22.09.2022

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Melina Eichenlaub
studiert im Master Theater- und Orchestermanagement an der HfMDK Frankfurt. Zuvor absolvierte sie ihr Bachelorstudium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Praktische Erfahrungen sammelte sie zwischen den Studiengängen als feste Mitarbeiterin im Produktionsbüro/KBB der Nibelungen-Festspiele Worms und als Projektassistentin für ein theatrales Stadtteilprojekt am Volkstheater Wien.
Richtlinien für nachhaltiges Arbeiten am Theater

Ist das nachhaltig oder kann das weg?

Inwieweit sich die künstlerische Freiheit und das nachhaltige Arbeiten an Theater- und Opernhäusern tatsächlich widersprechen, untersucht Melina Eichenlaub in ihrer Masterarbeit und gibt mit diesem Artikel einen ersten Blick in ihr Forschungsgebiet. Dafür erläutert sie anschaulich die drei Nachhaltigkeitsdimensionen und die jeweiligen Stellschrauben an den Häusern.

Themenreihe klimafreundlich

Nachhaltigkeit, im Sinne eines ökologisch nachhaltigen Handelns, ist aktuell ein viel diskutiertes Thema, denn spätestens seit der Veröffentlichung des aktuellen Sachstandsberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 2022 ist klar: Das Ausmaß des Klimawandels ist stärker und schreitet schneller voran, als bisher vermutet. Nachhaltigkeit, vor allem im Kontext des Klimawandels, wird auch deshalb seit einigen Jahren verstärkt auch auf den Theaterbühnen thematisiert. Allerdings reicht es nicht mehr aus, sich nur inhaltlich mit der Thematik zu befassen und diese dem Publikum vermitteln zu wollen. Vielmehr werden ein systemischer Wandel und ein Umdenken unserer bisherigen Lebens- und Arbeitsprozesse benötigt. Deshalb muss der Theaterbetrieb selbst ein nachhaltiger, möglichst ressourcenschonender Ort werden, wobei der Fokus hierbei nicht nur auf der ökologischen Nachhaltigkeit liegen sollte. 
 
Dabei stellt sich zunächst die Frage: Welche Ressourcen verbraucht ein Theaterbetrieb? Zum einen geht es um materielle Güter, die vor allem für Bühnenbilder, Requisiten und Kostüme anfallen. Aber auch Büromaterialien für die Abteilungen der Organisation und Verwaltung zählen hierzu. Zum anderen sind auch potenziell immaterielle Güter wie der Strom- und Wasserverbrauch und der CO2-Fußabdruck durch Gastspiele und Gastengagements zu beachten. Einen dritten, wesentlichen Punkt bildet die Ressource "Mensch". Der Umgang mit dem Ensemble und allen weiteren Mitarbeitenden am Theater kann ebenfalls als nachhaltig, oder eben als nicht nachhaltig beschrieben werden. Passend dazu definiert Dr. Iris Pufé drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (vgl. Pufé 2012): 
 
  1. Ökologische Nachhaltigkeit: Diese Dimension bezieht sich auf den Verbrauch unter Berücksichtigung einer möglichen Regeneration von Ressourcen.
  2. Ökonomische Nachhaltigkeit: Hier wird die Dimension eines langfristigen, dauerhaften Wirtschaftens und Arbeitens berücksichtigt.
  3. Soziale Nachhaltigkeit: Diese Dimension beschreibt die Voraussetzungen für ein friedliches, deeskalierendes Miteinander.
Im besten Fall sind in einem nachhaltigen Theaterbetrieb alle drei Dimensionen abgedeckt und verstärken sich gegenseitig. Theoretisch sind sie gleich wichtig und werden gleichwertig wahrgenommen. In der Praxis sieht das aktuell aber noch anders aus. 
 
Ökologische Nachhaltigkeit
 
Klimafreundliche bzw. klimaneutrale Produktionsweisen sind heute notwendiger denn je, das schließt die Theaterbetriebe nicht aus. Vor allem die von öffentlicher Hand durch Steuergelder in Millionenhöhe geförderten Häuser sollten mit gutem Beispiel vorangehen und könnten sich als Versuchslabore für klimafreundliche Kunstproduktion hervortun. Hierfür ist sowohl eine gute interne Kommunikation über den Umgang mit Materialien notwendig sowie ausreichend Zeit für die Analyse und Umsetzung nachhaltigerer Arbeitsweisen einzuplanen. 
 
