08.08.2010

Autor*in

Kristin Lux
Demographische Studien

Hierbleiben - nicht gehen!

Die Welt hat sich geändert und mit ihr auch der Mensch. Aktuelle demografische Studien zeigen die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und Europa. Vor allem die neuen Bundesländer Deutschlands sind zum jetzigen Zeitpunkt stark davon betroffen und werden es in Zukunft noch mehr sein. Das Grundproblem ist klar: Es gibt wenig Nachwuchs bei einer stets alternden Bevölkerung.
Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung* macht es an einem gravierenden Beispiel deutlich: Allein in Chemnitz wird sich bis 2030 der Anteil der 75jährigen von zehn auf neunzehn Prozent fast verdoppeln. Circa 1,5 Millionen Menschen haben die neuen Bundesländer seit der Wende verlassen. Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern weisen heute zwischen acht und zwölf Prozent weniger Einwohner als zur Zeit der Wende auf. Die Prognose ist deutlich: Der Osten wird bis 2020 weiter an Einwohnern verlieren.
 
Sinkende Geburtenzahlen, weniger Schüler und Studenten bedeuten auch Mangel an Fach- und Führungskräften bereits jetzt und auch zukünftig. Die Abwerbung von den so genannten "klugen Köpfen" nimmt vor allem in den neuen Bundesländern drastische Züge an. Dabei gehen die Orte mit den besten Arbeits- und Einkommensbedingungen als eindeutige Sieger hervor. Meist handelt es sich dabei um die alten Bundesländer. Um diesem Trend entgegenzuwirken, setzt die deutsche Politik zunehmend auf verbesserte Bildungsangebote. Veränderte Studienmodelle, der Bologna- Prozess, die Gründung von Elite-Universitäten und auch finanzielle Förderungen der Hochschulen stehen auf den politischen Tagesplänen. Die gewählten Maßnahmen sind bis jetzt aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn die Studierendenquote in Deutschland sinkt. Für eine Industrienation wie Deutschland eine Katastrophe!
Fazit: Junge Menschen verlassen Ostdeutschland, um ihr Leben und ihre Karriere in den alten Bundesländern oder gar im Ausland zu finden. Dass es aber auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus Leipzig in Sachsen. Anja Rauhut und Marco Erbe haben sich mit dem Unternehmen IN AUDITO GmbH eines zum Ziel gesetzt: Hierbleiben Nicht gehen. Nach ihrem Studium in Bernburg und England standen ihnen mit ihren wirtschaftswissenschaftlichen Abschlüssen Tür und Tor zu guten Jobs in den alten Bundesländern offen. Doch Weggehen stand nicht auf ihrer Agenda. Sie entschieden sich, ein Unternehmen in Mitteldeutschland aufzubauen und damit einen Beitrag zur Stärkung der heimischen Wirtschaft zu leisten. "Wir haben auch in Mitteldeutschland ein großes Potenzial an klugen Köpfen. Dieses Potenzial muss genutzt werden. Das klappt aber leider nicht, wenn alle in die alten Bundesländer abwandern. Deswegen sind wir hiergeblieben. Und es lohnt sich!", so Anja Rauhut. Nach der Gründung ihrer gemeinsamen Firma entwickelten sie dazu das Bewerberportal JOBMIXER.com - mit der Spezialisierung auf die Erstellung von Bewerberwebsites. Ihre Devise lautet: Bewerber und Unternehmer auf diesem Portal zusammen bringen! Eine Möglichkeit für Unternehmer, dem demografischen Wandel entgegen zu wirken, haben die Macher von JOBMIXER.com genutzt: Sie fingen an, schon frühzeitig Studenten an sich zu binden, ihnen Tätigkeiten als Werksstudenten zu ermöglichen oder sie auf dem Weg zur Diplomarbeit zu begleiten. Natürlich profitieren sie damit auch von den Ideen und vom Können der Studenten doch das Ganze ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Schließlich haben diese klugen Köpfe auch nach Abschluss ihres Studiums die Möglichkeit, in einer Festanstellung im Unternehmen zu arbeiten. Um die Region zu stärken, wurde die IN AUDITO GmbH auch zum Ausbilder. Gleich zwei Azubis starteten im August 2008 ihre Lehrzeit in dem Leipziger Unternehmen. Das bedeutet, dass zwei junge Menschen vor der Abwanderung aus den neuen Bundesländern bewahrt wurden. Zwei junge Menschen, für die es in Zukunft wahrscheinlicher sein wird, ihre Familie in der Region zu gründen.
