18.10.2023

Buchdetails

Konflikte um die Arbeitskraft. Zur subjektiven Konfliktverarbeitung im Kontext von Biografie
von Anna Lucia Jocham
Verlag: Nomos
Seiten: 294
 

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Autor*in

Verena Teissl
Verena Teissl ist Professorin für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der FH Kufstein Tirol. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Festivalmanagement und Kulturtourismus.
Buchrezension

Konflikte um die Arbeitskraft. Zur subjektiven Konfliktverarbeitung im Kontext von Biografie

Arbeit gilt im Kulturbereich als besonders subjektiviert und prekär. Dabei entstehen zahlreiche Schwierigkeiten aus dem Gegensatz von Sicherheit und Selbstverwirklichung. Wie Arbeitnehmer*innen mit Arbeitskonflikten umgehen und welche Rolle die subjektive Legitimierung dabei spielt, erforscht die arbeitssoziologische Studie "Konflikte um die Arbeitskraft". Sie bezieht sich auf ein Wirtschaftsunternehmen, zeigt aber auch für das Kulturmanagement wichtige Fragen auf.
 
Entgrenzungsmerkmale von Arbeit
 
Die Dissertation "Konflikte um die Arbeitskraft" von Anna Lucia Jocham, erschienen 2022 bei Nomos, ist in neun Kapitel gegliedert. Diese behandeln den Status quo arbeitsweltlicher Ordnungen der Gegenwart und erklären daraus resultierende Konfliktlinien in der Theorie sowie anhand einer empirischen Studie. Einen besonderen Fokus legt die Autorin dabei auf den Einfluss biographischer Verhaltensmuster bei Arbeitskonflikten im Kontext der zunehmenden Abwälzung marktwirtschaftlicher Risiken auf Arbeitnehmer*innen. 
 
Jocham beschreibt die aktuellen arbeitsweltlichen Veränderungen als Entgrenzung mit drei Merkmalen: Erstens, die Prekarisierung in Form fehlender Anerkennung, Unsicherheit bezüglich der Dienstverträge, Ersetzbarkeit und damit verbundener Disziplinierung. Auch angestellte Beschäftigte werden so in ein unternehmerisches, also wettbewerbliches, marktliches, risikobehaftetes Verhältnis zu ihrem Arbeitsgeber gedrängt. Zweitens, die Flexibilisierung, indem der Marktdruck als Leistungsdruck auf Arbeitnehmer*innen übertragen wird. Und drittens findet in der Subjektivierung von Arbeit ein Verstärkungseffekt statt: Autonomie und Eigenverantwortung werden als sinnstiftend dargestellt. Tatsächlich zeigt sich hier jedoch eine "Re-Kommodifizierung" von Arbeitskraft und damit ihre Verschärfung als Ware. Die gegebenen Arbeitsbedingungen werden anhand arbeitsmarktlicher und betrieblicher Ordnungen legitimiert. Zugleich legitimieren Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitsumstände auch vor sich selbst, was sie von Kündigungen abhält und zum Erhalt bestehender Ordnungen beiträgt.  
 
Konflikte aufgrund von Arbeitsbedingungen 
 
Arbeitskonflikte beziehen sich fast immer auf Arbeitsbedingungen. Arbeitnehmer*innen sehen sich grundsätzlich in der schwächeren Position und Konflikte dienen zur Durchsetzung von Forderungen. Das Forschungsinteresse von Jocham galt dabei dem besonderen Einfluss biografischer Muster auf die Konfliktverarbeitung, also der Frage, wie Arbeitnehmer*innen aufgrund weltbildlicher Prägungen mit beruflichen Konflikten umgehen und so zu Stabilisierung oder Brüchigkeit der arbeitsweltlichen Ordnung beitragen. 
 
In 14 problemzentrierten Interviews mit Beschäftigten und Leiharbeiter*innen hat die Autorin in einem typenbildenden Verfahren vier Konflikt-Biografie-Typen herausgearbeitet: Bei der "Boxer-Biografie" kommt es zu einer Konfliktaustragung aufgrund der Überzeugung, für die eigenen Interessen kämpfen zu müssen. Arbeitskraft wird dabei als fremdgenutzte Ressource verstanden. Nur bei diesem Typ kommt es zu Konfliktauflösung oder zum Bruch. Bei den anderen dreien werden Konflikte in die eigene Biografie integriert, bleiben also latent vorhanden und Arbeitskraft wird als wenig verhandelbar verstanden. Dies geschieht durch subjektive Konfliktlösung vor einem Weltbild der Selbstgestaltung ("Bildhauer-Biografie"), durch Konfliktresignation vor der Überzeugung, dass Probleme zu umgehen sind ("Slalom-Biografie"), oder durch Konfliktrelativierung auf Basis des Glaubens, dass alles irgendwie Sinn macht und Konflikte im intersubjektiven Vergleichen klein geredet werden können ("Gläubiger-Biografie"). 
 