Gerade an der Zeit fehlt es oft im Arbeitsalltag, daher sind die Unterstützung und das Verständnis der Leitungspersonen für dieses Thema unabdingbar. Nicht nur jedes Theaterhaus, auch jede Abteilung innerhalb funktioniert individuell und hat jeweils unterschiedliche Möglichkeiten, Nachhaltigkeit zu integrieren. Daher braucht es individuelle Konzepte. Grundsätzlich sollte jede Produktionsentscheidung auf den Nachhaltigkeitsaspekt hin überprüft werden: Ist es beispielsweise nötig, eine Theaterbühne knöchelhoch zu fluten oder das gesamte Bühnenbild aus ästhetischen Gründen in Plastik zu verpacken? Müssen Bühnenbilder aus Platzgründen geschreddert und gebrauchter Molton weggeworfen werden, weil ein Neukauf günstiger ist als die Reinigung? Zur ersten Frage soll die Antwort nicht lauten, die Kunstfreiheit oder deren ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten einzuschränken. Vielmehr geht es um eine Beschäftigung damit, wie nach der Aufführung mit den Materialien umgegangen wird: Statt Unmengen an Plastikmüll zu produzieren, gibt es möglicherweise andere Optionen, ein Bühnenbild auf umweltfreundlichere Weise zu gestalten, ohne die gewünschte Ästhetik zu stören. Auf der anderen Seite sollten Theaterhäuser durchaus festlegen dürfen, dass beispielsweise Requisiten und Kostüme, deren Produktion durchaus sehr kosten- und zeitintensiv sein kann, nicht in der Endprobenwoche aus künstlerischen Gründen aussortiert werden. 
 
Neben den Materialien gehen hier auch regelmäßig Arbeitszeit und Geld verloren. Eine mögliche Lösung, ebenso wie für die nicht mehr benötigten Bühnenbilder und Stoffe, könnte eine regionale Materialbörse sein, auf die alle staatlichen, privaten und Amateurtheater und Kulturorganisationen Zugriff haben und günstig Bedarfsgegenstände erwerben oder tauschen können. Diese könnte von einer regionalen oder überregionalen Interessenvertretung verwaltet und organisiert werden. Ein ähnliches Konzept verfolgt beispielsweise die Hanseatische Materialverwaltung in Hamburg: Im Rahmen eines gemeinnützigen Fundus werden hier abgespielte Bühnenbilder, Requisiten, Stoffe, uvm. gelagert, verwaltet und kostengünstig zur Verfügung gestellt. So entsteht ein Materialkreislauf, der wesentlich nachhaltiger ist als die Wegwerf-Mentalität. Zudem engagieren sich viele Theater bereits jetzt im Re- und Upcycling. Das Theater Kiel und die Nibelungen-Festspiele Worms verarbeiten gebrauchte Werbebanner zu Taschen und Kissenbezügen weiter, um nur zwei Beispiele zu nennen. Genauso gehören potenziell einfache Dinge wie Mülltrennung, der Umgang mit massenhaft gedruckten Textbüchern oder die Menügestaltung in der Kantine zur Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit.
Ökonomische Nachhaltigkeit
 
Der Faktor der ökonomischen Nachhaltigkeit schließt hieran an: Zwar sind die öffentlich geförderten Theaterbetriebe in der luxuriösen Situation, regelmäßig Gelder von Städten, Ländern und Bund zu bekommen und daher langfristig planen und arbeiten zu können. Allerdings geht es in dieser Dimension auch um Themen wie Transparenz, Verankerung in der jeweiligen Stadtgesellschaft und den Umgang mit externen Dienstleister*innen. Die Nutzung von regionalen Ressourcen und Anbieter*innen statt überregionaler oder sogar internationaler (Amazon-)Bestellungen verringert einerseits den eigenen CO2-Fußabdruck und schafft gleichzeitig lokale Kooperationen. Zudem sind das Ansehen des Theaterhauses in der jeweiligen Stadt und die Beziehung zum eigenen Publikum keine unwesentlichen Faktoren, wenn es um die weitere finanzielle Unterstützung durch Steuergelder geht. Während das Engagement für Nachhaltigkeit zunehmend mehr Menschen, vor allem aus jüngeren Generationen anspricht, kann es gleichzeitig ein Alleinstellungsmerkmal für das jeweilige Haus bilden. 
 
Unterdessen ist eine transparente, nachvollziehbare Arbeitsweise notwendig, um Vertrauen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebs zu schaffen. Auch als Argumentationsgrundlage gegenüber der Politik ist eine starke Position des Theaterhauses in der Bevölkerung von großem Vorteil. Allerdings soll die Politik hier nicht als Gegnerin, sondern vielmehr als Partnerin der nachhaltigen Entwicklung beschrieben werden. 2020 hat sich die Partei Bündnis90/Die Grünen in einem Fraktionsbeschluss beispielsweise zum Ziel gesetzt, Kultureinrichtungen im "ökologischen Transformationsprozess" (vgl. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion 2020: 1). zu begleiten und durch die Schaffung eines Green Culture Desk und eines Green Culture Fond zu unterstützen. Ohne die Zusammenarbeit von Theaterhäusern und Politik ist eine nachhaltige Entwicklung der erstgenannten nur schwer umsetzbar, vor allem in finanzieller Hinsicht. Inhaltlich gibt es durchaus die Möglichkeit, auf Expert*innen zurückzugreifen. So gibt es verschiedene Agenturen, Büros und Netzwerke, welche sich auf die Beratung, individuelle Analyse und Konzepterstellung für eine nachhaltige Entwicklung in Kulturbetrieben spezialisiert haben. Vor allem das deutschlandweit agierende Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit um den Leiter Jacob Sylvester Bilabel, aber auch das WHAT IF Projektbüro für nachhaltige Kultur in München und der Verein SAVE THE WORLD e.V. um die künstlerische Leiterin Nicola Bramkamp leisten hier bereits aufsehenerregende Arbeit. 
 
