11.09.2023

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Katrin Wipper
ist studierte Übersetzerin/Dolmetscherin und hat einen Abschluss im Bereich International Business. Neben ihrer langjährigen Tournee-Erfahrung als Tourmanagerin, Mercherin und Fahrerin hat sie lange im Bereich Booking und Produktiongearbeitet und Tourneen gebucht. Zusammen mit ihrer Co-Gründerin Sarah entwickelt Katrin als Nachhaltigkeitsmanagerin unter dem Dach von The Changency Strategien und Konzepte für Akteur*innen aus der (Live)Musikbranche und begleitet diese bei der Umsetzung. 
Johannes Hemminger
studierte Philosophie sowie Neuere und Neueste Geschichte in Tübingen und arbeitete danach im Marketing, Community Management und Projektmanagement in der Videospielbranche. Von 2021 bis 2023 war er Redakteur bei Kultur Management Network.
Interview mit The Changency

Nachhaltigkeit rocken!

Katrin Wipper berät und begleitet als eine der Gründerinnen der Agentur The Changency die Musikindustrie auf dem Weg zu nachhaltigem Wirtschaften und Handeln, unter anderem als Expertin für den Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. Dabei berät sie nicht nur praktisch, sondern erhebt und vermittelt auch Wissen mit Hilfe von Studien und Workshops. Wir sprachen mit ihr über Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen, die sich auch auf den öffentlich finanzierten Kulturbetrieb übertragen lassen.

Themenreihe klimafreundlich

Liebe Katrin, mit The Changency beratet ihr hauptsächlich Akteur*innen in der Musikindustrie in Aspekten der Nachhaltigkeit und seid für die damit verbundene Arbeit als Kultur und Kreativ-Pilot*in ausgezeichnet worden. Was bedeutet so eine Auszeichnung für euch und was hat sich dadurch verändert? 
 
Katrin Wipper: Das war natürlich eine wahnsinnige Ehre und hat uns sehr gefreut. Da die ausgezeichneten Unternehmen in verschiedenen Treffen und Workshops zusammenkommen, hat sich auch unser Netzwerk erweitert: So haben wir sehr spannende, inspirierende Menschen kennengelernt, wertvolles Coaching bekommen und ein Selfie mit Robert Habeck und Frau Roth schadet natürlich auch nicht. Neben den Kultur- und Kreativ-Pilot*innen haben wir auch von der Grünen Liga und von K3 einen Kommunikationspreis für Klimafakten aus der Wissenschaft bekommen. Ich glaube, dass sich dadurch auch die Wahrnehmung der Wertigkeit unserer Arbeit verändert hat. 
 
Die Studie "Plant a Seeed" hat in Zusammenarbeit mit der Band Seeed und der Hochschule für Technik Berlin anhand von fünf Konzerten Nachhaltigkeit bei Großveranstaltungen untersucht. Wo sind euren Erfahrungen nach die großen Hebel bei solchen Musikveranstaltungen, die man für mehr Nachhaltigkeit ziehen kann? 
 
KW: Der allergrößte Hebel - und das ist vielleicht überraschend - liegt in der Kommunikation. Denn egal was man macht, man sollte das dementsprechend kommunizieren, also an Bands und Crews, aber auch an das Publikum. Einfach um diesen Effekt mitzunehmen, dass alle in einem Boot sind und alle für die gleiche Sache einstehen. 
 
Wenn man darüber hinaus auf die Hebel abzielt, die greifbare Kennzahlen beeinflussen, betrifft das ganz klar das Thema Mobilität mit 60 bis 90 % aller Emissionen, die in diesem Bereich entstehen, das Thema Energie, aber auch das Thema Catering und Gastro. Der fünfte Bereich ist als sichtbarer Hebel außerdem das Thema Abfall. Gerade Ernährung ist natürlich ein sehr emotionales Thema - Stichwort: Verzicht. Gleichzeitig bietet das Thema Ernährung aber auch so viele Chancen, neue geschmackliche Welten zu erfahren, Kulturen zu vereinen und marginalisierte Gruppen finanziell zu unterstützen und gleichzeitig Gutes für seine eigene Gesundheit und den Planeten durch ein rein pflanzliches Essensangebot zu tun. Und man kann dessen (Einspar-)Potenziale recht einfach sehen. Besucher*innen sehen beispielsweise nicht, ob Veranstalter*innen Ökostrom haben oder den herkömmlichen Strommix. Beim Thema Ernährung sieht man die Veränderung nicht nur, sondern schmeckt sie auch. 
 
Welche Maßnahmen kann man da angehen? 
 