Arbeitsbedingungen und -konflikte im Kulturbetrieb
 
Die Forschung von Jocham lässt in der Wahl des untersuchten Feldes, nämlich eines produzierenden Industrieunternehmens, auf den ersten Blick ebenso wenig Zusammenhang zum größtenteils gemeinwohlorientierten Kulturbetrieb vermuten wie in Bezug auf die Subjektperspektive. In der bescheidenen und methodisch dispersen Forschung zu Arbeitswelten und -bedingungen im deutschsprachigen Kulturbetrieb (Bergmann, 2022; Ellmaier, 2003; Schmitt, 2019) sind der Einfluss biographischer Verhaltensmuster auf Konfliktlösungsstrategien und deren Auswirkungen jedenfalls noch kein erforschtes Thema. Stattdessen sind Forschungen zu Arbeitsbedingungen etwa in Governance-Diskurse eingebettet (Schad, 2019; Schmitt, 2019; Marx, 2015; Teissl et al, 2021), weil Kultureinrichtungen, die zwischen Staat und Markt stehen, die "Ware Arbeitskraft" zumeist in kulturpolitischen Prozessen legitimieren und verhandeln. 
 
Auch sind die Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb sehr heterogen, umfassen Freiberuflichkeit, Anstellungen und sogenannte atypische Formen wie Scheinselbständigkeit und Teilzeitbeschäftigung. Ebenfalls arbeitsrechtlich relevant ist die Unterscheidung zwischen administrativem und künstlerischem Personal. Sie spiegelt sich u.a. in der Organisation von Betriebsräten, wie in großen Theaterbetrieben in Österreich (Worsch, 2018), sowie in der lebhaften Gründung von Berufs- und Interessensverbänden (Teissl et al, 2021; Landau, 2016), die man als "kollektive Subjekte" bezeichnen kann. Um abseits von Ökonomisierung verbesserte Arbeitsbedingungen zu erreichen, fordern sie seit Jahrzehnten höhere Subventionen und Honorar-Untergrenzen und stehen ebenso in einem kulturpolitischen Diskurs. Neben dem öffentlichen und dem privatrechtlich-gemeinnützigen Sektor lassen sich allenfalls kommerzielle Organisationen und die creative industries wirtschaftlichen Marktlogiken zuordnen. 
 
Die Normalität prekärer und flexibler Arbeitsumstände 
 
Prekäre und flexible Arbeitsbedingungen, wie sie Jocham kontextualisiert, sind in allen Kulturbetriebs-Sektoren geradezu generisch und kein neues Phänomen. Finanzierungszwänge und knappe Ressourcen von gemeinwohlorientierten Organisationen sowie der lange vorherrschende Arbeitgebermarkt schlagen sich in eben jenen atypischen Beschäftigungsverhältnissen nieder. Flexible Arbeitsbedingungen scheinen in Hinblick auf angestellte Künstler*innen so grundlegend, dass sie z.B. für das künstlerische Personal im deutschen NV Bühne und im Österreichischen Theaterarbeitsrecht verankert wurden (Worsch, 2018). Die von Jocham dargestellte Re-Kommodifizierung von Arbeitskraft erreichte den Kulturbetrieb zusätzlich in Form von Subventionskürzungen oder dem Ersatz fester durch befristete oder freiberufliche Stellen (Bergmann, 2022).
 
Die Gründe für die Unzufriedenheit von Künstler*innen im Musik- und Darstellende Kunstbetrieb sind laut Norz (2016) umfassend und auf weitere kulturelle Tätigkeitsfelder übertragbar: Prekäre Bedingungen wie schlechte Planbarkeit, geringer Verdienst und eine anerkennungsarme Arbeitsumgebung zählen ebenso dazu wie ein schlechter zwischenmenschlichen Umgang durch Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung. Letzteres deckt sich mit Schmitts Erhebung zu deutschen Theatern (2019) und Beiträgen in dem Sammelwerk "Music as Labour" (Abfalter und Reitsamer, 2022). In den creative industries weisen kritische Stimmen besonders darauf hin, dass die Euphorie um die Kapitalisierung von Kreativität zum einen den Blick auf prekäre Arbeitswelten verdeckte (Ellmeier, 2022). Zum anderen, dass sich hinter diesem Prekariat gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen von gender und race auftun (Abfalter und Reitsamer, 2022). In diese Forschungen fließen biografische Zusammenhänge als Auswirkungen von Gesellschaftsstrukturen ein, jedoch nicht deren Einfluss auf den individuellen Umgang mit Konflikten um Arbeitsbedingungen. Hier könnten Jochams Methoden und Erkenntnisse also hilfreich sein, um festzustellen, inwieweit bestimmte Biographie-Typen die jeweiligen Verhältnisse stabilisieren oder aufbrechen.
 
