14.08.2023

Buchdetails

Die intelligente Kulturorganisation: Management von Informations- und Wissensnetzwerken im Theaterbetrieb
von Ellen Heidelberger
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 296
 

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Autor*in

Carole Boulmont
studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis sowie Kultur- und Musikmanagement. Es folgten verschiedene Stationen im Musik- und Theaterbereich. Hauptsächlich interessiert sie sich für Strukturen im Kulturbereich, Unternehmenskultur und alle intersektionalen feministischen Belange an den Bühnen Deutschlands und Luxemburgs. 
Buchrezension

Die intelligente Kulturorganisation. Management von Informations- und Wissensnetzwerken im Theaterbetrieb

Theater und Krise - zwei Begriffe, die untrennbar verbunden scheinen. Woran das liegt - und um damit zu des Pudels Kern vorzudringen -, versucht Ellen Heidelberger mit Die intelligente Kulturorganisation über einen netzwerktheoretischen und wissensbasierten Ansatz zu klären. Sie zeigt: Die Lösungen aus der Krise findet man nicht unbedingt auf der höchsten Hierarchieebene des Theaterbetriebs.
 
Theater im gesellschaftlichen Diskurs
 
"Die intelligente Kulturorganisation", erschienen im Jahr 2022 im transcript Verlag, beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Wissensarten- und Informationsnetzwerken im Theater. Dabei interessiert sich die Autorin Ellen Heidelberger in einer ersten Leitfrage vor allem für die Gestaltung des Umgangs mit Informationen und Wissen in Theaterbetrieben. Daran angeknüpft sind - als Forschungsgegenstand der Autorin - die Bedingungen und Voraussetzungen, denen sich dieser Umgang unterordnet. Eine zweite Leitfrage der Studie beschäftigt sich mit der Strategie, die der Theaterbetrieb benötigt, um den aktuellen Herausforderungen gewachsen zu sein und sich auch in Zukunft selbst zu erhalten. 
 
Der Hintergrund dieses Bandes ist wohl bezeichnend für den wissenschaftlichen Diskurs am Anfang der 2020er Jahre - nicht nur im Theaterbetrieb, sondern im Kulturbetrieb im Allgemeinen: Multiple Krisen zeichnen sich zunehmend in der Gesellschaft ab, diese verändert sich immer schneller - und Kritiken an öffentlich geförderten Theater- bzw. Kulturbetrieben werden lauter, wird das Geld doch so dringend an anderen Stellen scheinbar viel eher benötigt. So zumindest immer häufiger die Forderungen von Politik und Gesellschaft. 
 
Dadurch kommen Theaterbetriebe in die peinliche Notwendigkeit, sich rechtfertigen zu müssen für eine Arbeitsweise, die die künstlerischen Prozesse in den Vordergrund stellt - also für ihre Arbeitsabläufe, für die Anzahl an Mitarbeiter*innen, die sie benötigen, für ihre Anzahl an Proben und Produktionen, für die Publikumszahlen usw. Kurz: Man bekommt das Gefühl, dass sich Theater dem Zahlencheck unterziehen müssen, wenn sie nicht kommunalen Kürzungen zum Opfer fallen wollen. 
 
Wissensbegriffe, Systeme und Wissensmanagement im theaterwissenschaftlichen Diskurs
 
Ellen Heidelbergers Forschung hat das Ziel, einen Lösungsbeitrag zu bieten, um Theaterbetriebe aus dieser Krise der Legitimationsnotwendigkeit herauszuführen. Mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring, die Heidelberger im theoretischen Teil vorstellt, fragt die Autorin in Interviews vor allem nach den für die Mitarbeiter*innen relevanten Wissensarten. So definiert sie (in Anlehnung an Lam 2000: 491) im Theorieteil bspw. individuelles Wissen (Fähigkeiten und Kompetenzen) und kollektives Wissen (Regeln, Richtlinien und organisationale Routinen). Nach diesen Erkenntnissen codiert sie die Forschungsergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse und kann so einteilen, welche Wissensarten von den Mitarbeiter*innen als wichtig für ihre Position erachtet werden und mit Hilfe welcher Wissensarten Theater Veränderungen hervorrufen können. 
 
