12.04.2023

Buchdetails

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Autor*in

Lea Jakob
studierte Italienische Kulturwissenschaften in Passau sowie Management & Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg. Derzeit promoviert sie zu künstlerischer Resilienz in Krisenkontexten und unterrichtet u.a. an der Leuphana Universität und an der Hochschule Heilbronn. In der Freien Kulturszene ist sie insbesondere im Fundraising aktiv und seit 2022 Kaufmännische Leiterin des Orchesters im Treppenhaus.
Buchrezension

Großzügigkeit im Dialog. Der Leitfaden für die Zusammenarbeit mit Mäzenen und Philanthropen

Spenden sind eine wichtige und oft schwierige Finanzierungsquelle für Kulturorganisationen. Wie also können sie die Zusammenarbeit mit Mäzen*innen nachhaltig und produktiv gestalten? Und wie kann diese Form der "großzügigen Beziehung" entstehen? Das zeigt der Band "Großzügigkeit im Dialog", der als wissenschaftlich fundiertes Handbuch für die Praxis gedacht ist.
 
Das Buch von Elisa Bortoluzzi Dubach und Chiara Tinonin erschien 2022 im Hauptverlag und widmet sich der Welt der Philanthropie und des Mäzenat*innentums. Die Autorinnen wählen die "großzügige Beziehung" als Vision und rücken die Chancen in den Fokus, die sich aus dem kreativen Zusammenwirken zwischen Mäzen*innen und Kulturschaffenden oder Non-Profit-Organisationen (NPOs) ergeben. Unter der "großzügigen Beziehung" verstehen die Autorinnen "die Allianz, die ein Mäzen und ein Begünstigter aufbauen, wenn sie ihre jeweiligen Werte und Ressourcen vollständig teilen können, um gemeinsame Ziele zu erreichen" (S. 13). Sie ist auf fünf Säulen aufgebaut: 1. Selbstbewusstsein, d.h. Erkennen des Werts der eigenen kreativen Arbeit, 2. Ausgewogenheit, d.h. eine korrekte Einschätzung des Werts des Engagements auch jenseits der wirtschaftlichen Dimension, 3. Offenheit, d.h. ein aufrichtiges Interesse gegenüber dem Mäzen, 4. Intelligentes Vertrauen und 5. Bereitschaft, hier verstanden als Entschlossenheit, für den gemeinsamen Erfolg zu arbeiten. 
 
Anhand des "Moves Managements" zeichnen die Autorinnen die Schritte auf dem Weg zu einer positiv gestalteten Beziehung nach - von der Recherche bis zum Spendengesuch und der Verstetigung. Darüber hinaus stellen sie mit der strategischen und systemischen Philanthropie mögliche Ansätze für die Zukunft des Kulturfundraisings vor. Die Publikation vermittelt fundiertes Fachwissen, gibt aber vor allem Hinweise für die Arbeit in der Praxis und reichert diese mit zahlreichen Checklisten und Infoboxen an. 
 
