07.02.2010

Autor*in

Ulla-Alexandra Mattl
Ulla-Alexandra Mattl, geboren in Finland, diplomierte Fotografin und Finno-Ugristin, studierte an den Univeristäten Wien, Helsinki und an der Sorbonne Nouvelle in Paris. Nach mehreren Jahren Europa-Erfahrung in Brüssel, unter anderem bei der Europäischen Kommission und zuletzt beim Österreichischen Kulturforum Brüssel, absolvierte sie ein MA-Programm in Arts Management an der City University in London. Ihre Interessenschwerpunkte liegen in internationaler kultureller Kooperation und vergleichender Kulturpolitik sowie im Event- und Projekt Management. Sie ist seit 2005 London-Korrespondentin des Kulturmanagement Network.
ISTANBUL 2010

Kulturinitiative für die EU

Einfach nur eine weitere Kulturhauptstadt oder eine frische Brise fur die Kulturinitiative der europäischen Union?
Die Turkei hat lange von ihrer strategisch gunstigen Lage profitiert. Istanbul war die Hauptstadt des Oströmischen, Byzantinischen und Osmanischen Reiches und ist bekanntlich das Tor zum Osten und auch eine Stadt der Begegnung verschiedener Kulturen. Aus diesem Grund ist die pulsierende turkische Stadt mit einer Bevölkerung von rund 12.7 Millionen auch bereits seit langem eine Kulturhauptstadt und das heutige Kultur- sowie Finanzzentrum des Landes. Dieses Jahr wird Istanbul, eine der größten Städte, die jemals Kulturhauptstadt war und gleichzeitig auch eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt, den Titel der europäischen Kulturhauptstadt mit Essen und Pécs teilen. Seit dem Sieg uber Kiev im Rennen um den Titel im Jahr 2006 hat Istanbul hart an den Vorbereitungen fur das diesjährige Kulturprogramm gearbeitet.
 
Istanbul wird auch die letzte Stadt sein, die als Nicht-EU-Mitglied im Rahmen der Initiative Kulturhauptstadt ist und ist bestrebt sich als europäische Metropole zu zeigen. Dieses Jahr hat enorme Bedeutung fur die erneute Ankurbelung der EU-Beitrittsverhandlungen der Turkei, mit dem Ziel letztendlich auch dem Klub der EU-Mitglieder beitreten zu können. Das Ansuchen der Turkei um Mitgliedschaft stammt aus dem Jahre 1987, wobei laut Economist die Zustimmung der turkischen Bevölkerung fur einen EU-Beitritt der Turkei zwischen 2004 und 2008 von 70% auf nur 42% gefallen ist. Verhandlungen wurden mehrmals abgebrochen und nur ein einziges der 35 auszuhandelnden Kapitel (Forschung) wurde bis jetzt erfolgreich abgeschlossen. Kapitel 26 zu Bildung und Kultur erfordert noch weitere Bemuhungen von Seiten der Turkei, stellt aber nicht einen der grösseren Stolpersteine dar.

