27.04.2023

Buchdetails

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Autor*in

Aileen J. Becker
promoviert am Max-Weber Kolleg in Erfurt über christliche Gemeinschaftsbildung. Zuvor leitete sie das Projekt "Provenienzforschung" für die Städtischen Sammlungen der Universitätsstadt Tübingen und absolvierte ein Volontariat im Bereich Sammlungsmanagement und Ausstellungen bei der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem Historischen Museum der Pfalz Speyer. Sie studierte Archäologie, Geschichte und Altphilologie in Konstanz und Freiburg und ist im Kulturmanagement und der Provenienzforschung zertifiziert.
Buchrezension

Das Culture Playbook: 60 effektive Werkzeuge für den Erfolg Ihrer Teams

Teamarbeit ist auch im Kulturbetrieb unerlässlich, wofür eine gesunde Organisationskultur das A und O ist. Damit diese überhaupt entstehen und sich entwickeln kann, liefert Daniel Coyle mit "Das Culture Playbook" seinen nächsten Ratgeber. Mit Hilfe des locker geschriebenen und zugleich inhaltsschweren Arbeitsbuches kann man teils retrospektiv und teils prospektiv sowie immer reflexiv einen Entwicklungsplan für sein Team erstellen, mit dem Ziel einer eigenen "Kultur".
 
Die Kultur einer Gruppe muss sich erst entwickeln

"Das Culture Playbook" erschien 2023 bei Vahlen als Übersetzung aus dem Englischen in den deutschen Buchhandlungen. Es richtet sich an keine spezifische Berufssparte, sondern zielt darauf, zu zeigen, wie Teams in diversen Bereichen erfolgreich zusammenarbeiten und eine "Kultur" entwickeln. In 60 praktischen und konkreten Tipps zeigt Daniel Coyle, wie eine gesunde Organisationskultur aussieht und was jede*r selbst dazu beitragen kann. Dabei stützt er sich auf seine eigenen Erfahrungen im Beruf und mit Teamarbeit, wovon er einiges bereits in Bestsellern wie "The Culture Code" oder "The Secret Race" dargelegt hat, und nutzt sein umfangreiches Netzwerk. Der Titel des Buches verrät, dass es sich um ein sogenanntes Playbook handelt; Work-, Run- oder Playbooks dokumentieren wichtige Prozessschritte. Sie sollen vom Lesenden festgehalten und erarbeitet werden.

Begriffe wie Arbeits- oder Betriebsklima, Corporate Identity und Organisations- und Unternehmenskultur sind zwar im allgemeinen Sprachgebrauch geläufig. Allerdings gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, was sie im Einzelnen beschreiben und inwieweit sie das Arbeiten beeinflussen. Coyle wählt für seinen Ratgeber bewusst den Begriff der Kultur, da er nicht nur Betriebe in den Fokus nimmt, sondern vor allem Teams, die er als soziale Konstrukte mit eigenen Werten und Normen versteht. Demnach müssen dort, wo Menschen zusammentreffen, neue Anforderungen an die Gruppe ausgehandelt werden, die von den Gruppenmitgliedern wiederum als gerecht, angemessen oder ideal akzeptiert werden müssen. Laut Coyle könne man das in der Praxis gut bei der (Organisations-)Kultur von Sportteams beobachten. Er ermöglicht durch den Blick in den Sport - nicht nur amerikanischen Lesenden - einen spielerischen Zugang zum Thema Organisationskultur. Bereits die abgebildete Biene auf dem Cover - als hochsoziales Wesen - versinnbildlicht die Relevanz der Zusammenarbeit eines Teams, da wir als homo socius in einer Gruppe voneinander abhängig sind. In diesem Verständnis definiert der Wirtschaftsexperte Gerhard Schewe eine Organisationskultur als ein "System gemeinsam geteilter Muster des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der sie vermittelnden Normen, Werte und Symbole innerhalb einer Organisation."[1] Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Kultur durch die Handlungen von Organisationsmitgliedern gestaltet wird ("Ihre Kultur = Ihre Handlungen").
Man umarme den Boten im selben Boot

