29.08.2008

Autor*in

Ulla-Alexandra Mattl
Ulla-Alexandra Mattl, geboren in Finland, diplomierte Fotografin und Finno-Ugristin, studierte an den Univeristäten Wien, Helsinki und an der Sorbonne Nouvelle in Paris. Nach mehreren Jahren Europa-Erfahrung in Brüssel, unter anderem bei der Europäischen Kommission und zuletzt beim Österreichischen Kulturforum Brüssel, absolvierte sie ein MA-Programm in Arts Management an der City University in London. Ihre Interessenschwerpunkte liegen in internationaler kultureller Kooperation und vergleichender Kulturpolitik sowie im Event- und Projekt Management. Sie ist seit 2005 London-Korrespondentin des Kulturmanagement Network.
Kulturelles Erbe

Kulturkooperation und Identitätsfindung im Ostseeraum

Ein kurzer Blick auf die bewegte Geschichte des Ostseeraums reicht für das Verständnis aus, warum diese Region nicht nur Beachtung verdient, sondern auch eine der spannendsten und dynamischsten Regionen Europas mit dem größten Wirtschaftswachstum ist. Das umfangreiche Kulturerbe der Ostseeregion wurde aufgrund einer Vielzahl von Initiativen zu einer der Prioritäten und auch Herausforderungen der Kulturkooperation.
Als Staaten der Ostseeregion werden generell diejenigen bezeichnet, die über Zugang zur Ostsee verfügen (1). Vor allem während der Blütezeit der Hanse vom zwölften bis Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und bis zum Ende der friedlichen Zusammenarbeit in der Region Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde der Ostseeraum von einer gemeinsamen Geschichte geprägt, die sich unter anderem darin äußerte, dass sich die Städte dort sehr ähnlich waren. Hier trafen Ost und West aufeinander, wobei die Hafenstädte aufgrund des intensiven Handels von besonderer Bedeutung waren. Gleichzeitig war und ist es eine Region des kulturellen Austausches und der Zusammenarbeit. Für alle Länder der Ostseeregion besitzt die kulturelle Zusammenarbeit mit den anderen Staaten der Region eine Priorität (2). Es gibt eine Reihe von Organisationen, die sich teilweise oder völlig dem Ostseeraum widmen. Eine von ihnen ist der Council for Baltic Sea States(CBSS) (3), eine Dachorganisation auf Regierungsebene, die auf allgemein regionalpolitische und zwischenstaatliche Zusammenarbeit ausgerichtet ist und im Zwei-Jahrestakt eine Konferenz der Kulturminister abhält. Die nächste Konferenz wird im Oktober diesen Jahres in Riga stattfinden.

Der Nordische Rat zählt die fünf Mitglieder Schweden, Dänemark, Island, Finnland und Norwegen. Obwohl die baltischen Staaten nicht Mitglieder sind, hat der Rat seit 1991 die Zusammenarbeit mit ihnen und anderen Staaten der Ostseeregion zur Priorität gemacht. Der Rat widmet sich vor allem der Förderung von Demokratie und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Obwohl es einen Ausschuss für Kultur und Bildung gibt, zählt Kultur nicht zu den ausgewählten Bereichen der Kooperation mit dem Baltikum. Im Kulturbereich konzentriert sich der Nordische Ministerrat auf den Nordischen Kulturfond, den Nordischen Fond für Film und Fernsehen, sowie Preise im Bereich Literatur und Musik. Es gibt auch ein eigenes Kunst- und Kulturprogramm sowie ein Mobilitäts- und Residenzprogramm für Künstler und Kulturschaffende. Wie bereits erwähnt, haben die Städte der Ostseeregion historisch einzigartige Bedeutung. Dies führte 1991 zur Gründung der Union of Baltic Cities (UBC), einer Organisation, die auch über eine kulturelle Dimension verfügt. Die Union hat 106 Mitgliedsstädte und fördert kulturelle Zusammenarbeit seiner Mitglieder untereinander und mit Städten in Drittländern. Die Organisation Ars Baltica vertritt alle Staaten der Ostseeregion und fördert seit 1989 gemeinsame hochrangige Kulturprojekte. Die Organisation steht in enger Verbindung mit dem CBSS und ist sowohl im Bereich der Kulturpolitik als auch im künstlerischen Bereich aktiv. Die Leiterin von Ars Baltica, Lidia Makowska, betonte bei der EFAH (4) -Konferenz in Warschau im November 2007, dass die Hauptaufgabe im Baltikum und in Polen darin bestehe, eine neue Rolle der Kultur für die Gesellschaft zu definieren. Sie wies auch auf einen Mangel an Solidarität hin und betonte, dass es zum Beispiel in Polen nicht möglich wäre, eine Cable Factory (5) zu schaffen, wie sie in Helsinki existiert, da die Besucher ausbleiben würden. Ihrer Meinung nach ist es notwendig, von Anfang an die Lokalbevölkerung und Gesellschaft in jegliche Planungen einzubeziehen, um den Erfolg eines Projekts zu gewährleisten.