In seiner Eröffnungsrede zum Kulturjahr in Istanbul am 16. Januar 2010 betonte Premier Recep Tayyip Erdoan, dass Istanbul eine europäische Stadt sei und dass "Istanbul alleine eine solides Zeichen sei, dass die Turkei ein europäisches Land und naturliches Mitglied der EU ist." Die Frage ob die Turkei EU-Mitglied werden sollte oder nicht, gehört nicht in diesen Beitrag. Es kann aber argumentiert werden, dass Istanbul mit seiner einzigartigen Geschichte nicht mit der Turkei gleichzusetzen ist, genauso wenig wie London mit England oder dem Vereinten Königreich. Im Jahr 2006 wies die Auswahlkommission fur das Programm der europäischen Kulturhauptstadt auf die besonders starke europäische Dimension des Istanbul-Projektes hin. Obwohl die diesjährigen Veranstaltungen eine bedeutende Möglichkeit fur die Stadt in Formvon Kulturaustausch mit Europa sowie zur Findung gemeinsamer Werte und Geschichte darstellen, die ja einen wichtigen Teil der Identität Istanbuls ausmachen, sollte eines nicht vergessen werden: Istanbul ist auch das Tor zum Osten und zur restlichen Turkei und es ist entscheidend fur eine Kulturhauptstadt die gesamte Identität in den Veranstaltungen und Initiativen zu berucksichtigen, um sicherzustellen, dass alle Projekte so nutzbringend wie möglich sind und auch so viele wie möglich davon profitieren. Und tatsächlich, Istanbul hatte diesen Aspekt in die Bewerbung einbezogen, in der es bestätigt, dass die Stadt "eine Brucke sei, die Europa mit dem Osten verbindet" sowie ein lebendes Beispiel fur das Zusammentreffen von Zivilisationen. Laut Bewerbung wurde das Programm zur Kulturhauptstadt rund um die vier Elemente des Universums erstellt, die auch eine spezielle Bedeutung fur Istanbul haben: "Die Erde" bezieht sich auf Tradition und Veränderung; "Luft" soll heimische und ausländische Musiker zusammenbringen.

"Wasser die Stadt am Meer" soll sich auf eine Vielzahl an Aktivitäten am Bosporus konzentrieren und Feuer Schmiede der Zukunft beschäftigt sich mit moderner Kunst und Veranstaltungen, die den Großteil der Bevölkerung ansprechen sollen. Nachdem Istanbul von fruheren Kulturhauptstädten gelernt hat, dass es sehr wichtig ist, die Zivilgesellschaft sowie die einheimische Bevölkerung in die Planung einzubeziehen, hat die Stadt von Anfang an einen Bottom-Up-Ansatz angedeutet, der auch junge Kunstler einbezieht, die zuvor keine internationale Erfahrung sammeln konnten. Es wurde angekundigt, dass die Kulturhauptstadt rund um drei Hauptbereiche entwickelt wurde, nämlich allgemeine Verbesserungen des Kulturangebots, Zuwendung zum Kulturerbe sowie Urbanisierung und Stadtentwicklung.

Obwohl die Turkei von der globalen Finanzkrise betroffen war, hat sich das Land relativ gut gehalten und konnte dem Schlimmsten entrinnen. Laut einem Bericht der fur die Planung der Kulturhauptstadt verantwortlichen Agentur, war das Budget fur das Kulturjahr in keiner Weise von der Krise betroffen. Die Planung ist jedoch nicht ohne Konflikt verlaufen, so hatten nicht nur der Vorstand sondern auch weitere Vorstandsmitglieder im Vorjahr ihre Kundigung eingereicht. Die Vorbereitungen wurden auch von den ublichen "Kulturhauptstadt- Problemen" behindert wie Unstimmigkeiten zwischen politischen Entscheidungsträgern und Kunstlern, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft allgemein sowie durch hartnäckige Anschuldigungen hinsichtlich Korruption.

Sehr oft sind Kulturhauptstädte mit reichem Kulturerbe bis jetzt dafur kritisiert worden, dass sie der Restaurierung von bedeutenden Gebäuden und Sehenswurdigkeiten zu viel Bedeutung beimessen, während sie die Förderung von Gegenwartskunst und -kultur vernachlässigen. Ein solches Restaurierungsprojekt wären zum Beispiel die umfangreiche Restaurierung der Hagia Sophia, die im Januar letzten Jahres gestartet wurde. Im Falle Istanbuls wäre die Vernachlässigung von Gegenwartskunst naturlich besonders schade, wenn man sich die außerordentlich bedeutende Kulturszene der Stadt vor Augen hält. Ein Grund warum Istanbul mehr in Denkmalschutz investiert hat, hängt mit Drohungen der UNESCO zusammen, ausgewählte Standorte auf eine in danger-Liste zu setzen, sollten diese innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens nicht dem UNESCO-Standard entsprechen. Somit musste die Stadt Istanbul schnell handeln, um so etwaigen Peinlichkeiten vor dem Beginn des offiziellen Kulturhauptstadtjahres vorzubeugen. Istanbuls Ehrgeiz die Stadt in ein internationales Kulturzentrum zu verwandeln, hat auch uber die Jahre zur Planung von Projekten gefuhrt, die von der UNESCO und der Zivilgesellschaft scharf kritisiert worden sind, so wie zum Beispiel die Räumung der tausend Jahre alten Sulukule-Siedlung und die Gentrifizierung dieses Stadtteils, um neuen Bauvorhaben Platz zu machen. Dieses Jahr wird fur Kunstler und Bevölkerung eine Möglichkeit darstellen, auf diese urbanen Entwicklungsprojekte durch kunstlerische und andere Initiativen aufmerksam zu machen.

