23.03.2009

Themenreihe Ländlicher Raum

Autor*in

Irene Knava
ist Korrespondentin für Kulturmanagement Network.
Kulturbezirk St. Pölten

Urban Development auf der Grünen Wiese

Ein Beitrag zu den Kulturentwicklungen in einem ländlich geprägten Raum Österreichs, dem Kulturbezirk St. Pölten.

Themenreihe Ländlicher Raum

Urban Development auf der Grünen Wiese

Wenn Sie von Frankfurt, München oder Zürich Richtung Wien fahren, dann liegt St. Pölten genau zwischen Linz und Wien. 60 km von Wien entfernt. 51.000 EinwohnerInnen. Keine Tourismus-Destination. Bischofssitz. Von weitem schon sehen Sie den Klangturm, das Wahrzeichen des Kulturbezirks. Bis nach Wien brauchen Sie noch ca. 45 Minuten. Vom Bahnhof aus gehen Sie 15 Minuten bis in den Kulturbezirk. Denn dieser liegt nicht direkt in der barocken Innenstadt, sondern ein wenig außerhalb. Mit dem Auto folgen Sie der guten Beschilderung und können direkt in die Tiefgarage fahren. Sie tauchen dann zwischen Festspielhaus St. Pölten und Niederösterreichischem Landesmuseum wieder auf und stehen mitten im Regierungsviertel der Niederösterreichischen Landesregierung. Diese ist 1997 von Wien nach St. Pölten übersiedelt. Dort liegt der Kulturbezirk.

Ein Komplex aus Glas und Beton. 4.000 BeamtInnen arbeiten hier. Nur Büroflächen, keine Wohnungen. Keine wirklich gute Gastronomie. Wenig Geschäfte. Kaum Grün. Kein Kinderspielplatz. Um 16 Uhr sind alle weg. Die meisten MitarbeiterInnen der Landesregierung werden mit einem umfangreichen Bussystem aus allen Teilen Niederösterreichs und Wiens hierher gebracht. Der größte Feind des Kulturbezirks ist der Wieselbus. Die St. Pöltener selber verirren sich nur selten ins Regierungsviertel. Außer bei amtlichen Wegen. Zum Kulturbezirk St. Pölten zählen acht Institutionen: Festspielhaus St. Pölten, Klangturm, Landesakademie, Landesarchiv, Landesbibliothek, Landesmuseum, ORF Landesstudio Niederösterreich und Tonkünstler Orchester Niederösterreich.

Damit sind die Herausforderungen der kulturellen Arbeit schon umrissen. Weder das Regierungsviertel noch der Kulturbezirk sind historisch gewachsen, sondern mitten auf der grünen Wiese erbaut. Niederösterreich bekam erst im Jahr 1986 eine eigene Landeshauptstadt. Das hat historische Gründe, die bis tief in die ehemalige Monarchie reichen. In St. Pölten wurde vom Land Niederösterreich ein riesiger Gebäude-Komplex erbaut, der als Fremdkörper bis heute außerhalb der Stadt sitzt und keine gute Anbindung an diese hat. Das hat seine Ursache in einem Regionalförderungsgesetz, welches die Stadt St. Pölten bis vor kurzem explizit von Landes-Förderungen ausnahm. Die Stadt St. Pölten konnte sich teure Infrastrukturprojekte nicht leisten. Die Anbindung an die Stadt ist so einfach stecken geblieben.

Der Kulturbezirk war als solcher im Regierungsviertel nicht geplant. Irgendwann in der Konzeptionsphase kam dann die Angst vor der Beamtenburg. Man wollte mit Kunst und Kultur gegen steuern. Als Belebung der unbelebten Betonmassen. Der Architekt Hans Hollein wurde mit einem Masterplan für den Kulturbezirk beauftragt. In dessen Zentrum stand die Shed-Halle. Eine Ausstellungshalle, die in weiterer Folge in das Landesmuseum Niederösterreich integriert wurde. Weiters wurde eine Veranstaltungshalle konzipiert, die für politische Festakte, Angelobungen, Ehrenzeichen-Übergaben, Preis-Verleihungen etc. gedacht war. Kein Theaterbau also.

Doch dann regten sich Stimmen aus der Stadt, die meinten man könnte aus der Veranstaltungshalle mehr machen. In St. Pölten gab es schon damals für die Größe der Stadt ein reges kulturelles Leben. Vor allem am Musik-Sektor: Bei 51.000 EinwohnerInnen gibt es alleine 2.000 MusikschülerInnen. Es gibt eine sehr gute Laien-Theatertruppe. Ein kleines Stadttheater wird als Dreisparten-Haus geführt. Heute ist dieses Theater das Landestheater Niederösterreich. Es gibt die Bühne im Hof, die innovatives Theater zeigt. Es gibt zwei Ballettschulen. Das kulturelle Leben ist also da. Obwohl St. Pölten so nah an Wien liegt und die Konkurrenz aus der Bundeshauptstadt wirklich beachtlich ist. Das ist eine weitere Herausforderung der kulturellen Arbeit: Die Nähe zu Wien.

