09.03.2020

Themenreihe Preise & Ticketing

Autor*in

Tom Schößler
ist kaufmännischer Geschäftsleiter und Stiftungsvorstand der Weserburg Museum für moderne Kunst in Bremen. Zuvor war er u.a. Verwaltungsleiter im Theaterhaus Stuttgart. Er beteiligt er sich an Forschungsprojekten und Publikationen mit den Schwerpunkten Kulturmarketing und Kulturfinanzierung und ist als Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen tätig. 
Ein neues Preismodell für Museen im Praxistest

Pay As You Stay – Zahl, solange Du bleibst

Alternativen zum klassischen Eintrittspreis in Museen wie freier Eintritt, Pay What You Want & Co. können zwar zu steigenden Besuchszahlen führen, gehen aber in der Regel mit finanziellen Verlusten einher. Die Weserburg, Bremens Museum für moderne Kunst, testete deshalb im Dezember 2019 die Idee "Pay As You Stay - Zahl, solange du bleibst". Das Fazit: Mehr Besuche, stabiler Ticketumsatz und durchweg positives Feedback.

Themenreihe Preise & Ticketing

In den vier Wochen vor Weihnachten 2019 zahlten die Besucher*innen der Weserburg einen flexiblen Eintrittspreis: 1 Euro pro 10 Minuten. Der reguläre Tagespreis von 9 Euro blieb dabei der Höchstpreis, egal wie lange man blieb. Gezahlt wurde am Ausgang. Als erstes Museum im deutschsprachigen Raum testete die Weserburg damit die Praxistauglichkeit eines Preismodells, bei dem sich der Eintrittspreis an der Verweildauer orientiert. Sowohl die erhobenen Kassendaten als auch die begleitende Besucher*innenbefragung deuten auf einen erfolgreichen Test hin. Vom 25. Februar bis 27. März 2020 wird das Experiment wiederholt.
 
Die wichtigsten Erkenntnisse: 
 
  1. Steigende Besuchszahlen: Die Anzahl der Besuche stieg um 42% gegenüber dem Vergleichszeitraum 2018 und um 72% gegenüber dem Mittelwert des Fünf-Jahres-Zeitraums 2014-2018.
  2. Keine Umsatzeinbußen: Die Ticketerlöse blieben im Vergleich zum Vorjahr praktisch stabil (-3%), im Vergleich zum Durchschnitt 2014-2018 stiegen die Erlöse um 28%.
  3. Besucher*innen würden öfter kommen: Auf die Frage, unter welchen Bedingungen die Besucher*innen öfter ins Museum kommen würden, wurde "wenn der Eintritt immer 1€ pro 10 Minuten kosten würde" am höchsten bewertet. Außerhalb der Aktion war "mehr Zeit" der wichtigste Faktor für häufigere Besuche. 
  4. Keine Hetze: Die durchschnittliche Verweildauer lag während der Aktion um etwa eine Viertelstunde niedriger als in einer Vorerhebung. Mit durchschnittlich 67 Minuten beschäftigten sich die Besucher*innen trotzdem weiter ausführlich mit der Kunst. Nur 4% der Befragten gaben an, sich von dem Preismodell gehetzt zu fühlen.
  5. Hohe Zufriedenheit: Drei von vier Besucher*innen gaben an, dass sie ihren Preis dank der Aktion als besonders angemessen empfanden. Die Bereitschaft, einen Besuch der Weserburg Freund*innen und Bekannten zu empfehlen - der sogenannte Net Promoter Score - lag während der Aktion bei 7,83 von 10 Punkten und damit fast einen ganzen Punkt höher als außerhalb der Aktion. Sowohl in den Fragebögen als auch mündlich an der Kasse gaben Besucher*innen sehr positives Feedback.
 
Warum ein Preisexperiment?
 