Aufbau, zentrale Inhalte und Reflexion
 
Die Publikation beginnt mit einer historischen Einbettung unseres heutigen Verständnisses des Mäzenat*innentums. Dabei grenzt sie den Begriff von verschiedenen Formen der Kulturförderung und Philanthropie ab und definiert Mäzenat*innentum als "uneigennützige Unterstützung und Förderung von künstlerischen und kulturellen Aktivitäten und oft auch von Künstlern selbst in einer systemischen Logik. Im Zentrum steht das Streben nach Pflege, schöpferischer Kraft, Innovation und das Aufblühen der Kultur zum Nutzen ihrer Liebhaber und der gesamten Zivilgesellschaft" (S. 24). Der Begriff der "Uneigennützigkeit" wird an späterer Stelle ausdifferenziert, wenn die Neurobiologie des Schenkens und das Zusammenspiel verschiedener individueller Motive von Mäzen*innen erläutert werden (zu denen auch wirtschaftliche oder steuerliche Aspekte zählen können). Erfreulicherweise widmen sich die Autorinnen explizit auch der wichtigen Rolle von weiblichen Kunstmäzeninnen und Philanthropinnen, die sonst selten ausführlich beschrieben wird, und veranschaulichen anhand konkreter Beispiele aus unterschiedlichen Zeiten und Ländern, dass sich oftmals Frauen als "Garant:innen für Entwicklung und Prosperität von Gemeinschaften" (S. 21) hervortaten.
Auch wenn die gesamte Publikation stets die Chancen der Zusammenarbeit mit Mäzen*innen unterstreicht, wird direkt im ersten Abschnitt des Buchs auf die "Mehrdeutigkeit des Schenkens" (S. 27) und die damit verbundenen Problematiken verwiesen, darunter das gleichzeitige Bestehen einer objektiven und einer symbolischen Dimension der Gabe und die stets vorhandene Unsicherheit über die Gegenseitigkeit der Beziehung. Für viele Kulturschaffende findet sich hier bereits eine zentrale Denkanregung, welche die Autorinnen als "kopernikanische Wende" (S. 28) bezeichnen: den Schwerpunkt gedanklich von der Schenkung hin zum*r Mäzen*in und der Gestaltung der Beziehung zu schieben, d.h. stets eine systemische Logik einzunehmen, um das Ganze im Blick zu haben, und Philanthropie in erster Linie als gleichwertige Beziehung der Zusammenarbeit zu sehen. Die skizzierte "großzügige Beziehung" geht weit über den Geldtransfer hinaus. Sie basiert auf Selbstbewusstsein, Ausgewogenheit, Offenheit und Vertrauen. Es geht also auch darum zu fragen: "Was biete ich?" und nicht nur "Worum bitte ich?". Durch das gesamte Buch hindurch zieht sich ein Plädoyer für ein tiefes gegenseitiges Verständnis, ein "bereicherndes Zuhören" (S. 46) und das Umsetzen einer gemeinsamen Vision. 
 
Weit über andere Veröffentlichungen und kulturmanageriale Handbücher hinaus geht der Abschnitt zur Motivationslage der Mäzen*innen, der Kulturschaffenden/NPOs eine neue Sicht auf ihre Gesprächspartner*innen gibt, aber diese auch zur Selbstreflexion einlädt. Anhand von den Konzepten der Eudämonie und des Hedonismus werden Zusammenhänge zwischen Wohlbefinden und Großzügigkeit hergeleitet sowie psychologische und verhaltensbezogene Haltungen und Einstellungen vorgestellt, welche sich in bestimmten Formen des mäzenatischen Ansatzes ausdrücken. Eine große Stärke ist dabei die wissenschaftliche Einbindung u.a. aus der psychologischen Forschung, welche den Zusammenhang zwischen Großzügigkeit und Glück auf neuronaler Ebene nachweisen konnte.
 
Der Hauptteil des Buchs widmet sich Schritt für Schritt dem konkreten Vorgehen bei der Spender*innenauswahl und -betreuung und sucht dabei nach Antworten auf folgende Fragen: 
 
  • Wie ergreift man alle notwendigen Maßnahmen (organisatorisch/ strategisch/ operativ), um mit Mäzen*innen auf die richtige Weise zu arbeiten? 
  • Wie identifiziert und bewertet man potenzielle Mäzen*innen? 
  • Wie werden eine Strategie und das konkrete Spendengesuch erstellt?
  • Wie werden Mäzen*innen einbezogen und die Beziehung zu ihnen gestaltet? 
  • Wie geht man mit einer Absage um?
Positiv hervorzuheben ist hier, dass zusammenfassende Infoboxen mit Tipps und Fragen die ausführlichen Kapitel auflockern und zur Reflexion anregen. Die Leser*innen können sich so auch einzelne Aspekte herausgreifen und werden durch Checklisten, Vorlagen und konkrete Links zu Software-Anwendungen, Magazinen usw. an die Hand genommen. Diese Links hätten jedoch gesammelt als kommentierter Anhang einen noch größeren Mehrwert für die interessierten Leser*innen schaffen können. 
 