Doch es gibt auch noch zahlreiche Faktoren, die vom Unternehmer selbst nicht beeinflussbar. Beschäftigungspolitische Maßnahmen können durch die Wirtschaft selbst ergriffen werden, doch es bedarf auch wesentlicher politischer Entscheidungen und Veränderungen.
Ein Stichwort ist dabei die Familienpolitik. "Veraltet und nicht mehr zeitgemäß" würde sie wohl im Moment am ehesten beschreiben. Moderner müsste sie werden. Deutschlands Nachbarländer machen es vor, und wir machen es, diesmal ausnahmsweise, nicht nach: Nicht nur finanzielle Anreize durch Kindergeld erhöhen die Geburtenrate, sondern auch Investitionen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen: Tagesstätten und eine ausreichende Kinderbetreuung bezahlbar und für jeden möglich. Aus dem Traum sollte bald Wirklichkeit werden. Die Zeit drängt.
Mit diesem Gedanken geht auch die Beschäftigung von mehr Frauen einher. Der Staat sollte nicht mittels eines veralteten Steuersystems den Rückzug von Frauen aus der Arbeitswelt forcieren. Frauen sind arbeitswillig. Studien zeigen, dass vor allem junge Frauen Ostdeutschland verlassen, um in den alten Bundesländern ihre berufliche Zukunft zu finden. Die Männer folgen ihnen. Das ist die logische Konsequenz, denn zur Gründung einer Familie gehören nun einmal zwei!
Um den demografischen Wandel möglicherweise aufzuhalten oder seine negativen Konsequenzen so klein wie möglich zu halten, gilt es auch, dem Problem bewusst ins Auge zu sehen. Abwanderungen und demografische Verschiebungen müssen in Zukunftsberechnungen einkalkuliert werden. Beschönigungen helfen nicht weiter, sondern verzerren nur das Bild. Unter diesem Aspekt wäre ein gezielter Städterückbau effizienter, als teure Sanierungen von Objekten vorzunehmen, deren Nutzen nicht geklärt ist. Des Weiteren würde sich ein Rückbau der Stadtränder nach innen, anstelle einer Sanierung der Außenbezirke, auf die Attraktivität der Städte auswirken. Hier heißt es: sich auf das Wesentliche konzentrieren und dies fördern. Akuter Wohnungsleerstand frustriert, trübt das Stadtbild und wird nicht durch Sanierungen beseitigt. Damit geht auch die ungewollte Zersiedelung des Umlands rund um große Ballungszentren einher. Diese kann genau damit umgangen werden, wäre zudem ökologisch erstrebenswert und somit attraktiver. Subventionen sind wichtig aber leider funktionieren sie nur, wenn das verfügbare Geld zur richtigen Quelle fließt. Was nützt es schon, wenn der Geldhahn für die Instandhaltung veralteter Industriezweige, deren Ende bereits in Sicht ist, geöffnet wird, er für innovative Projekte aber geschlossen bleibt? Hier ergibt sich folgendes Bild: Die Region darf den wichtigen Anschlusszug an den "modernen ICE der innovativen Wirtschaftskultur" auf keinen Fall verpassen. Jede Art von Verspätung führt zu Verlust von Motivation und Geld. Und am Ende landet man auf dem Abstellgleis.
Das gilt auch für das Problem der fehlenden Föderalismus-Reform. Wie kann eine Reform dieser Art dem demografischen Wandel entgegenwirken? Die Frage ist berechtigt, denn natürlich tut sie das nicht direkt, sondern eher indirekt. Die sehr kostenintensive Verwaltung aller Bundesländer, egal wie klein sie sein mögen, reißt große Löcher in den Finanzhaushalt. Außerdem erschwert dieses System die Auflockerung und Veränderung von Strukturen. Sprich: Es dauert einfach viel länger, bis Probleme erkannt und Beschlüsse geändert werden können. Das hält auf und verlangsamt den Kampf gegen den demografischen Wandel.
Fakt ist: Das Problem des demografischen Wandels wurde erkannt, Lösungsvorschläge existieren, ein genaues "Rezept" zur Behandlung des kranken Systems gibt es jedoch noch nicht Folge: Der Patient muss warten. Viel Zeit hat er aber nicht, denn er wird immer älter. Und das ist nun einmal leider genau das Problem.
 

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