Einen besonderen Schwerpunkt bildet nach Coyle die emotionale Ebene beim Austausch zwischen Kolleg*innen, was an klassische Kommunikationstheorien denken lässt. Gemeint sind verbale und nonverbale Kommunikation bzw. die Pflege der Beziehungsebene und das Bewusstsein darüber, dass diese entscheidend zum Gelingen der Kommunikation beiträgt. Daran orientieren sich seine drei Kernthemen: "Sicherheit gewährleisten", "Verletzlichkeit teilen" und "Sinn etablieren". Hier versammeln sich jeweils etwa 20 Tipps, die bereits den Überschriften nach Unterhaltungswert besitzen, z.B. "Umarmen Sie den Boten", der eine Information (z.B. Kritik oder eine Fehlfunktion) übermittelt, als eine Abwandlung der bekannten Phrase von Sophokles "Töte nicht den Boten", was selbstverständlich rein metaphorisch gemeint ist und zum ehrlichen Feedback im Team anregen soll. Wenn das Team hingegen schweigt, können wichtige Informationen zurückgehalten werden, die wiederum dazu führen, dass es kein Entwicklungspotenzial gibt. Die Einflussfaktoren können dabei vielfältig sein. Häufig äußern sich Mitarbeitende nicht, da sie oder ein Teammitglied eine negative Sanktion durch eine*n Vorgesetze*n fürchten oder erfahren haben. Ein solches Team lähmt sich.

Jedem der drei Kernthemen ist ein selbst auszufüllender Freihandbereich vorangestellt, sodass die Lesenden anhand von Fragen reflektieren können, was bisher in ihrem Team Teil der eigenen Organisationskultur war und wo Potenzial für Entwicklung liegt. In der wiederholt eingeforderten eigenen Positionierung liegt eine große Stärke des Arbeitsbuches. Man muss mitmachen und sich mit seinem Team in vielerlei Hinsicht darauf einlassen. Solche Mitmach- oder Ausfüllbücher sind auch in Deutschland längst bei Erwachsenen angekommen und vor allem als persönliche Selbstreflexion bekannt. Doch bei Coyle ist man als Arbeitende*r in einem Team angesprochen.

Ein weiterer Schlüssel für den Erfolg im Team liegt im vertrauensvollen Miteinander. Doch wie gelingt es, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen? Verletzlichkeit zu zeigen sei hierfür ein wichtiger erster Schritt, meint Coyle. Man muss mutig vorangehen, wenn man hier etwas bewegen will, und sich emotional öffnen - auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden. Insofern heißt "Verletzlichkeit" für Coyle, sich verwundbar zu machen, wobei dieser Schritt für ihn vor dem Vertrauen kommt. Dazu gehört auch, mit "Toxic Positivity" aufzuräumen, was Coyle den Trugschluss der "glücklichen Glätte" nennt. Diese Oberflächlichkeit verhindere das aufeinander Einlassen und baue Mauern, da negative Emotionen so verkannt und nicht aufgearbeitet werden können. Stattdessen nennt Coyle Beispiele von prominenten Personen, die sich mit ihren Fehlern und schlechten Erfahrungen nach außen gewagt haben und zeigen, dass Scheitern zum Erfolg (eines Teams) dazugehört und kein Tabuthema sein sollte.

Die Übertragbarkeit in den deutschen Kulturbetrieb

Nun mögen Sie sich als Akteur*innen des Kulturbetriebs berechtigterweise fragen, wie sich Coyles Überlegungen auf die Kulturarbeitswelt übertragen ließen. Dazu vorweg zwei Grundprobleme: Zum einen ist der Kulturbereich bislang viel zu wenig praktisch auf solche Themen wie "Organisationskultur" eingegangen. Stattdessen nimmt das Kulturpersonal sich für seine Produkte gern zurück und gibt trotz knapper Ressourcen alles für das Endprodukt. Zugleich sind Teamleistungen wie Verwahrung von Kunst und Kultur für zukünftige Generationen oder auch die Vermittlung dieser an die Öffentlichkeit nie so viel wert wie die Kunst und Kultur selbst. Zum anderen ist das Arbeitsbuch als amerikanisches Produkt von einer extrovertierteren Mentalität geprägt, als man sie in Deutschland gewohnt ist.

