21.03.2013

Autor*in

Birgitta Borghoff
ist Unternehmerin, Forscherin und integraler Coach. Sie liebt es, Brücken zu bauen zwischen Menschen, Unternehmen und Kulturen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW, wo sie in den Bereichen Organisationskommunikation, Entrepreneurship, Storytelling, Start-up und Business Modeling forscht und doziert. Darüber hinaus baut sie mit INNOVANTIQUA Brücken von der Alten Musik zur Neuen Musik, zu anderen Kultursparten und zur Wirtschaft. Sie war viele Jahre redaktionelle Mitarbeiterin von Kultur Management Network.
Schnittstelle von Künstler/innen und Politik

Johanna Lier - neue Präsidentin der Suisseculture im Interview mit Kulturmanagement Network Schweiz

Die Mitgliederversammlung der Suisseculture hat die Schriftstellerin Johanna Lier im Dezember 2012 einstimmig zu ihrer Präsidentin gewählt. Johanna Lier tritt die Nachfolge von Ruth Schweikert an, die ihre Präsidentschaft nach vier Jahren abgibt.
Johanna Lier begann ihre künstlerische Tätigkeit mit der Schauspielerei im jugendlichen Alter. Bekannt geworden ist sie über ihre Hauptrolle in Fredi Murers «Höhenfeuer». Später wechselte Sie zur Literatur. Poesie und Lyrik ist ihr literarischer Schwerpunkt. Zudem ist sie als Freie Journalistin tätig. Sie ist Mitglied im Verband «Autorinnen und Autoren der Schweiz» (AdS).

Johanna Lier hat ihr Amt als Präsidentin der Suisseculture bereits angetreten und wird unterstützt von einem elfköpfigen Vorstand, in dem die Schweizerischen Verbände professioneller Kulturschaffender aller Sparten vertreten sind.

KMN: Frau Lier, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl als neue Präsidentin von Suisseculture. Was haben Sie sich vorgenommen, und in welcher Rolle sehen Sie sich?


JL: Vielen Dank. Zuerst muss ich sagen, dass ich noch sehr neu in diesem Amt und zur Zeit noch damit beschäftigt bin, mich einzuleben, mich umzuhören und umzuschauen.
 
Susisseculture ist ja die kulturpolitische Schnittstelle zwischen KünstlerInnen und der Politik, und ich sehe meine Rolle darin, in diesem Dialog die Anliegen der Kunstschaffenden zu vertreten. Und da ich selber Künstlerin bin, hoffe ich, aus der eigenen, konkreten Erfahrung heraus diese Anliegen auch wirkungsvoll äussern zu können.

KMN: Was würden Sie an Stärken des Schweizer Kulturlebens ansehen, und wo gibt es aus Ihrer Sicht Schwachpunk
te?

JL: Eine der Stärken ist sicher die sprachliche Vielfalt, die Dichte an Kulturangeboten in den grossen Städten. Aber auch in den ländlichen Gebieten gibt es neben den traditionellen Strukturen viele überraschende und ungewohnte Projekte. Die Schweiz ist schon immer ein Einwanderungsland gewesen, und das prägt auch die Kultur im positiven Sinne.
 
Ich denke aber, wir sollten uns wieder mehr vom Markt emanzipieren. Weniger Effizienz, weniger Publikumswirksamkeit und Gewinne anstreben müssen. Ich wünschte mir mehr Anerkennung für das künstlerische Experiment, das Risiko und auch die gesellschaftspolitische und ästhetische Kontroverse.

KMN: Einen breiten Raum nimmt ja derzeit die Diskussion um das Urheberrecht ein. Die Kritiker der jetzigen Gesetzgebung erhoffen sich von einer Lockerung neue Formen der Kreativität, und fordern neue Rechts- und Geschäftsmodelle. Sind diese Forderungen völlig unbegründet?


JL: Es gibt ja auch die Kritik in die andere Richtung. Nämlich dass die Vergeltungsansprüche der Kunstschaffenden im Internet missachtet werden. Diese Diskussion wird oft sehr polar geführt. Die einen plädieren für eine Aufhebung des Urheberrechts und die anderen für eine wirkungsvollere Durchsetzung. Meiner Meinung nach ist die Sache komplizierter und vielfältiger.
 
Es gibt Plattformen, die im Internet im grossen Stil mit illegal hochgeladenen Produkten hohe Gewinne einfahren. Und Grosskonzerne - wie zum Beispiel Amazon - zahlen extrem niedrige Margen aus. Dass gewisse Player - zur Zeit noch vor allem mit Musik und Filmen, in der Zukunft aber auch mit Literatur - viel Geld machen, ohne dass die UrheberInnen an den Einkünften partizipieren, kann man ja nicht mit gutem Gewissen innovativ oder gar kreativ nennen. Das ist schlicht Ausbeutung.
 
Die Diskussion in der von der Bundesrätin Simonetta Sommaruga einberufenen Arbeitsgruppe zum Urheberrecht (Agur12) dreht es sich denn u.a. auch um diese gewinnorientierten und illegal agierenden Akteure.
 
Es steht ausser Frage, dass künstlerische Netzwerke, die ihre Inhalte frei austauschen und in der sogenannten Appropriation-Art die Aufhebung der Autorschaft und neuartige Vetrtriebsformen praktizieren, dies auch tun sollen. Auch ist die Kriminalisierung der UserInnen in der Schweiz keine Option.
 
Die Entscheidung, welche Rechte wir freigeben und welche nicht, soll grundsätzlich in der Verantwortung der UrheberInnen liegen, was bedeutet, dass wir bestimmen, ob unsere Werke im Internet kostenlos oder gegen Entgelt genutzt, weiterverwendet oder bearbeitet werden dürfen.

Die eigentliche «demokratische» Herausforderung der Sache liegt darin, dass wir mit dem Internet einen Pool haben, in dem - ausgenommen die Menschen, die keinen Internetzugang haben - die ganze Welt agiert. Ich kann also nicht meine Anliegen als in der Schweiz lebende Autorin zur Norm für alle machen. Da alle Akteure unter unterschiedlichen Bedingungen leben, andere Einkommenskreisläufe und Bedürfnisse haben, muss eine Regelung gefunden werden, die gerade dieser Vielfalt gerecht wird. Ich beobachte aber oft, dass in Diskussionen ausschliesslich von der eigenen Erfahrung her argumentiert wird. Aber die Wissenschaft zum Beispiel kennt ganz andere Abläufe als die Kunst. So gibt es auch innerhalb der künstlerischen Sparten erhebliche Unterschiede. Und zwischen den Leuten, die freiberuflich und solchen, die angestellt sind, zeigen sich ebenfalls einige Differenzen.
 
Das Internet eröffnet tatsächlich viele neue, aufregende Möglichkeiten für uns Kunstschaffenden, die uns mehr Autonomie und Bewegungsspielraum auf allen Ebenen bieten. Und es stehen wohl in diesem Bereich paradigmatische Umwälzungen bevor, die unter Umständen auch das Verhältnis der Kunstschaffenden zu den Institutionen massgeblich verändern werden.
 
Aber wir leben im System der freien Marktwirtschaft. Da geht es auch im Internet um Macht, viel Geld und harte Verteilungskämpfe. Darüber muss diskutiert werden. Und da sollten wir in unserem - auch solidarischen - Interesse dabei sein.

KMN: Liebe Frau Lier, haben Sie herzlichen Dank für dieses interessante Interview.
 
Das schriftliche Interview führte Birgitta Borghoff, Kulturmanagement Network Schweiz.
 

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