KW: Dadurch Mobilität ein so großer Faktor ist, ist für mich die Einbindung des ÖPNV ins Ticket ein Muss oder ein no brainer, der sehr einfach umzusetzen ist. Daran schließt die Kommunikation, denn wenn man das umsetzt, muss man es auch kommunizieren, damit die Menschen beispielsweise wissen, dass sie kostenlos zum Konzert oder zur Veranstaltung anreisen können - sehr oft wissen sie das nämlich bisher nicht. Die Kommunikation gilt auch für alles andere: Wenn man auf Ökostrom umsteigt - was ebenfalls eine sehr einfache Maßnahme ist -, muss man das auch in der Klimabilanz abbilden oder kommunizieren. Oder wenn man die Ernährung umstellt, dann ist es auch sinnvoll, das zu kommunizieren. Wir haben zum Beispiel bei "Plant a Seeed" immer das klimafreundlichste Gericht pro Essensstand ausgezeichnet und dadurch ist dann der Verkauf um neun Prozentpunkte im Vergleich zum Vortag hochgegangen. 
 
Bei "Plant a Seeed" wurde auch erhoben, inwiefern Leute mit vegetarischen oder veganem Catering bei solchen Veranstaltungen zufrieden sind. Wie reagieren die Menschen? 
 
KW: Sehr positiv. Wir haben beispielsweise herausgefunden, dass es bei uns keine größere Diskrepanz zwischen Behauptung und Umsetzung gab: 72 % der Menschen haben angegeben, dass sie mit einem rein vegetarischen Essensangebot vor Ort zufrieden wären und über 55 % haben angegeben, dass sie mit einem rein veganen Essensangebot vor Ort zufrieden wären. Das haben wir in den Verkaufszahlen validieren können: So waren über 60 % - fast 70 % - der verkauften Speisen vor Ort vegan oder vegetarisch. Für mich ist dabei noch ein weiterer Aspekt wichtig: Es geht nicht darum, ob mein Gericht Fleisch oder kein Fleisch enthält, sondern darum, ob es gut ist und ob es meine Bedürfnisse befriedigt. Eine richtig leckere Falafel verkauft sich auch. Ich glaube generell, dass die Menschen viel weiter sind, als wir denken und dass wir ihnen auch mehr zumuten müssen und dürfen. 
 
Wir reden letztendlich auch über Akzeptanz und Kommunikation, ein anderer Faktor dabei ist der Preis bzw. die Kosten. Was sind dabei deine praktischen Erfahrungen? 
 
KW: Da kann ich eher aus Veranstalter*innensicht sprechen: Zum einen ist Zeit ein wichtiger Faktor, denn es dauert natürlich, bis sich neue Prozesse oder Veränderungen etabliert haben. Sprich: Es müssen mehr Zeit und Personalkosten dafür eingesetzt werden. Damit verbunden bringen Veränderungen teilweise Mehrkosten bzw. strategische Investitionen mit sich. Das ist mitunter eine Hürde oder ein Argument dagegen. Gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Kosten für ein ‚weiter-so-wie-bisher‘ unendlich viel höher - und wer mit seinem Unternehmen zukunftsfähig sein möchte und auch in 10 Jahren noch bestehen will, nimmt strategische Interventionen auf sich.

Neben den Besucher*innen, die eventuell etwas mehr zahlen müssen, bedeutet die Umsetzung klimafreundlicherer Maßnahmen also auch für die Veranstalter*innen höhere Ausgaben. Wie entwickelt sich da das Interesse? 
 
KW: Das Interesse entwickelt sich gerade sehr stark. Das liegt sicherlich auch an der Erkenntnis, dass man um das Thema nicht herum kommt und dass es auch irgendwann gesetzlich verankert sein wird. So haben durch die CSRD-Richtlinie ab 2024 beispielsweise alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden eine Nachhaltigkeitsberichtspflicht. Um hierbei mehr Anreize und Motivation zu schaffen, sich diesen Themen anzunehmen, versuchen wir darauf zu setzen, dass diese Prozesse Spaß machen können, dass sie Markenbildung mit sich bringen, dass die Gemeinschaft der Fans gestärkt wird und dass es teilweise auch günstigere Alternativen gibt. Um Widerstände abzubauen, versuchen wir, diese Verhaltensveränderung so einfach wie möglich zu machen. 
Also muss da gar nicht mehr so viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, sondern man muss inhaltliche Lösungen anbieten? 
 
KW Genau. Ich würde mir wünschen, dass durch die Gesetzgebung irgendwann verpflichtende Regeln kommen. Wir haben ein Klimaschutzgesetz, wir wissen, dass wir bis 2030 65 % aller Emissionen in Deutschland reduzieren müssen - das betrifft natürlich alle Unternehmen und alle Branchen. Gleichzeitig ist das jedoch noch nicht vollständig in der Branche angekommen. Dafür wären wiederum verbindliche Regeln oder Rahmenbedingungen für die einzelnen Wirtschaftssektoren von der Politik wünschenswert. Greenwashing ist dabei auch ein großes Thema sowie der Vorwurf des Greenwashings - damit ist gemeint, dass Unternehmen sich bewusst nach außen nachhaltiger verkaufen als sie es tatsächlich sind. Ich finde aber, dass wir solche Vorwürfe zum einen relativ gut entkräften können, indem man transparent kommuniziert und auch darüber spricht, was nicht funktioniert hat auf dem Weg hin zu weniger Emissionen und echter Transformation. Auf der anderen Seite ist das für mich ein gesellschaftliches Problem oder ein Problem der Medien, das eine andere Fehlerkultur braucht. Denn wenn 98 % aller Bands noch nichts machen, dann sollten wir uns bei den 2 %, die schon was machen, darauf fokussieren, was bereits gut funktioniert, statt sie für die Dinge an den Pranger zu stellen, die noch nicht geklappt haben.
 