Heidelberger stützt sich in einem zweiten Teil auf die System- und die Netzwerktheorie (vgl. Luhmann), da Theaterbetriebe auf äußerliche Faktoren reagieren und ein Theater von seinem Umfeld beeinflusst wird. Die Netzwerktheorie basiert darauf, dass besonders in Organisationen individuelle Handlungen nicht allein existieren, sondern immer in einem Verhältnis zu kollektiven Handlungen stehen. Damit schließt sich der Kreis zu den Mitarbeiter*innen und den einzelnen Abteilungen im Theater. 
 
Auf der Grundlage von diesen beiden Leitfragen entwirft Heidelberger 12 Forschungsfragen, deren Beantwortung sie in der qualitativen, nicht zwingend repräsentativen Stichprobe, nachspürt. Dabei bezieht sie sich vor allem auf Häuser, die sowohl als mittelgroße Stadttheater (200-400 Mitarbeiter*innen) als auch als größere Mehrspartenhäuser (400-550 Mitarbeiter*innen) kategorisiert sind. Sie hat auf eine möglichst große Diversität der Proband*innen geachtet, sowohl hinsichtlich des Geschlechts als auch hinsichtlich ihrer Tätigkeiten im Theater. Dadurch bekommt man als Leser*in einen guten Gesamteindruck hinsichtlich der Kommunikation und des Wissensmanagements der beiden ausgewählten Theaterbetrieben. 
 
Das zweischneidige Schwert - die diktatorische Hierarchie im Theaterbetrieb 
 
Heidelberger fängt mit dieser Forschung einen wichtigen Diskurs auf, der in anderen Branchen bereits systematisiert ist und zur Lösungsfindung genutzt wird. Angesichts der drastischen finanziellen und personellen Lage muss sich dieser Diskurs in der Theaterlandschaft der DACH-Region stärker ausbreiten und systematisiert werden. Da der Themenbereich Kulturmanagement ein relativ junges Forschungsfeld ist und auch der Begriff des Wissensmanagements in der Kultur erst im Jahr 2003 zum ersten Mal benutzt wurde (vgl. Heinze 2003), existieren bis heute vor allem operative Lösungsvorschläge in entsprechenden Studien. Heidelberger hingegen versucht mit ihrer Studie, das Thema mit qualitativen Methoden zu erschließen.  
 
Dabei spielen die Selbstwahrnehmung der Mitarbeiter*innen sowie deren Wahrnehmung der Qualität der Führungsebene eine erhebliche Rolle in den Interviews. So wünschen sich die Führungskräfte bspw. eine hohe Selbstständigkeit von den Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig wissen die Mitarbeiter*innen häufig nicht genau, was ihre Aufgabenfelder sind, und können deswegen schlecht Entscheidungen im Rahmen ihres spezifischen Handlungsspielraumes treffen. 
 
Diese Diskrepanz der Wahrnehmungsunterschiede wird durch unterschiedliche Aussagen in der Studie mehrmals deutlich. So beschreiben beispielsweise an anderer Stelle die Mitarbeiter*innen die Wichtigkeit des Publikums. Gleichzeitig fühlen sich aber besonders die Mitarbeiter*innen des Besucherservices, die an den Schnittstellen zwischen Publikum und Theaterorganisation sitzen, nach Eigenwahrnehmung häufig nicht ernstgenommen. Ein Grund hierfür ist nicht zuletzt das Outsourcing aus Kostenspargründen. 
 
Dass das Personal zudem Personalmanagement-Methoden als eher wenig relevant einschätzt, wundert angesichts des brisanten Personalmangels in der Kulturbranche doch. So findet z.B. kaum eine gezielte Einarbeitung von Mitarbeiter*innen statt, während gleichzeitig die bestehende Personalauswahl oder Kompetenzentwicklung kritisiert werden. 
 
