17.03.2023

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Norman Fleischer
engagiert sich seit Anfang 2020 für Music Declares Emergency Germany. Hauptberuflich betreibt er zusammen mit Tine Theurich seit 2017 die Agentur SUPERUNKNOWN mit Schwerpunkt auf kreative Künstler*innen-Kommunikation, Community-Aufbau und Crowdfunding. Der passionierte Musik-Liebhaber veröffentlicht außerdem in regelmäßigen Abständen das Mailout THIS MESS CALLED MUSIC mit seinem Blick auf die Musikindustrie.

Musikindustrie und Klimaschutz

Mit gutem Beispiel voran!

Die Coronapandemie hat uns schmerzlich gezeigt, wie abhängig Künstler*innen inzwischen vom Live-Geschäft sind. Die Klimakrise, die wie ein Damoklesschwert über der Menschheit schwebt, wurde dabei jedoch zu oft in den Hintergrund gedrängt. Davon abgesehen, hat sie es aufgrund ihrer Unmittelbarkeit seit jeher schwer in der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei tickt die Uhr unaufhörlich. Uns bleibt noch ein knappes Jahrzehnt für signifikante Veränderungen und eine Reduktion der Emissionen, um einen Effekt zu erzielen. Alle gesellschaftlichen Bereiche sind betroffen, die Musikindustrie ist keine Ausnahme, doch auch hier sind die Bestrebungen noch recht zögerlich.

Themenreihe klimafreundlich

Warum die Musikindustrie jetzt handeln muss

Wie vertragen sich also globale Tourneen, aufwendige Produktionen, Merchandise, Emissionen der Venues und das Reiseaufkommen der Fans mit einer nachhaltigeren ökologischen Einstellung? Allein in England werden pro Jahr 380 Millionen Liter Benzin von der Festivalindustrie ausgegeben. Laut Teresa Moore, Leiterin von "A Greener Festival", werden geschätzt 20 Prozent der Zelte auf Festivals als Müll zurückgelassen, was europaweit mehrere 100.000 zurückgelassene Zelte zur Folge hat. Der "Show Must Go On”-Report aus dem Jahr 2020 hat die Gesamt-Emissionen aller UK-Festival-Besucher*innen mit fast 130.000 Tonnen bemessen. An- und Abreise sind die Hauptverursacher dieser Zahlen und vor allem bei Events abseits gut angebundener Stadtfestivals zeigen sich hier Defizite. Die Band Radiohead hat im Rahmen einer Studie zu ihrer Tour im Jahr 2012 festgestellt, dass über 90 Prozent der Emissionen der Tour durch das Reiseaufkommen der Fans mittels Auto verursacht wurden. Auch bei der Band selbst ist die Anreise der wichtigste Emissions-Faktor gewesen, wohingegen die Tourproduktion kaum eine entscheidende Rolle spielte. Die Datenlage ist im Musikbereich noch sehr ausbaufähig; vor allem in Deutschland gibt es aktuell kaum Erhebungen zu diesem Thema. Auch das muss sich ändern! [Anm. d. Red.: Dieser Beitrag erschien bereits im Februar 2021, seitdem hat sich einiges getan, wenngleich es weiterhin dringenden Handlungsbedarf gibt. Siehe dazu auch: https://miz.org/de/beitraege/klimaschutz-in-der-musik-veranstaltungs-branche (zuletzt aufgerufen am 23.02.2023).]
 
Es wird deutlich: Die Musikindustrie kann sich nicht aus der Verantwortung ziehen, muss ihre Prioritäten überdenken und Tourneen in Sachen Logistik dringend nachbessern. Tournee-Reisepläne müssen effizienter gestaltet, Produktionen generell emissionsärmer werden. Das Catering sollte regionaler, biologischer und pflanzlicher werden. Ein ganz einfacher Schritt: Künstler*innen und Veranstalter*innen müssen dies aktiv fordern auf ihren Ridern. Die Zeit der überfüllten Kühlschränke im Backstage-Bereich sollte vorbei sein. Auch auf Plastik kann und muss in diesem Zusammenhang dauerhaft verzichten werden. Darüber hinaus braucht es bei der bereits erwähnten An- und Abreise ebenfalls ein Umdenken. Es müssen Alternativen zum individuellen Autotransport, Anreize für den Nahverkehr und gemeinsames Reisen entwickelt und der Status Quo radikal neu gedacht werden.

