der Nachbarschaft besser erreichen und repräsentieren, in der sie stattfinden?" (2021). In einem gemischten Methodenansatz quantitativer und qualitativer Forschung - Theorie, Case Study und Expert:innen-Interviews - untersuchte sie, welche Faktoren dazu beitragen können, Teilhabe lokal zu erhöhen und mehr Menschen (in einer Nachbarschaft) mit den kulturellen Angeboten zu erreichen. Dadurch versucht die Arbeit, anhand praktischer Ansätze die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu verringern. Der Beitrag erschien zuerst im Schwerpunkt des Kultur Management Network Magazins Nr. 163: "Identität und Kulturarbeit".

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