Das Baltic Development Forum (BDF) ist die wohl wichtigste Dachorganisation bei der Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im Ostseeraum. Das BDF arbeitet an einer neuen Strategie für die Ostseeregion, die darauf abzielt, der Region durch Branding ein für die Behauptung auf dem Weltmarkt notwendiges und eindeutiges Image zu verschaffen. Beim Branding des Ostseeraums wird der Schwerpunkt auf Wirtschaftskooperation und Wirtschaftswachstum in der Region gelegt, es werden aber auch die Bereiche Innovation, Wissenschaft, nachhaltige Entwicklung und Bildung berücksichtigt. Simon Anholt, Experte im "Nation Branding", meint, dass die Steigerung der konkurrenzfähigen Identität einer Stadt, eines Landes oder einer Region nicht durch Vermarktung des Images erfolgen soll, sondern darin, auf die Stärken zu bauen, die den Ruf der Region verbessern. Es stellt sich natürlich sofort die Frage, wie man einer Region ein Image verschaffen kann, ohne Kultur, Kulturerbe, Kulturkooperation und kulturellem Austausch eine stärkere Rolle in der Definierung der Region zu übertragen. Immerhin muss sich die Bevölkerung mit der Region identifizieren können. Hinzu kommt, dass auch der wirtschaftliche Erfolg durch eine starke Kreativwirtschaft und eine vielseitige Kulturlandschaft verstärkt wird. Die baltischen Staaten und Polen befinden sich bereits in einem natürlichen Prozess der Identitätsfindung nach der Öffnung zum Westen und dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004, der noch nicht abgeschlossen ist. Dieser Prozess der Identitätsfindung muss mit einem Branding des Ostseeraums verbunden werden, das die gemeinsame Geschichte, kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede als Stärken sieht und als Ausgangspunkt nimmt. Es ist bedeutsam zu beachten, dass es den baltischen Staaten nach 50 Jahren russischer Okkupation besonders wichtig ist, vor allem eine eigene Identität zu entwickeln.

Mit dem Beitritt zur EU ist auch die Kulturkooperation mit anderen Staaten der EU einfacher geworden. In vielen der neuen Mitgliedsstaaten gibt es jedoch noch großen Aufholbedarf, was die Schaffung von Kultureinrichtungen, erforderlicher Infrastruktur und Expertise betrifft. So wird zum Beispiel in Lettland erst jetzt ein Museum der Modernen Kunst geplant und die dazugehörige Sammlung aufgebaut. Wenn es laut Lidia Makowska notwendig ist, eine neue Rolle der Kultur für die Gesellschaft zu definieren, wenn der Prozess der Identitätsfindung in Polen und dem Baltikum noch nicht abgeschlossen ist und wenn der Kultur nicht allgemein eine stärkere Rolle zugeschrieben wird, wird sich ein erfolgreiches Branding des Ostseeraums schwierig gestalten.

1 Diese Staaten sind Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Estland, Lettland, Litauen und Polen. Island wird nicht immer als Anrainerstaat gehandelt, ist aber Mitglied des Council for Baltic Sea States.
2 Nähere Informationen zu den Kulturpolitiken und Prioritäten der Kulturkooperation können den Länderprofilen des Compendiums entnommen werden: www.culturalpolicies.net
3 Mitglieder sind die elf Mitglieder der Ostseeregion (Dänemark, Estland, Finnland, Deutschland, Island, Lettland, Litauen, Norwegen, Polen, Russland, Schweden, Europäische Kommission) und die Europäische Kommission.
4 Das European Forum for the Arts and Heritage (EFAH) wurde am 24. April 2008 in Culture Action Europe umbenannt.
5 Die Kabelfabrik in Helsinki ist sehr erfolgreiches Kulturzentrum. Weitere Informationen finden Sie auf der folgenden Website: www.kaapelitehdas.fi

ULLA-ALEXANDRA MATTL geboren in Finnland, diplomierte Fotografin und Finno-Ugristin, studierte an den Universitäten in Wien, Helsinki und Sorbonne Nouvelle in Paris. Nach mehreren Jahren Erfahrung in Brüssel, unter anderem bei der Europäischen Kommission und beim Österreichischen Kulturforum Brüssel, schloss sie 2007 ein MAProgramm in Arts Management an der City University in London ab und ist seit Mai 2007 als Nordic Researcher bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in London tätig.
 

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