Soziale Nachhaltigkeit
 
Die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit bringt neue Debatten ins Spiel: Mitte Juni 2022 ist gerade eine weitere Runde der Tarifverhandlungen zwischen Künstler*innengewerkschaften und dem Deutschen Bühnenverein gescheitert. Bereits vor Corona war die Situation vieler Künstler:innen prekär, die wenigsten konnten sich finanziell langfristig absichern. Durch die Pandemie hat sich diese Situation noch verschlechtert. Zudem treten Vorfälle und Diskussionen um Machtmissbrauch und Rassismus in erschreckender Häufigkeit auf. Innerhalb der Theaterhäuser gibt es bis zu drei unterschiedliche Vertragsarten mit verschiedenen Konditionen und unterschiedlich starken Gewerkschaften. All das führt zu zwischenmenschlichen Spannungen. 
 
Unter sozialer Nachhaltigkeit versteht Dr. Pufé unter anderem Weiterbildung und Personalentwicklung, Mitarbeiter*innenbeteiligung, Arbeits- und Sozialstandards, Diversity Management und Sicherheit und Gesundheit. All das können Instrumente sein, um Probleme anzugehen und friedlich und gewaltfrei miteinander zu arbeiten. Eine gewisse Fluktuation ist in künstlerischen Bereichen durchaus normal und kann bereichernd sein. Grundsätzlich sind regelmäßige Personalwechsel oder auch häufige Krankheitstage aber zumindest ein Indiz für Unstimmigkeiten, zumal sie aus wirtschaftlicher Sicht Zeit und Geld kosten. Daher lohnt es sich, in solchen Fällen genauer hinzusehen und die Dynamik innerhalb der Theaterhäuser zu analysieren. Aber auch präventiv sind Führungspersonen in der Pflicht, sich selbst und allen anderen Mitarbeitenden die Zeit zu geben, sich regelmäßig weiterzubilden und eine stetige Kommunikation auf Augenhöhe zu etablieren, um Probleme frühzeitig zu erkennen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Dabei können Impulse durch Außenstehende, beispielsweise im Rahmen von Coachings, weiterhelfen. 
 
Natürlich sind die vorhandenen Probleme, vor allem die der sozialen Nachhaltigkeit, nicht in einem Absatz zu diskutieren und aufzulösen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Um auf einer positiven Note zu enden: Viele Theaterschaffende engagieren sich bereits in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Die Gründung von Arbeitsgruppen und Netzwerken zu diesem Thema war und ist enorm wichtig und trägt bereits zu einer Entwicklung bei. So hat beispielsweise Performing for Future - Netzwerk Nachhaltigkeit in den Darstellenden Künsten eine Wiki-Plattform zum Thema Theater und Nachhaltigkeit ins Leben gerufen, die über alle drei Dimensionen informiert und jederzeit weiter ergänzt werden kann.
 
Was bleibt?
 
Das Theater ist ein historisch gewachsener Ort der Bildung, es sollte ein Ort des offenen Diskurses sein und ein demokratischer Ort des gesellschaftlichen Miteinanders. Hier entstehen Möglichkeitsräume, hier können Ideen und Konzepte ausprobiert, vermittelt und diskutiert werden. Doch noch stehen sich die Inhalte auf der Bühne und die Arbeitspraxis gegenüber. Was auf der Bühne behauptet wird, wird dahinter nicht (immer) umgesetzt. Dabei sollte Nachhaltigkeit nicht nur in Bühnenstücken abgehandelt, sondern im Arbeitsalltag auch gelebt werden. Dieser Artikel hat ansatzweise Probleme und Handlungsoptionen aufgezeigt. Um sich in der Vielzahl der Möglichkeiten zurechtzufinden, sind individuelle Konzepte und Richtlinien sinnvoll. Diese können eine Hilfestellung bei der nachhaltigen Entwicklung bieten und konkrete Ziele transparent festhalten. Während sich innerhalb der Theater bereits Nachhaltigkeits-AGs und ähnliche Gruppen bilden, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, fehlt es bisher oftmals noch an einem für das jeweilige Theaterhaus gültigen und verpflichtenden Konzept. Hier ist die Leitungsebene in der Pflicht, einen Prozess anzustoßen und diesem den nötigen Raum zu geben. So können gemeinsam mit den Mitarbeitenden und möglicherweise auch mit externen Berater*innen individuelle und sinnvolle Richtlinien für das eigene Haus oder die eigene Organisation erarbeitet werden. Wie dies in der Umsetzung aussehen könnte und welche Initiativen es bereits gibt, werde ich in den kommenden Monaten im Rahmen meiner Masterarbeit zu den Möglichkeiten nachhaltiger Theaterproduktion weiter erforschen.
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 168: "Under Pressure" - einer Sonderausgabe, die in Kooperation mit dem Masterstudiengang Theater- und Orchestermanagement der HfMDK Frankfurt entstand.
 
Literatur
 
 

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