Künstler*innen können günstigere Tickets für Fahrgemeinschaften herausgeben. Ebenso können sie mit dem örtlichen Nahverkehr zusammenarbeiten und Konzerte so legen, dass man z.B. die letzte Bahn nachts nach Hause noch erwischt. Warum muss eine Band eigentlich erst um 21 Uhr auf der Bühne stehen?

Auch das Thema Merchandise kann nicht so beibehalten werden, denn bei Nachhaltigkeit geht es nicht nur um Produktion, sondern auch Reduktion. Das Herstellen und Transportieren immer neuer Band-Shirts, meist preisgünstig produziert, ist ein Emissionsfaktor, der in aktuellen Kalkulationen meist noch gar nicht auftaucht. Einige der Künstler*innen, die sich für Music Declares Emergency engagieren, denken hier bereits mit: Die deutsche Band KLAN kauft etwa vor der Tour Second Hand-Klamotten und bedruckt sie selbst. Die britischen Band The 1975 bedruckte darüber hinaus nicht verkaufte Merch-Motive auf kreative Weise neu und machte so aus Restbeständen individuelle neue Kleidungsstücke.

Die unterschätzte Macht der Künstler*innen

Die Liste ist lang, die Aufgabe erscheint groß, aber so ist auch das Potenzial. Denn am Ende haben es die Künstler*innen in der Hand. Insbesondere da die Politisierung des Pop, die 2020 mit dem Support für die "Black Lives Matter”-Bewegung ein neues Level erreicht hat, weiter voranschreitet. Dabei haben die Musiker*innen mehr denn je durch die Kraft ihrer eigenen Kommunikationskanäle die Möglichkeit, Fans anzusprechen und Bewusstsein für Themen zu schaffen, die ihnen wichtig sind. Es macht einen Unterschied, wenn eine Künstlerin wie Billie Eilish sich auf Konzerten des Themas annimmt, den Claim "No Music On A Dead Planet” verbreitet und versucht mit Info-Ständen rund um ihre Show, ihr junges Publikum für das Thema zu sensibilisieren. Auf ihrer - durch Corona leider sehr schnell wieder abgesagten - Tour hat sie außerdem durchgesetzt, dass Plastikbecher in den Veranstaltungsorten verboten wurden.

Bewusstsein schaffen und das Problem beim Namen nennen, sind hier nur die ersten Schritte. Der wirklich entscheidende Schritt - das Handeln - steht im Anschluss. Natürlich sorgte die Ankündigung von Coldplay im Jahr 2019, erst wieder touren zu wollen, wenn es einigermaßen klimaneutral möglich ist, für Aufsehen. Noch schulden sie uns hier den Beweis und konkrete Ideen, doch an dieser Aussage werden sich die britischen Superstars messen lassen müssen. [Anm. d. Red.: Coldplay war ab März 2022 wieder auf Welt-Tournee, die versucht wurde, mit verschiedenen Ansätzen klimafreundlich(er) zu gestalten. Siehe dazu auch: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/coldplay-oekologisch-auf-welttournee-100.html (zuletzt aufgerufen am 23.02.2023).] Dennoch braucht es zweifelsohne populäre Vordenker*innen, die ihren Einfluss (und finanziellen Möglichkeiten) nutzen, um den Rest der Industrie in eine nachhaltigere Richtung zu lenken.

