11.04.2007

Autor*in

Gregor Hopf
Kommerzialisierung am Theater

Kann/soll das angelsächsische Theatersystem ein Vorbild sein?

Die Frage nach dem angelsächsischen Theatersystem als Vorbild für die deutschsprachigen Theater sollte eigentlich nicht mehr aktuell sein. Immerhin reimportiert der deutschsprachige Theaterraum schon seit gut 25 Jahren das Produktionsprinzip des kommerziellen Theaters des Broadways und des Londoner Westends. Reimportiert, weil es Zeiten gab, in denen die Theater im deutschen Sprachraum zu den führenden (kommerziell betriebenen) Theatern der Welt gehörten.
Das Prinzip ist also alles andere als neu. Wir erfreuten uns nur des Luxus bzw. des Privilegs es für eine gewisse Zeit nicht wirklich beachten zu müssen. Diese Zeit ist vorüber. Der Rückzug des Staates aus der Förderung des Theaters ist in stetem Fortschritt begriffen. Daher ist es geradezu von Brisanz, sich mit anderen, mit effizienteren Produktionsprinzipien auseinanderzusetzen. Nicht um sie blind zu kopieren, sondern um von ihnen das zu lernen und die Teile zu übernehmen, die uns in unserer Kultur und mit unserem Kulturauftrag erlauben, weiterhin die höchstmögliche Qualität und Quantität an Kunst zu schaffen.

 

Der Kulturauftrag und die Rolle des Managements

Jede Betrachtung eines anderen Produktionsprinzips aus Sicht der deutschsprachigen Kulturlandschaft kommt daher nicht um eine Auseinandersetzung mit der Frage des Kulturauftrages umhin. Es muss der Rahmen für die Geschichte gesetzt werden, um dann die Charaktere und den Handlungsstrang entsprechend den Zielen ausgestalten zu können.

In unserem Kulturkreis hat Kultur einen Selbstwert, wenn auch nicht unbedingt einen Selbstzweck. Daher gilt es zu recht als Teil der staatlichen Aufgaben, Institutionen zu fördern, die gewährleisten, diese Kulturgüter zu erhalten, immer wieder neue zu erschaffen und diese den Mitgliedern der Gesellschaft nahe zu bringen. Jedoch wird dieser Kulturauftrag viel zu häufig als Vorwand dafür genutzt, es a priori abzulehnen, sich mit anderen Produktionssystemen zu beschäftigen. Dabei fördert der Kulturauftrag nur mittelbar die Produktionsweise.

Kulturmanagement darf nicht davor zurückschrecken, andere Produktionssysteme zu betrachten, die dort vorhandenen Vorteile zu identifizieren und in das eigene System einzubinden. Wie ein guter Arrangeur, sollte sich das Management zunächst aller Instrumente bewusst sein, die es zur Verfügung hat, um dann erst in einem zweiten Schritt, den Einsatz dieser Instrumente abzuwägen. So wird der staatliche Dreiklang aus Kulturerhaltung, Kulturschaffung und Kulturerziehung durch ein gutes Management zu einer Symphonie ausgebaut. Dies ist die grundlegende Aufgabe von Kulturmanagement. Es gilt, alle Instrumente und alle Wege der Orchestrierung abzuwägen und entsprechend den eigenen Zielen einzusetzen, um den Klangraum in Gänze und mit Inhalt auszufüllen. In diesem Vorgehen darf Kultur keine Angst vor Management haben und ebenso wenig vor anderen Produktionsweisen.

Management schafft den Raum für Kultur. Der Bedarf an gutem Management wird wachsen, da der Staat, sprich die Gesellschaft, immer weniger Raum bedingungslos bereit stellen wird. Bisher musste sich das Management hauptsächlich darum kümmern diesen staatlich bereitgestellten Raum zu verwalten. So nennt sich Management in den Theaterbetrieben auch immer noch häufig Verwaltung. Doch wird es sich (wieder) vermehrt um die Schaffung dieser Räume kümmern müssen, bevor es sie verwalten darf.

 

Was sagen die Zahlen

Die folgenden Zahlen werden wertfrei präsentiert. Sie dienen dazu, Unterschiede aufzuzeigen, um auf ungenutzte Potenziale hinzuweisen, ohne diese Unterschiede zu bewerten. Als Quellen dienen die Theaterstatistik für die Saison 2003/4 des deutschen Bühnenvereins, der Kulturbericht für die Spielzeit 2003/4 des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur und diverse online verfügbare Statistiken der League of American Theatres and Producers für die Broadwaysaison 2004/05.