Ein Ratgeber wie der von Coyle hat es im Kulturbereich demnach insofern schwer, weil er viel voraussetzt, was beispielsweise im Sport bereits per se passiert: das Zusammenspiel des Teams statt dem Einzelspiel der Profis, der Umgang mit Niederlagen und das Analysieren von Beziehungen und Hierarchien in Bezug auf den Erfolg. Diese Voraussetzungen sind im Kulturbetrieb nicht alltäglich, was womöglich daran liegt, dass es im Kulturbetrieb in der Regel große Unterschiede im Anstellungsverhältnis und der Art der Zusammenarbeit gibt: freie Mitarbeitende, Festangestellte, Projektmitarbeitende, Auszubildende, Angestellte bei Subunternehmen, daneben die Teilung in akademische und technische Tätigkeiten sowie künstlerische und administrative Aufgaben. Man spielt im Kulturbetrieb also nicht zusammen als Einheit auf dem Feld, sondern man arbeitet in einer oft traditionsreichen Institution mit Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen, fügt sich zeitweise zusammen in Projekten, wobei die Beiträge der Einzelnen oft zeitversetzt geschehen. Ein Annäherungsversuch, z.B. als Ausstellungsteam, ist nur teilweise möglich, weil Zustellende und andere Beteiligte lediglich terminiert und aufgabenspezifisch Teil dieses Teams sind. Die Frage wäre also immer: Wer gehört zum Team, das als eine Kerngruppe mit eigener Kultur zusammenarbeiten will? Denn hier gibt es laut Coyle "Idealzahl" und "Überzahl". Er nennt das die "Zwei-Pizza-Regel", wonach sechs Personen ideal sind, da sie bereits fünfzehn Zweierbeziehungen generieren, was noch überschaubar ist - zwei Pizzen. Ein zwölfköpfiges Team hingegen hat bereits sechsundsechzig Zweierbeziehungen. In diesen Fällen wäre es hilfreich, er gäbe noch mehr Tipps für große Organisationen und dem Spiel der Kleinteams (Abteilung) im Großteam (Betrieb).

Fazit

Damit der Kulturbereich die Überlegungen Coyles dennoch für sich adaptieren kann, sollten Kultureinrichtungen sich mehr als Teams verstehen, für deren Erfolg und Wohlergehen es sich lohnt, eine eigene Organisationskultur zu entwickeln. Grundsätzlich muss dafür aber auch in allen Leitungspositionen entsprechendes Wissen geschaffen werden: So sind Kulturmanager*innen mit dem Feld der Organisationsentwicklung im besten Fall vertraut, allerdings fehlt es künstlerischen Leitungen meist an einem solchen Managementverständnis, da dies in traditionellen Studienfächern oft nicht gelehrt wird. Sie sind daher wissenschaftlich und künstlerisch hochqualifiziert, agieren aber in Kulturorganisationen ohne ein entsprechendes Instrumentarium. Gerade für Letztere sind Ratgeber wie der von Coyle also Gold wert.

Ein Vorteil des Buches ist, dass auch einzelne Tipps bereits ohne viel Aufwand umsetzbar sind und Schritt für Schritt die Tür öffnen für die Umsetzung weiterer Tipps. Einige davon sind mitunter tiefgreifender und fordern mehr Partizipation und Engagement. Doch eine eigene Kultur zu entwickeln ist weder gegeben noch Zauberei Einzelner - auch nicht im Kulturbetrieb, wo insbesondere Zeit und Geld knappe Ressourcen sind. Mit Witz greift Coyle Lösungen dafür mit dem magischen Satz "Erzähl mir mehr." auf und führt dies im Gedankenspiel "Wenn Sie einen Zauberstab hätten und einen Aspekt unserer Arbeitsweise verändern könnten, welcher wäre das?" weiter. Damit werden dem Lesepublikum Ideen gegeben, die zum Nachdenken über die eigene Arbeitsumgebung anregen. Nicht zuletzt deswegen fühlt man sich als Kulturschaffende nach der Lektüre bereichert, erheitert und tatsächlich mit Werkzeugen für gelingende Zusammenarbeit ausgestattet - obgleich die Umsetzung die größte Herausforderung darstellt und Überwindung bedeutet, insbesondere einer überkommenen Arbeitswelt.
 

Fußnoten
[1] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/organisationskultur-46204/version-269490, Revision von Organisationskultur vom 14.02.2018 - 17:26 (Abruf am 29.03.2023).

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