Die St. Pöltener schaffen es. Aus der Veranstaltungshalle wird das Festspielhaus St. Pölten, von Klaus Kada erbaut. Für die Größe der Stadt mit 1.000 Sitzplätzen in Wirklichkeit viel zu groß. Eine weitere Herausforderung. Die Eröffnung ist 1997. 2002 wird der Kulturbezirk mit der Eröffnung des Landemuseums Niederösterreich inhaltlich abgeschlossen. Doch wenn man es genau nimmt, dann ist das Festspielhaus die einzige Innovation. Alle anderen Institutionen gab es bereits. Sie wurden einfach aus Wien übersiedelt. Nur das Festspielhaus ist wirklich neu. Neu für Niederösterreich und neu für St. Pölten.

Das Festspielhaus belebt die Stadt. Bringt neue Impulse und öffnet für viele den Zugang zur Kunst. Das Festspielhaus ist als reine Gastspiel-Bühne konzipiert. Tanz und Musik stehen im Mittelpunkt. Der jetzige Intendant Prof. Michael Birkmeyer ist ehemaliger Solo-Tänzer der Wiener Staatsoper. Der zukünftige Intendant (ab Herbst 2009) Joachim Schlömer ist ebenfalls Tänzer, aber auch Regisseur und Choreograph. Die inhaltliche Richtung also vorgegeben. Das Tonkünstler Orchester Niederösterreich hat seine Residenz im Festspielhaus. Es gibt Koproduktionen mit den Bregenzer Festspielen, dem Freiburger Barockorchester. Internationale Kompagnien und Ensembles kommen nach St. Pölten. Es gibt ein breites Vermittlungsangebot: Workshops, Zusammenarbeit mit Schulen, Einführungsgespräche. Kunst wird aktiv in die Bevölkerung hineingetragen. 1.000 Sitzplätze müssen gefüllt werden. Da darf man nicht im Elfenbeinturm sitzen. Eine Chance. Dementsprechend ist auch die Preisgestaltung. Es gibt teure Karten, aber auch sehr günstige. Man kann die Wiener Philharmoniker auch um EUR 10,- hören. Es dürfen keine zusätzlichen Barrieren geschaffen werden. Die Topographie ist Herausforderung genug.

Die Bevölkerung schätzt die künstlerischen Angebote. Sie unterscheidet nicht zwischen städtischen und Landes-Institutionen. In der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt St. Pölten hingegen kommt die Kultur kaum vor. Es wird nicht gesehen, welchen USP sich St. Pölten mit den kulturellen Institutionen erworben hat. Das liegt auch daran, dass St. Pölten die BesucherInnen des Kulturbezirks gar nicht mit bekommt. Das Publikum fährt in die Tiefgarage ein, besucht das Landesmuseum, das Festspielhaus oder die Landesbibliothek und fährt wieder weg. Von der Innenstadt sieht kaum jemand etwas. Es gibt kaum Umwegrentabilität für die Stadt. Auch eine Herausforderung. Das soll sich nun durch die neue Bauphase ändern. Diese hat die Belebung des Geländes und die Anbindung an die Stadt zum Ziel.

Das Landesmuseum wird umgebaut und erhält einen neuen Gastronomiebereich und eine neue Platzgestaltung mit Grünflächen und Flanier-Möglichkeiten. Neu-Eröffnung ist im November 2009. Die Flächen des Kulturbezirks werden in Zukunft vermehrt bespielt. So wird das Kinder und Jugendbuchfestival KIJUBU, das alljährlich im Frühjahr stattfindet, auch in den Außenraum gezogen. Man wird sehen, dass hier was los ist! Die Plätze werden für neues Publikum geöffnet und unterschiedliche St. Pöltener Communities verstärkt einbezogen. Die St. Pöltener Parcours-Szene (eine Kletter-Trendsportart im Freien) wird im Kulturbezirk angesiedelt. Dann wird übers Festspielhaus, den Klangturm bis zum Landesmuseum geklettert! Kunst im Öffentlichen Raum ist ein Thema. Urbanisierung im ländlichen Bereich ein Stichwort.

Urban Development. Gar nicht einfach im eher ländlichen Bereich. In drei, vier Jahren ist man mit der Bahn in 20 Minuten in Wien. Vielleicht ändert sich ja bis dahin etwas am Selbstverständnis der Stadt. Vielleicht kann man dann beim Spiel DKT Österreich (ähnlich Monopoly) auch in St. Pölten Häuser kaufen. Zum Beispiel das Festspielhaus. St. Pölten gibt es in diesem Spiel nämlich gar nicht. Alle anderen österreichischen Landeshauptstädte schon. Wäre ein gutes Zeichen für mehr Selbstbewusstsein. Und wenn die Bahn auf ihre Züge noch schreibt, dass sie in St. Pölten anhalten, dann ist die jüngste Landeshauptstadt Österreichs erwachsen geworden.

Ich danke KR Herbert Binder und Mag. Thomas Gludovatz für die Gespräche.
 

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