Unsere Leser*innen sind hauptsächlich aus dem öffentlichen Bereich der Kultureinrichtungen in Deutschland. Wo siehst du da Unterschiede zum privatwirtschaftlichen Bereich, in dem ihr hauptsächlich arbeitet? Wo sind aber auch übertragbare Learnings? 
 
KW: Unterschiede gibt es hauptsächlich im Bereich der Förderung und des Budgets, denn privatwirtschaftliche Akteur*innen müssen anders mit ihren Budgets umgehen und haben vielleicht auch weniger Spielraum, nachhaltige Maßnahmen umzusetzen. Das ist sehr schade, denn jede Veranstaltung sollte nachhaltig durchgeführt werden. Öffentliche Einrichtungen haben wiederum einen ganz anderen Spielraum sowie Vorgaben in Bezug auf eingesetzte Gelder, diese auch nachhaltig einzusetzen. Insofern sollten sie mit gutem Beispiel vorangehen und das besonders nachhaltig umsetzen. 
 
Es geht also entscheidend um die Bereitschaft und MöglichkeitGeld für Nachhaltigkeit auszugeben? 

KW: Ja, der Kostenpunkt ist definitiv immer ausschlaggebend. Auch in den vergangenen Projekten, die wir umgesetzt haben, haben wir immer Geld in die Hand nehmen können, weil entweder die Bands intrinsisch motiviert waren, wie zum Beispiel Die Ärzte, Die Toten Hosen oder AnnenMayKantereit. Oder wir haben eine Förderung der Initiative Musik bekommen für unser Projekt mit SEEED. Das ist allerdings auch ein bisschen ernüchternd, wenn die Umsetzung eines nachhaltigen Konzepts darauf angewiesen ist, dass es von der intrinsischen Motivation von Einzelnen abhängt oder aufgrund der Förderungen durch öffentliche Gelder. 
 
Wäre gesetzlicher Zwang die einzige Möglichkeit, das flächendeckend zu ändern? 
 
KW: Es braucht auf jeden Fall einen gesetzlichen Rahmen, um die Vereinheitlichung abzustecken. Welche Standards gibt es? Welche Sprache verwenden wir? Wir haben beispielsweise bisher keine Übersetzung der Wörter wie klimaneutral, net zero, nachhaltig etc. Erste Unternehmen wurden nun aufgrund der Verwendung des Wortes klimaneutral verklagt - so derzeit DM von der Deutschen Umwelthilfe -, was ich sehr gut finde, weil hier noch eine Vorgabe fehlt. Was bedeutet klimaneutral? In welchem Zusammenhang darf man das verwenden und welchen Zusammenhang nicht? Aber nicht nur rechtlich, uns fehlt tatsächlich sogar im Kommunikativen noch die Definition dessen, was wir denn meinen, wenn wir klimaneutral oder net zero oder Nachhaltigkeit sagen. Ich würde mir da definitiv mehr Vorgaben aus der Politik wünschen, damit die Veranstaltungsbranche mehr Sicherheit darin hat, wo sie ansetzen muss, bis wann sie handeln muss und wo sie sich hin entwickeln kann. 
 
Dazu gehört auch die Frage, wie man so eine CO2-Bilanzierung bzw. Klimabilanzierung überhaupt macht. Gibt es dazu bereits Ansätze in der Musikbranche und im Veranstaltungmanagement? 
 
KW Ende des Jahres soll die Anlaufstelle Green Culture kommen, da sind natürlich die Erwartungen und Hoffnungen groß. Ansonsten gibt es vom Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit einen Arbeitskreis, der einheitliche Standards für Bilanzierung erarbeitet. In der Arbeitsgruppe sind jedoch leider nur öffentliche Einrichtungen und keinerlei Konzertveranstalter oder Festivalveranstalter*innen oder sonstige Menschen aus der Privatwirtschaft. Hier würde ich mir für die Zukunft wünschen, dass es mehr Überschneidungen zwischen der Musik- und Veranstaltungsbranche und der Hochkultur gibt. Die Regeln werden für uns alle kommen, wir arbeiten alle am gleichen Ziel. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit des Wissenstransfers und einander mehr in Projekte einzubinden. 
 
Gibt es noch etwas, was unsere Leser*innen mitnehmen können? 
 
KW Jede Person kann nachhaltiger agieren, indem man etwa die Bank wechselt (Anm. d. Redaktion: gemeint ist hier tatsächlich ein nachhaltig agierendes Finanzinstitut) und seine Stimme nutzt. Das finde ich einen wichtigen Punkt. Ganz generell glaube ich, dass es sinnvoll ist, sich Leute zu suchen, mit denen man zusammen ein Projekt angehen kann. Denn es macht viel mehr Spaß, in einer Gemeinschaft mit Mitstreiter*innen an einem höheren Ziel zu arbeiten.
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