Wie wird das Erbe von Istanbul 2010 aussehen? Ist Istanbul besser auf langfristige Planung eingelenkt als so manche andere fruhere Kulturhauptstadt? Nachdem das Kulturjahr gerade erst angebrochen ist, ist es unmöglich, diese Frage zu diesem Zeitpunkt zu beantworten und es wird lange dauern bevor wir den langfristigen Nutzen und die wahre Bedeutung von Veranstaltungen und Projekten sehen werden. Obwohl Istanbul fruhere Kulturhauptstädte genau unter die Lupe genommen hat und fur die Planung des Jahres eine spezielle Managementstruktur angenommen hat, die fur die Turkei völlig untypisch ist, hat Istanbul auf dem Weg zur Kulturhauptstadt bereits viele Hurden nehmen mussen. Das Erlebnis und die Herausforderungen sind fur jede Stadt, die den Titel inne hat, anders, aber Istanbuls Kulturbeziehungen zu Europa werden mit Sicherheit aufgrund der verbesserten Beziehungen zu einer Reihe europäischer Städten sowie Kultur- bzw. Bildungseinrichtungen einen besonderen Aufschwung genießen. Der Kulturhauptstadttitel wird das Bewusstsein fur gemeinsame europäische Kulturwerte schärfen und Kunstler, Kulturschaffende und alle an den Projekten Beteiligten mit Erfahrung ausstatten, die fur zukunftige Projekte der Kulturkooperation unabdingbar ist. Istanbul kooperiert auch mit fruheren und zukunftigen Kulturhauptstädten, um im Laufe diesen Jahres eine Kulturpolitik zu entwickeln. Und tatsächlich wurden kurzlich bereits zwei Publikationen zum Thema Kulturpolitik in der Turkei von der Istanbul Bilgi University Press in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Partnern veröffentlicht; Introduction to Cultural Policy in Turkey und die erste Ausgabe von Cultural Policy & Management Yearbook in Turkey, die sich speziell mit Kulturpolitik und Städten auseinandersetzt. Das Kulturjahr 2010 stellt fur Istanbul und die Turkei eine Möglichkeit dar, bereits vorhandene Kulturbeziehungen weiter zu stärken und naturlich die turkische Kultur im Ausland zu fördern, und wird nicht zuletzt auch die vielen turkischen Staatsburger im Ausland und in Deutschland ansprechen. Die Turkei nimmt erst seit 2008 am EU-Kulturprogramm teil und war bis jetzt erst mit einer Projektbewerbung erfolgreich (turkische Organisationen haben aber an rund 30 Projekten teilgenommen) und wird enorm von den neuen europaweiten Kontakten fur zukunftige Kulturkooperation profitieren.
 
Istanbul liegt von allen bisherigen Kulturhauptstädten am weitesten östlich von Zentraleuropa und wird Besucher anziehen, die bisher nicht in Projekte oder Veranstaltungen mit einer europäischen Dimension teilgenommen haben. Gleichzeitig wird das Kulturprogramm auch Europäer interessieren, die es gewohnt sind eine Kulturhauptstadt vor ihrer Hausture zu haben und diesmal ihre Reiseplanung vielleicht etwas abenteuerlicher gestalten möchten.
 
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