Der Erfolg der Musikindustrie steht und fällt mit den Künstler*innen. Sie entscheiden über ihre Produktionen, ihre Tourneen, ihren Catering-Plan. Sie können sagen: "Wir machen das so oder gar nicht." Und das sollten sich auch viele unbekannte Akteur*innen abseits großer Arenatouren trauen. Music Declares Emergency möchte sie dazu ermutigen.
Wie Music Declares Emergency dabei helfen möchte

Music Declares Emergency ist ein Bündnis aus kreativen Klimaaktivist*innen aus der Musikbranche, das sich seit 2019 dafür einsetzt, das Thema Klimaschutz innerhalb ihres Kosmos auf der Agenda nach oben zu setzen. Zu den ersten Unterzeichner*innen der Declaration im UK zählten große Acts wie Radiohead, Massive Attack, Foals oder eben Billie Eilish, aber auch viele kleine Acts. Im Laufe des Jahres 2020 haben wir den deutschen Ableger gegründet, der im Herbst offiziell gelauncht ist. Weitere internationale Ableger von Music Declares Emergency entwickeln sich Stück für Stück, individuell in ihrem Wesen aber durch die gemeinsame Mission miteinander verbunden. Wir wollen die Akteur*innen für das Problem sensibilisieren, für die Aussagen der Wissenschaft, für die Dringlichkeit der drohenden Katastrophe, gegen die Corona und ihre Einschränkungen noch vergleichsweise harmlos wirken. Am Anfang unserer Arbeit stehen dabei Onboarden und Informieren, zukünftig wollen wir mit allen interessierten Akteur*innen Workshops und Community-Events organisieren und somit gleichzeitig Bewusstsein als auch Druck auf die Industrie erhöhen.

Denn wenn wir die Grundlage unseres Lebens zerstören, zerstören wir auch das Fundament für Austausch und Kreativität. Was, wenn in einigen Jahrzehnten Festivals und Tourneen wegen akuter gesetzlicher Restriktionen oder klimatischen Veränderungen wirklich nicht mehr stattfinden können? Und es wortwörtlich heißt: No Music On A Dead Planet. Doch noch können wir das Ruder rumreißen, noch haben wir es in der Hand, können den Wandel voranbringen, indem wir auf das Thema aufmerksam machen. Laut, unbequem und mit Kreativität. Und vor allem mit den Künstler*innen und Akteur*innen der Branche zusammen. Sie sollen keine Angst vor dem Thema haben, sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen und das Thema selbstbewusst mit ihren Fans diskutieren, vor allem all die Widersprüche, die immer wieder auftauchen. Empowerment ist hier eine unserer Kernaufgaben.

Den Launch von Music Declares Emergency Germany sehen wir als Start einer Veränderung, die wir als Branche gemeinsam definieren und über die wir den Austausch offen und transparent halten wollen. Einige, die wir angefragt haben, reagierten noch mit Zurückhaltung. Anderen ist das, was wir machen, noch zu wenig. In der individuellen Herangehensweise liegt gleichermaßen Herausforderung wie Chance.

Doch dafür brauchen wir ein neues Denken, eine neue Transparenz und die initiale Erkenntnis der Industrie, dass sie sich verändern muss. Niemand muss direkt zu Beginn ein Umweltengel sein; 100-prozentige Nachhaltigkeit ist innerhalb des aktuellen politischen und ökonomischen Systems ohnehin sehr schwierig. Wir wissen das und verurteilen niemanden. Gleichzeitig wollen wir deutlich machen, dass grünes Wirtschaften kein Marketingtrick ist und dass "Alle Emissionen ausgleichen” nicht gleichzusetzen ist mit Nachhaltigkeit, sondern nur einen Ablasshandel darstellt. Klimaschutz ohne Systemwandel ist schlichtweg nicht möglich und auch nicht erstrebenswert. Es ist ein Balance-Akt, aber ihn zu gehen, ist wichtig und unumgänglich. Die Musikindustrie muss sich dabei entsprechend positionieren und den gesellschaftlichen Wandel mittragen. Der Fahrplan dazu entsteht auf Grundlage eines Austauschs auf Augenhöhe, wobei die präzisen Anweisungen seitens der Wissenschaft dringend einfließen müssen. Nicht nachlassen, hartnäckig bleiben und jeden kleinen Schritt in die richtige Richtung wie eine Revolution feiern - dies ist unser Angebot an alle Mitstreiter*innen. Es gibt keinen besseren Moment als genau jetzt.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 158: "Ökologischer Fußabdruck". Der Autor ist Mitglied bei Music Declares Emergency Germany, für das er stellvertretend diesen Artikel geschrieben hat.

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