Aus der Besucher*innen- und Nicht-Besucher*innenforschung ist bekannt, dass die Eintrittspreise von kulturellen Angeboten nur eine nachrangige Besuchsbarriere sind. Wenn Interesse und Zeit vorhanden sind, so die Schlussfolgerung, steht der Eintrittspreis einem Besuch grundsätzlich nicht im Weg. Dennoch können Eintrittspreise Auswirkungen auf das Besuchsverhalten haben, wie Untersuchungen zeigen.
 
Die Forschungen berücksichtigen aber nur selten, dass Besucher*innen unterschiedliche und situativ bedingte Besuchsmotive haben können. Preise sind demnach zwar grundsätzlich eine nachrangige Besuchsbarriere in Kunst und Kultur, können aber in bestimmten Entscheidungssituationen durchaus eine Bedeutung haben.
 
Die Weserburg Museum für moderne Kunst ist mit ca. 5.000 qm Ausstellungsfläche ein vergleichsweise großes Kunstmuseum. Es zeigt mehrere wechselnde Ausstellungen pro Jahr zu verschiedenen Themen und von unterschiedlicher Größe. Besonders für neue Besucher*innen ist zeitgenössische Kunst allerdings häufig schwer einzuschätzen: Was genau wird gezeigt? Wird es mir gefallen? Werde ich das verstehen? Die Entscheidung für einen Besuch in einem Kunstmuseum fällt bei bestimmten Zielgruppen also unter Unsicherheit: Besucher*innen ‚investieren‘ Zeit und Geld und das führt zu einem gewissen Verlustrisiko.
 
Den unterschiedlichen Bedürfnissen, Motiven und Besuchsmustern begegnet die Weserburg, wie die meisten Museen, mit einem festen Eintrittspreis pro Tag. Mit dem Festpreismodell können die Besucher*innen das Haus allerdings nicht für einen geringeren Betrag zu besuchen, etwa weil sie "reinschnuppern" oder Bekannten "mal eben" das Haus zeigen möchten oder weil sie sich für einen einzelnen Künstler*innenraum oder eine Kabinettausstellung interessieren. Auch Wiederbesuche werden erschwert, wenn jedes Mal der volle Tagespreis anfällt.
 
Um die Nachteile des Fixpreismodells zu lockern und gleichzeitig nicht auf Erlöse verzichten zu müssen, haben die Wirtschaftswissenschaftler Bruno S. Frey und Lasse Steiner schon 2010 vorgeschlagen, das sogenannte Pay-Per-Use-Modell, bei dem sich der Preis an der Nutzungsdauer bemisst, auf Museen zu übertragen. Dieses Preismodell ist von Parkhäusern, Handytarifen oder Schwimmbädern bekannt und ist etwa durch Car-Sharing-Angebote besonders in Großstädten weiter ins Bewusstsein vieler Bürger*innen gerückt. Der Vorteil für Museumsbesucher*innen: Sie können Nutzen, Verweildauer und Kosten zueinander in ein individuelles Verhältnis setzen. Das, so die These, steigert die Besuchszufriedenheit. Nachteilig könnte sein, dass das Zahlen am Ausgang ungewohnt oder räumlich schwierig umzusetzen ist und dass die Besucher*innen sich gehetzt fühlen könnten. 
 
Die Vorbereitung
 
Vor der Testphase wurde die Verweildauer von Besuchen im "Normalbetrieb" gemessen. Die Besucher*innen blieben durchschnittlich 83 Minuten und zahlten dafür 9,- Euro regulär bzw. 5,- Euro ermäßigt. Das entspricht 0,11 Euro pro Minute bzw. 0,06 Euro ermäßigt. 
 
Nach der Simulation verschiedener Varianten entschied sich das Museum für die Preisstaffelung "1 € pro 10 Minuten". Durch den 10-Minuten-Takt entstehen volle Euro-Preise, was die Abrechnung vereinfacht. Als ermäßigter Preis wurde, ebenfalls zur Vereinfachung, "0,50 Euro pro 10 Minuten" festgelegt.
 