Im letzten Teil der Publikation wird der Blick von der konkreten Beziehungsarbeit noch einmal auf die allgemeine Ebene gehoben. Zudem werden Verbindungen zu ethischen Fragen der Kulturfinanzierung hergestellt und die Bedeutung eines Ethikkodex für die gute Zusammenarbeit herausgearbeitet. Kritisch werden Philanthrokapitalismus - das Anwenden von Geschäftsmodellen auf die Welt der Philanthropie in der Absicht, einen Return on Investment zu erreichen - und philanthropischer Paternalismus betrachtet. Letzterer kann dadurch entstehen, wenn der Reichtum einzelner Mäzenat*innen zu politischen Verzerrungen durch Einflussnahme in öffentliche Systeme führt. Leider gerät gerade diese Reflexion im Vergleich zu den anderen Kapiteln sehr kurz. So wird die Gefahr der vorauseilenden Selbstzensur - also dass bspw. durch das philanthropische Verhältnis Druck auf die vermittelnden Inhalte ausgeübt wird - nur in einer Fußnote thematisiert. Zwar merken die Autorinnen an, dass dieser Punkt in Zukunft häufiger diskutiert werden könnte. Gerade in diesem Handbuch wäre es jedoch für die Kulturschaffenden hilfreich gewesen, deutlicher auf diesen vermutlich oft unbewussten Mechanismus hingewiesen zu werden und Strategien zum Umgang damit zu lernen. 
 
Ausblick: Das Mäzenatentum der Zukunft
 
Das Buch endet mit einem Blick in die Zukunft: Mit der "Theory of Change" wird eine Methode vorgestellt, um Kulturprojekte langfristiger zu denken. Strategische und systemische Philanthropie werden als weiterentwickelte und zukunftsorientierte Formen vorgestellt, die einen gesamtgesellschaftlichen positiven Impact anstreben. 
 
Angesichts der zahlreichen globalen Herausforderungen und ihren Folgen für verschiedene Quellen der Kulturförderung - ob öffentliche Hand oder Unternehmen - kann dem Mäzenat*innentum eine wichtige Rolle zukommen, indem Ressourcen (Risikokapital, Fähigkeiten und Infrastruktur) agil und auf direkte Weise eingesetzt werden, um Innovationen zu fördern und Projekte mit gesellschaftlichen Impact zu unterstützen. Wie könnte das Zusammenspiel zwischen Staat, Markt und Philanthropie in der Zukunft aussehen? Wie können systemische Veränderungen angestoßen werden, ohne Institutionen zu schwächen und Abhängigkeiten zu erzeugen? Dies sind nur einige Fragen, die am Ende aufgeworfen werden und für den Diskurs wichtig sind. Die Autorinnen leiten hieraus Leitprinzipien für eine neue Dimension von Philanthropie und Mäzenat*innentum ab. 
 
Fazit
 
Das Handbuch liefert einen ausführlichen Einblick in den Aufbau positiver Beziehungen zu Mäzen*innen und bringt die umfassende Expertise der Autorinnen zum Ausdruck. Die Publikation ist als Leitfaden explizit für die Zusammenarbeit mit Großspender*innen konzipiert. Leser*innen, die eine zahlenmäßige Darstellung des aktuellen philanthropischen Marktes, konkrete Namen oder ausführliche Case Studies erwarten, werden deshalb gegebenenfalls enttäuscht. Dafür werden fundiert psychologische Motivationskonzepte erläutert und aktuelle Debatten rund um die zukünftige Rolle des Mäzenat*innentums einbezogen. Generell zeichnet sich das Handbuch durch eine umfassende mehrsprachige Quellenarbeit aus. Diese vereint Hintergrundwissen und aktuelle Forschung zu unterschiedlichen Aspekten des Mäzenat*innentums.  
 
Die Veröffentlichung ist in erster Linie für diejenigen hilfreich, die sich in ihrer beruflichen Praxis mit Fundraising beschäftigen. Sie ist aber auch für Lehrende und Studierende interessant - und vielleicht auch für einige Mäzen*innen. Leser*innen, die bisher noch wenig Erfahrung mit Mäzenat*innentum haben, mögen sich jedoch mit der Fülle an Anforderungen an die eigenen Schlüsselqualitäten und kommunikativen Kompetenzen, die in diesen Kapiteln geschildert werden, überfordert fühlen.
 
Prinzipiell orientieren sich die Hinweise an größeren Institutionen, die einen Ehrenrat einrichten können, ein mehrköpfiges Fundraising-Team zur Verfügung haben und entsprechend große Spenden einwerben. Für kleine Kulturakteure oder Einzelkünstler*innen gibt es jedoch Hinweise zum Herunterbrechen der Ratschläge auf die eigene Situation. Auch kann der Grundgedanke der Publikation ein Mindset vermitteln, das ebenso für die Arbeit mit Kleinspender*innen, Freundeskreismitgliedern oder anderen Unterstützer*innen hilfreich ist, um gute und langfristige Beziehungen aufzubauen.

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