Vor lauter Bäumen wird der Wald nicht gesehen
 
Mitarbeiter*innen, die festgestellt haben, dass ihnen das Verständnis für die anderen Abteilungen fehlt (z.B. Marketing vs. Bühnentechnik), wünschten sich die Einführung von In-House-Hospitierungen. Das könnte dazu führen, dass mehr Feingefühl für andere Arbeitsweisen entsteht, wodurch die Zusammenarbeit und die Kommunikation zwischen den einzelnen Sparten gestärkt werden könnte. Zudem berichten Mitarbeiter*innen auch von fehlenden Möglichkeiten zur Weiterbildung, was Heidelberger als möglichen Faktor zur Eindämmung der Motivation einstuft. 
 
Dies sind spannende Einblicke darin, dass das Personal häufig andere Motivationsfaktoren hat, als dies Führungskräfte denken. So behält man bspw. die Befristung von Verträgen auf häufig jährlicher Basis aufrecht (insbesondere durch den NV-Bühne), mit Betonung auf der Wichtigkeit der künstlerischen Freiheit. Daraus schließt Heidelberger z. B., dass die Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen durch Bildung von abteilungsübergreifenden Teams als Lösung verstanden wird, um die Wissensverteilung und Kommunikation zu vereinfachen. 
 
Die hier ausgewählten Beispiele aus den Studienergebnissen bilden die Studie nicht komplett ab, sollen aber zeigen, wie wichtig der Beitrag der Autorin ist, da nicht nur die Stimmen der Führungskräfte berücksichtigt werden, sondern auch die Ansichten des Personals Einzug in die Diskussion finden. Abschließend verknüpft die Autorin mögliche Lösungen mit dem Handlungsfeld der Kulturpolitik, die für die Rahmenbedingungen in Theaterbetrieben zuständig ist. So plädiert sie etwa seitens der Träger*innen für eine größere Bereitschaft, Veränderungen mitzutragen - unabhängig von den Kosten (etwa um bessere IT-Strukturen einzurichten). Gleichzeitig spricht sie sich dafür aus, dass ein theaterübergreifender Austausch stärker gefördert werden soll, zum Beispiel durch die genannten Hospitanzen in anderen Sparten. Dies ist bislang aufgrund der knappen Zeit- und Personalressourcen nicht möglich. So sind die vorgeschlagenen Lösungen häufig nicht kompliziert, werden aber oft von den entscheidenden Instanzen nicht unterstützt. Das macht es schwierig, Theaterbetriebe auf der Kommunikationsebene die Flexibilität zu gewähren, die sie im 21. Jahrhundert bräuchten.  
 
Für Studierende, Führungskräfte und Kulturpolitik ein Lösungsweg aus der Krise
 
Eine wichtige Lektüre ist "Die intelligente Kulturorganisation" insbesondere für Führungskräfte sowie für alle, die Verantwortung über Personal tragen. Auch für die zahlreichen Kulturmanagement-Studiengänge ist diese Publikation hilfreich und relevant, da durch die vielen Fallbeispiele wichtige berufliche Kompetenzen aus der Lektüre mitgenommen werden können. Zudem bildet Ellen Heidelbergers Publikation eine wichtige Grundlage zur Diskussion für den kulturwissenschaftlichen, kulturpolitischen und kulturmanagerialen (Forschungs-)Diskurs, da sie sich mit Lösungen und nicht nur mit dem Ursprung der Krise beschäftigt. 
 
Außerdem stellt sich die Frage, welche der diskutierten Kontroversen man lösen kann, und welche man vielleicht aushalten muss. Daran, dass man die Ursachen für das an Theaterbetrieben herrschende "Klima der Angst" auf kommunikativer Ebene verorten kann, lässt diese Lektüre kein Zweifel. So betonen die vorliegenden Aussagen doch, dass die Probleme oft hausgemacht sind und das Personal als die wichtigste Komponente der Kommunikation an Theaterbetrieben die Lösungen häufig kennt.
 
Literatur
 
  • Heinze, Thomas (Hg.) (2003) Kommunikationsmanagement. Wissen und Kommunikation in Bildung, Kultur und Tourismus, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
  • Lam, Alice (2000): "Tacit Knowledge, Organizational Learning and Societal Institutions. An Integrated Framework" in: Organization Studies 21 (3), S. 487-513.
  • Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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