Ein besonders wichtiges Element des Preismodells ist eine preisliche Obergrenze. Ohne sie könnte es für Langzeitbesucher*innen zu sehr hohen Preisen kommen. Der längste Besuch während des Experiments lag bei 210 Minuten. Hätte diese Person 21 Euro zahlen müssen, wäre das natürlich nicht im Sinn der Sache. Denn wenn dem Museum unterstellt werden könnte, mit den besonders Kunstinteressierten übermäßig viel Geld verdienen zu wollen oder durch das Preismodell eine versteckte Preiserhöhung durchzuführen, wäre ein Vertrauensverlust zu befürchten.
 
Entsprechend wurde der übliche Tagespreis als Preisgrenze definiert, die nicht überschritten wird, unabhängig davon, wie lange jemand bleibt. Die 9,- Euro stehen zudem in einem plausiblen Zusammenhang zur Staffelung "1 Euro pro 10 Minuten", denn die vorab erhobene durchschnittliche Verweildauer von aufgerundet 90 Minuten korrespondiert wunderbar mit diesem Preis. 
 
Die wirtschaftliche Konsequenz ist, dass der Erlös je Besuch unweigerlich sinkt, weil jeder kürzere Besuch zu einem niedrigeren Eintrittserlös führt, aber ein längerer Besuch nicht zu einem höheren. Die Aktion muss, um erfolgreich zu sein, also mindestens ein proportionales Mehr an Besuchen auslösen. 
 
Die Umsetzung
 
Als Aktionszeitraum wurden die vier Adventswochen 2019 gewählt. Dieser Zeitraum ist traditionell weniger besuchsstark als andere, was sowohl für den antizipierten Erläuterungsaufwand an der Kasse als auch für das finanzielle Risiko günstig erschien. Dabei zeigte sich, dass die Besucher*innen keinerlei Probleme damit hatten, das Modell zu verstehen oder am Ende des Besuchs zu zahlen, sodass beim zweiten Test im März keine zusätzliche Kasse mehr notwendig sein wird. 
 
Um zusätzliche Erkenntnisse zu sammeln, wurde in Zusammenarbeit mit dem Büro Kulturevaluation Wegner eine Besucher*innenbefragung konzipiert. Um Vergleichsergebnisse aus dem "Normalbetrieb" zu sammeln, wurde auch vor und nach der Aktion befragt. 
 
Die Ergebnisse
 
Im Vergleich zu den 24 Öffnungstagen im Advent 2018 stieg die Besuchszahl um 42%. Zieht man den Besucherschnitt der Jahre 2014 bis 2018 als Vergleichszahl heran, stiegen die Besuche 2019 um 72%. 
 
Die Eintrittserlöse blieben im Vergleich zum Vorjahr weitgehend stabil (-3%). Im Vergleich zum Mittelwert der Fünf-Jahres-Periode 2014-2018 lagen die Umsätze dank "Zahl, solange Du bleibst" sogar um 28% höher. Mit durchschnittlich 5,55 Euro sank der durchschnittliche Erlös je Besuch um rund 30% gegenüber dem Vergleichswert von 2018 (8,12 Euro). Das deutliche Plus an Besuchen kompensierte dies allerdings.
 
 
Während die Besucher*innen im regulären Preismodell gemäß der Vorerhebung im Durchschnitt 83 Minuten in den Ausstellungen der Weserburg blieben, lag die Verweildauer während der Aktion bei durchschnittlich 67 Minuten. Dass die Besuchsdauer damit nur um eine gute Viertelstunde zurückging, zeigt aus Sicht des Museums, dass die Besucher*innen sich trotzdem Zeit für die Kunst nehmen.
 
 
Zudem scheint die Aktion zu Kurzbesuchen angeregt zu haben. Gemäß Befragung hat sie fast jede*r zehnte genutzt, um ein Lieblingswerk oder ein*e Lieblingskünstler*in zu besuchen.
 