Subjektivierung und ambivalente Antworten in Kulturmanagement und Kulturpolitik 
 
Das Mantra der Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung von Kulturarbeit legt den Schluss nahe, dass Passion, Sendungsbewusstsein und Talentgetriebenheit a priori eine sinnstiftende Subjektivierung von Arbeit im Kulturbetrieb herstellen. Dies stellt Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen vor Legitimierungs-Herausforderungen, die sich in einem zweifelhaften Narrativ spiegeln: Die (angenommene) Priorisierung von beruflicher Selbstverwirklichung vor sozialer Absicherung wird als individuelles Schicksal interpretiert, das abhängig ist von der eigenen Exzellenz. In der Kulturpolitik zeigen sich entsprechend ambivalente Haltungen bezüglich der Zuständigkeit für Arbeitsbedingungen im geförderten non-profit Bereich. 
 
Dringlichkeit des Themas
 
Die Wettbewerbsfähigkeit von gemeinwohlorientierten Kulturbetrieben ist eine kontrovers diskutierte Frage im Spannungsfeld aus kulturellen Zielen, Marktbehauptung und neuerdings Fachkräftemangel. Die steigende Tendenz, Arbeitsbedingungen, betriebliche Ordnungen, Konflikte und Bewältigungsstrategien deutlicher im Kulturmanagement-Diskurs zu platzieren, entspricht einer hohen Dringlichkeit in der Praxis. Erst während der pandemie-bedingten Lockdowns wurden prekäre Verhältnisse, gleichwohl schon länger bekannt, thematisiert. 
 
Insofern bietet Jochams Studie guten Anlass, die arbeitsweltliche Verfasstheit im Kulturbetrieb, Arbeitskraft als Ware und individuelle Umgangsweisen mit kulturellen Arbeitsbedingungen näher zu betrachten. Ihre Biographie-Typen sind dabei ein vielversprechender Impuls. Die Untersuchung von Konfliktverhalten als Stabilisierung oder Brüchigkeit in Kulturbetrieben könnte einen Beitrag zu arbeitsweltlichen Ordnungen und deren Legitimität leisten. Jochams Studie ist in der arbeitssoziologischen Kontextualisierung von Arbeitskraft und deren "Re-Kommodifizierung" ebenso inspirierend wie herausfordernd für einen subjektbezogenen Perspektivenwechsel. Sie liefert wertvolle Impulse für die Schnittstelle von Kulturbetriebs-, Kulturpolitik- und Kulturmanagementforschung. 
 
Quellen
 
  • Abfalter, Dagmar; Rosa, Reitsamer (Hg.) (2022): Music as labour. Inequalities and activism in the past and present. London and New York: Routlegdge (Research in the Creative and Cultural Industries).
  • Bergmann, Lisa (2022): Strukturwandel im Kulturbetrieb dringend gesucht, Kultur Management Network. 
  • Ellmeier, Andrea (2003): Cultural entrepreneurialism: on the changing relationship between the arts, culture and employment. In: International Journal of Cultural Policy (9-1), S. 3-16.
  • Landau, Friederike (2016): Articulations in Berlin’s independent art scene: on new collective actors in the art field. In: International Journal of Sociology and Social Policy Vol. 36 (9/10), S. 596-612.
  • Marx, Lisa (2015): Exploring the configuration and strategies of interest groups in cultural policy making in Switzerland. In: Dagmar Danko, Oliver Moeschler und Florian Schumacher (Hg.): Kunst und Öffentlichkeit: Springer, S. 267-282.
  • Norz, Maximilian (2016): Faire Arbeitsbedingungen in den darstellenden Künsten und der Musik?!, Study 319, Hans-Böckler-Stiftung.
  • Schad, Anke (2019): Cultural Governance in Österreich. Bielefeld.
  • Schmitt, Thomas (2019): Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht. Wiesbaden.
  • Teissl, Verena; Mayerhofer, Elisabeth; Reid, Wendy (2021): Austrian Film Festival Forum: Cultural Governance and Accountability in Viennese Film Festivals. In: International Journal of Arts Management (24/1), S. 103-113.
  • Worsch, Lena Valentina (2018):  Besonderheiten im Theaterarbeitsrecht, Wien.

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