 

Produktionskosten

In Deutschland kostete die Produktion der knapp 64.000 Vorstellungen in der Saison 2003/4 in Summe 2.56 Mrd. Euro oder im Durchschnitt 40.000 Euro pro Vorstellung. In Österreich lagen die durchschnittlichen Kosten pro Produktion bei 60.000 Euro. Offiziell veröffentlichte Zahlen über die Produktionskosten der Shows am Broadway sind sehr rar und wenn öffentlich verfügbar eher qualitativ fraglich, da politisch oder aus PR-Sicht motiviert. Wir können aber davon ausgehen, dass eine große Musicalproduktion pro Vorstellung zwischen 50.000 und 80.000 Euro kostet (inkl. der umgelegten einmaligen Produktionskosten). Kleinere Musical- aber auch Schauspielproduktionen sind von 15.000 bis 30.000 Euro pro Vorstellung machbar. Im Durchschnitt werden sich die Produktionskosten pro Vorstellung in einem ähnlichen Rahmen wie in Deutschland und Österreich bewegen, sodass somit kein wirklich dramatischer Unterschied in der Höhe der durchschnittlichen Kosten pro Vorstellung zu vermerken ist. Der wirklich große Unterschied liegt allerdings in den Kostenarten: Die Kosten am Broadway sind zu einem überragenden Teil produktionsgebunden, wobei die Kosten in Deutschland und Österreich überwiegend institutionsgebunden sind.

 

Potenzialauslastung

Die Potenzialauslastung erscheint auf den ersten Blick auch kaum Grund zu geben, Unterschiede zu vermerken. In der Auslastung der angebotenen Vorstellungen nehmen sich die öffentlichen Theater in Deutschland, Österreich und die Broadway Bühnen nicht viel. Die Auslastung der Vorstellungen über alle Produktionen hinweg liegt bei allen Dreien im Durchschnitt bei zwischen 70% und 80%. Allerdings ist dies nur eine Teilbetrachtung, die nicht berücksichtigt, wie viele Vorstellungen hätten angeboten werden können und somit eine der wichtigsten Potenzial-Stellschrauben außer Acht lässt.

Die 39 Broadwaybühnen im Theatredistrict rund um den Timessquare könnten bei 52 Wochen im Jahr und den üblichen acht Vorstellung pro Woche 16.224 Vorstellungen anbieten. In der Tat gab es in der Saison 2004/5 11.944 Vorstellungen oder eine Potentialauslastung von 73.6%. Mit der gleichen Arithmetik den Broadway als Benchmark nutzend, müssten die 744 Spielstätten der öffentlichen Theater in Deutschland im Theaterjahr 2003/4 309.504 Vorstellungen angeboten haben und die 53 öffentlichen Spielstätten in Österreich 22.048. Tatsächlich gab es in Deutschland nur 63.911 Vorstellungen oder eine Potenzialauslastung von 20.6%. In Österreich wurden 6.700 Vorstellungen gezählt, was einer Potenzialauslastung von 30.4% entspricht. In anderen Worten, in Deutschland wurde nur knapp jede fünfte Vorstellung angeboten, die mit angelsächsischen Produktionsmethoden potentiell möglich gewesen wäre. In Österreich nur jede dritte.

Die angebotenen Vorstellungen der öffentlichen Bühnen in Deutschland und Österreich sind gut ausgelastet, aber die Anzahl der Vorstellungen pro Spielstätte ist sehr niedrig. Die Bühnen in Deutschland und Österreich lasten Ihre Produktionsstätten nur relativ schwach aus.

 

Einnahmenseite

Einer der auffälligsten Unterschiede ergibt sich bei der Betrachtung der Einnahmenseite, wie in Grafik Eins dargestellt. Die öffentlichen Theater in Deutschland erzielten durchschnittliche Einnahmen pro Besucher (inkl. aller Sondereinnahmen) von 18,50 Euro bzw. 5.711 Euro pro Vorstellung. In Österreich lagen die durchschnittlichen Einnahmen pro Besucher bei 30 Euro bzw. bei 21.500 Euro pro Vorstellung. Am Broadway wurden durchschnittliche Karteneinnahmen von ca. 53 Euro pro Besucher bzw. 52.000 Euro pro Vorstellung erzielt (1).

Der große Unterschied in den Einnahmen pro Besucher bzw. pro Vorstellung sagt allerdings letztendlich nichts anderes, als dass die subventionierten Theater in Deutschland und Österreich siehe-da subventioniert sind. Insbesondere wenn man die Betrachtung der Kostenseite mit berücksichtigt, die besagt, dass die durchschnittlichen Produktionskosten sich nicht dramatisch von denen am Broadway unterscheiden, wird nur eines klar: Die staatlichen Subventionen erreichen in der Tat die Besucher der Theater in Deutschland und Österreich mittels erheblich reduzierter durchschnittlicher Kartenpreise.

Dies bestätigt nur wieder einmal die alte Weisheit, dass die einfachste, wahrscheinlich unterhaltendste und hoffentlich anregendste (völlig legale) Methode zum Erhalt einer Steuerrückerstattung in einem regelmäßigen Besuch der öffentlich geförderten Theater besteht. Künstlerischer Output In der Saison 2004/5 feierten am Broadway 39 Produktionen ihre Premiere, was einer Premierenzahl von genau einem Stück pro Bühne entspricht. Die Zahl der Premieren an deutschen und österreichischen Bühnen in der Saison 2003/4 lag um einiges höher. In Deutschland wurden pro Spielstätte 3,4 Premieren inszeniert, insgesamt 2533. In Österreich waren es 4 Premieren pro Spielstätte oder 214 Premieren in Summe.

Auf den ersten Blick sind die öffentlich geförderten Theater daher in der Tat und ihrem Kulturauftrag entsprechend sehr produktiv. Allerdings belief sich mit 423 Uraufführungen in Deutschland das Verhältnis der Premieren neuer Werke im Vergleich zu Neuinszenierungen alter Werke auf eins zu fünf. Auf jede Uraufführung kamen fünf Neuinszenierungen bestehender Stücke. Am Broadway ist dieses Verhältnis genau umgedreht konservativ geschätzt bei drei zu eins, d.h. auf drei Uraufführungen kommt eine Neuinszenierung. Wenn man dies in Betracht zieht, kehrt sich das Bild um: Der Broadway bringt pro Spielstätte beinahe ein Drittel mehr neue Werke zur Premiere wie die öffentlich geförderten, Kulturbeauftragen Theater in Deutschland (2).

 

Resümee

Das angelsächsische Theatersystem ist im Vergleich zu den öffentlichen Theatern in Deutschland und Österreich äußerst effizient. Leider kann in diesem Artikel nicht darauf eingegangen werden, wie das angelsächsische Theatersystem diese Effizienz erreicht. Dies bedarf eines weiteren ausführlichen Artikels, um die Unterschiede beschreiben und auch deren Übertragbarkeit prüfen zu können. Aber soviel sei gesagt: es handelt sich nicht nur um operative Effizienz, sondern auch Vermarktung, Finanzierung und der grundlegende Gedanke, dass Kunst primär für den Zuschauer und nicht für den Künstler oder die aufführende Institution gemacht wird, spielen eine zentrale Rolle.

Der angelsächsische Produktionsansatz sollte dennoch nicht als eine einfache Alternative zu den staatlich geförderten Theatern in Deutschland und Österreich missverstanden werden. Wenn wir unser Kulturverständnis aufrecht erhalten wollen, so muss der staatliche Dreiklang auch weiterhin eine große Rolle spielen. Fakt ist allerdings auch, dass der Staat bzw. die Gesellschaft immer weniger Raum für Kultur bedingungslos zur Verfügung stellen wird. Daher dürfen wir keine Angst vor Management haben. Gutes Management schafft Raum für Kunst und Kultur. Die öffentlichen Bühnen können und müssen effizienter produzieren und vermarkten. Dies bedeutet aber nicht automatisch weniger künstlerisch. Ein Blick über den Kanal und den Atlantik zu den dort genutzten Produktionsmethoden kann sich lohnen. Es geht aber nicht um blindes Kopieren, sondern um die punktuelle, gezielte Anwendung von Best Practice.

Quellenverzeichnis:
 
(1) In US$ beliefen sich die Karteneinnahmen pro Besucher auf 66 US$ und 65.000 US$ pro Vorstellung. Bei der Umrechnung wurde ein Wechselkurs von 1,25 Euro pro US$ angesetzt.
 
(2) Für Österreich liegen keine Zahlen über das Verhältnis von Neuinszenierungen zu Uraufführungen vor.
 
 
 
DR. GREGOR HOPF hat seine Karriere im kommerziellen Theater 1994 am Broadway begonnen. Er war unter anderem für Stella Musical in Hamburg tätig und von 2004 bis 2006 Mitglied der Geschäftsleitung der Stage Entertainment GmbH Hamburg. Seit Mai 2006 ist Gregor Hopf als unabhängiger Theaterproduzent und General Manager selbständig tätig.
 

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