Die größte Sorge lag darin, dass sich Besucher*innen gehetzt fühlen könnten. Zwar gaben 13% der Befragten an, dass sie während des Besuchs an die Zeit denken mussten, aber nur 4% sagten, dass sie sich gehetzt fühlten. Demgegenüber empfanden 73% die Preise als angemessen. Besonders der deutliche Ausschlag dieser Antwortmöglichkeit deutet darauf hin, dass das Preismodell die Preisfairnesswahrnehmung positiv beeinflussen kann. 
 
 
Die Untersuchung zeigte auch, dass Besucher*innen öfter ins Museum kommen würden, sollte das Modell dauerhaft eingeführt werden. In vielen Besucher*innen und Nicht-Besucher*innenbefragungen findet sich die Besuchshürde "zu wenig Zeit" an erster Stelle. Vor und nach der Aktion war Zeitmangel auch in der Weserburg wichtigster Hinderungsgrund für mehr Besuche. Doch während der Aktion wurde dieser Faktor auf Platz zwei verdrängt. 
 
 
Die Besucher*innenbefragung zeigt auch, dass knapp jede*r zehnte Besucher*in wegen der Aktion ins Museum gekommen ist. Die häufigsten Besuchsmotive waren "allgemeines Interesse" und "eine bestimmte Ausstellung", wobei vor allem die aktuelle Sonderausstellung genannt wurde. 
 
 
Die Hälfte der Befragten gab an, vor dem Besuch von der Aktion gewusst zu haben. Dieses Wissen war für 40 Prozent dieser Besucher*innen ausschlaggebend für den Besuch. 
 
 
Die Besucherstruktur, d.h. die soziodemografische Zusammensetzung des Publikums, veränderte sich im Zuge der Aktion kaum. Das Publikum war vor, während und nach der Aktion gleichermaßen von einem hohen Altersdurchschnitt (49 Jahre), einem hohen Bildungsgrad (73% Hochschulabschluss) und hoher Museumsaffinität (91% waren in den letzten 12 Monaten in einem Museum) geprägt. Der hohe Anteil der Erstbesuche in der Weserburg (72% waren in den letzten 12 Monaten nicht im Haus) deutet jedoch auf ein großes Potenzial für Wiederbesuche hin, das durch eine dauerhafte Einführung der flexiblen Preisstruktur genutzt werden könnte. Der Anteil der Erstbesuche lag während der Aktion um 6 Prozentpunkte über dem Wert außerhalb der Aktion.
 
 
Fazit
 
Die Ergebnisse des Experiments sind aus Sicht des Museums durchaus als positiv zu werten. Die Aussage, dass Besucher*innen öfter kommen würden, wenn immer das Modell "1 € pro 10 Minuten" gelten würde, deutet auf einen potenziellen Einsatz im Dauerbetrieb hin. Sowohl die Steigerung der Besuchshäufigkeit im Stammpublikum als auch die Steigerung von Erst- und Seltenbesucher*innen liegen im Interesse des Museums. Kann das Preismodell das inhaltliche Interesse an der ausgestellten Kunst stützen und den Besuch erleichtern, ohne dabei Eintrittserlöse einzubüßen, wäre dies ein großer Beitrag zum Auftrag des Museums.
 
Aufgrund der erfolgreichen Testphase unterzieht die Weserburg das Modell aktuell einem zweiten Test. Seit dem 25.02.2020 und bis zum 27.03.2020 ist eine Etage des Museums aufgrund von Umbauarbeiten geschlossen. Eine große Sonderausstellung - im ersten Test für rund ein Drittel der Besucher*innen Anlass des Besuchs - wird dann nicht zu sehen sein. Das Museum will sich damit vergewissern, dass das Modell auch in einer anderen, herausfordernden Ausstellungskonstellation funktioniert. 

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB