03.02.2021

Autor*in

Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Humanität im Kulturbetrieb

Held*innen der Selbstwirksamkeit

Die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen scheinen im Kulturbereich eher eine zweitrangige Rolle zu spielen. Doch das muss nicht so ein - und sie können selbst etwas dagegen tun.
Im Dezember haben wir viel angestaute Wut darüber, wie wenig der Mensch im Kulturbetrieb wert ist, in einen Text verpackt. Das tat uns und scheinbar auch vielen anderen gut, denn wir haben dafür viel positives Feedback bekommen.
 
Doch während wir damals vor allem Strukturen, Kulturpolitik und Leitungsebenen angeklagt haben, hat das alles noch eine zweite Seite - nämlich die derjenigen, die solche Missstände direkt oder indirekt mittragen. Dabei geht es auf keinen Fall um Victim Blaming. Menschen, die gedemütigt werden oder Schlimmeres, sind daran weder schuld noch haben sie es in irgendeiner Weise verdient. Jemand, der sexuell belästigt oder gedemütigt wird, wird das nicht aufgrund eigener Fehler - kein Fehler kann das rechtfertigen -, sondern aufgrund des Fehlverhaltens der Person, die sexuell belästigt oder demütigt.
 
Ja, das System ist kaputt, keine Frage. Und das soll keinesfalls gerechtfertigt werden. Aber das System ist auch deshalb kaputt, weil viele Menschen das Spiel mitspielen und das System am Leben halten. Weil sie mitunter ab der Ausbildung vermittelt bekommen, dass manche Missstände völlig normal seien. Dass sie so etwas aushalten müssen, wenn sie die Karriereleiter hinauf wollen. Dass gewisse Verhaltensweisen einfach dazugehören. Entsprechend wird weggeschaut und geschwiegen.
 
Stillschweigen und sich unter Wert verkaufen
 
Im Oktober 1975 streikten Islands Frauen. Fast alle von ihnen, beinahe 90 Prozent. Sie streikten, um zu zeigen, wie groß ihr Anteil am Funktionieren der Gesellschaft ist - und wie gering im Vergleich dazu ihre Anerkennung, etwa bei der Bezahlung oder der politischen Vertretung. Auch in anderen Ländern und manchen Lebensbereichen Deutschlands gehören Streiks fest dazu, um die eigene berufliche Position zu verbessern. Im Kulturbereich hingegen wird kaum gestreikt und wenn, dann gegen (kultur-)politische Entscheidungen, nur selten aber gegen die Arbeitsbedingungen oder die Gehälter. 
 
Das hat auch rechtliche Gründe. Streiks können ohne Tarifverträge oder gewerkschaftliche Beteiligung zur Kündigung führen. Sind diese Voraussetzungen aber erfüllt, können sie durchaus Veränderung bringen - und sei es nur, weil dadurch die Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam wird, die sonst vielleicht eher unter Teppich gekehrt werden. Dass ein kompletter Stillstand der Kultur Tristesse in das Leben bringt, haben viele Menschen in den letzten Monaten erfahren. Unter welch schwierigen und herabwürdigenden Konditionen auch und gerade der öffentliche Kulturbetrieb aber normalerweise funktioniert und was das für die Mitarbeiter*innen bedeutet, dessen sind sich wohl nur wenige bewusst. 
 
Möglich wären aber auch indirekte Streiks, indem sich Kulturschaffende dem System entziehen oder widersetzen. Doch das passiert kaum. Für (fast) jede noch so schlecht bezahlt Stelle im Kulturbetrieb finden sich Bewerber*innen, die die prekären Konditionen hinnehmen. Man rechtfertigt das dabei vor sich selbst oft mit der eigenen Passion und der Relevanz der Kultur. Damit, dass es eben so sei und dass eine schlechte Stelle besser sei als keine Stelle. Doch auch dieses Verhalten fördert das bestehende System. Wenn sich niemand auf schlechte Stellen bewirbt oder man Stellen absagt mit der Begründung, die Konditionen seien nicht tragbar, würde sich vielleicht etwas ändern. Und womöglich würde es für ein Umdenken sorgen, wenn ganze Aufgaben in Kulturbetrieben mangels Personals nicht umgesetzt werden können. Die jeweilige Einrichtung würde für eine Weile darunter leiden, aber sollte es das nicht wert sein? Sollten sich die Mitarbeiter*innen und Künstler*innen nicht auch selbst soviel wert sein, dass sie sich nicht im Namen der Kunst unter Wert verkaufen? Dann würden vielleicht auch die Kulturverwaltungen und -förder*innen verstehen, dass man gute Arbeit nur für gutes Geld und gute Stimmung bekommt.
 
Das soll nicht heißen, das prekäre Mitarbeiter*innen schlechte Arbeit machen, aber sie bleiben unter ihren Möglichkeiten. Denn entgegen aller Vermutungen in Kultur und Wissenschaft fördert extremer Wettbewerb nicht die Qualität. Befristungen und Geldsorgen erzeugen enormen Stress, und Stress beeinträchtigt die Menschen, sodass sie ihre Potenziale nicht komplett entfalten können (Studie ,,Exzellenz braucht Existenz” zur Befristung im Wissenschaftsbereich). 
 
Nun sind Geld und befristete Verträge nur ein Aspekt der Missstände. Der andere ist das Stillschweigen über Schikanen, Übergriffe, Machtmissbrauch. Auch das sorgt dafür, dass sich nichts ändert, denn es fördert Angst und bringt Lähmung mit sich. Im Kontext der Debatte um das Staatstheater Karlsruhe war immer wieder von Menschen zu hören, die wussten, dass die betreffenden Personen Grenzen überschreiten, dass sie das schon vorher getan haben. Dennoch haben sie geschwiegen, denn solches Verhalten "gehöre nun mal dazu" zum Theatermachen. Doch muss man sich auch hier selbst fragen, ob es das wert ist. Rechtfertigt es die eigene Passion, dass man andere - und im Zweifel auch sich selbst - der Gefahr aussetzt, seelisch und körperlich verletzt zu werden? 
 
Was ist die Alternative?
 
Natürlich dominiert die Angst vor den Konsequenzen. Wer sich beschwert oder das Fehlverhalten einer höherrangigen Person anprangert, läuft Gefahr, seinen Job zu verlieren und vielleicht keine weiteren zu bekommen. Und wer sich auf schlechte Stellen nicht mehr bewirbt, für den bleiben im Zweifelsfall keine Stellen mehr zum Bewerben übrig, zumal wenn man regional gebunden ist. 
 
Doch fragen Sie sich einmal ehrlich und ohne pathetische Ideen der Bedeutung von Kunst und Kultur: Wäre das so schlimm? Wäre es nicht auch eine Alternative, einen anderen, besser bezahlten, entspannteren Job zu haben und Kultur als Hobby zu betreiben? Die spontane Antwort ist wahrscheinlich: Ja, das wäre es. 
 
In der Wissenschaft, die ebenfalls von Leidenschaft lebt, wehren sich dennoch seit einigen Jahren immer mehr Menschen gegen solche Arbeitsbedingungen, gründen Initiativen und stärken ihre gewerkschaftliche Vertretung. Im Kulturbetrieb passiert bisher eher wenig und meist auf individueller Ebene. So gibt es in ersten Bereichen zwar Menschen, die schlechte Konditionen öffentlich oder in Vorstellungsgesprächen kritisieren, sich nicht bewerben oder dem Kulturbetrieb den Rücken kehren zugunsten einer Rente, einer Familie, eines festen Wohnsitzes - nicht, weil sie müssen, sondern weil sie sich dafür entscheiden. Wahrscheinlich sind sie wehmütig, aber sie sind nicht unbedingt unglücklich.
 
Das erfordert eine Menge Selbstbewusstsein, Wissen über Perspektiven und Alternativen und die Bereitschaft, mit den Konsequenzen zu leben. Welches Know-how und welche Fähigkeiten habe ich, um den Arbeitgeber und vielleicht sogar die Branche zu wechseln? 
 
Doch können einzelne nur den ersten Schritt machen und mit gutem Beispiel vorangehen. Ihnen müssen aber alle folgen, damit am Ende der Bewerber*innenliste niemand übrig bleibt, der*die den Job dennoch macht, sodass das System sich ändern muss. Sich zu vernetzen, ist dafür dringend notwendig, um durch die vereinten Kräfte Stärke zu beweisen, um das Schweigen zu brechen und um zu merken, dass man nicht allein ist. In den Darstellenden Künsten leistet das ensemble-netzwerk hervorragende Arbeit und im Museumsbereich engagiert sich beispielsweise der Bundesverband Museumspädagogik für mehr Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen. 
 
Gerade am Beispiel Karlsruhe hat sich gezeigt, wie wirksam Streiks sein können. Durch Proteste der Belegschaft ist es hier gelungen, den Intendanten abzusetzen und die öffentliche Debatte auf das (kultur-)politische System und die Verantwortlichen zu lenken. Und wenn wir an #MeToo denken, hat auch hier das gemeinsame Auftreten der Betroffenen dazu geführt, dass die Täter*innen entlassen und zur Verantwortung gezogen wurden.
 
Die Wiederholung falscher Vorstellungen
 
Dann ist da noch die Idee der Ehre. Jede*r, der*die ein kultur- oder geisteswissenschaftliches oder künstlerisches Studium durchlaufen hat, kennt das. Es wird wieder wiederholt, bis es allen ins Blut übergeht: Es ist eine Ehre, im Kulturbetrieb arbeiten zu dürfen. Ein Glück, das nur wenigen widerfährt. Und dieses Glück sollte man mit beiden Händen packen und nie wieder loslassen, egal was es kostet. 
 
Doch das ist fast schon zynisch. Schließlich stecken hinter einer solchen Laufbahn harte Arbeit, jahrelange Ausbildung und Verzicht. Das hat nichts mit Glück oder Ehre zu tun. Dennoch bringt dieses Mantra viele Absolvent*innen dazu, mit Freude jeden noch so furchtbaren ersten Job anzunehmen, dann den zweiten - man ist ja jetzt drin -, dann den dritten - irgendwann muss es schließlich bergauf gehen. Und irgendwann ist man so lange dabei, dass man das Gefühl hat, nicht mehr rauszukommen. Deshalb sollten sich Kulturschaffende (aber auch die Professor*innen und Dozent*innen) zumindest ein Stück weit von dieser Idee lösen und schlicht und einfach von dem sprechen, was es ist: Arbeit. Wenn man eine Arbeit mit Liebe macht, ist es dennoch Arbeit. Und deshalb kann es nicht schaden, mit demselben Pragmatismus auf die eigene Kulturarbeit zu schauen, den gut ausgebildete Menschen in anderen Branchen ganz selbstverständlich an den Tag legen.
 
Kollektiver Ungehorsam
 
Held*innentum wird im Kulturbetrieb nicht zwangsläufig belohnt. Und einzelne Held*innen verändern auch nicht einen ganzen Sektor, nicht mal unbedingt eine einzelne Einrichtung. Dafür braucht es kollektiven Ungehorsam, wenn man so will. 
 
Doch Held*innentum, Aufbegehren und das Ausbrechen aus dem Teufelskreis bringen dennoch auch der*dem Einzelnen etwas: Selbstwirksamkeit. Genau die ist es, die so oft fehlt. Das Gefühl, etwas an der eigenen Situation verändern zu können, die Gegebenheiten nicht einfach hinnehmen zu müssen, sondern eigene Entscheidungen treffen zu können. Schon das sorgt für einen anderen Blick auf das eigene Leben. Und wenn die letzte Konsequenz ist, den Kulturbetrieb zu verlassen, fühlt es sich deutlich besser an, diese Entscheidung selbst zu treffen.
 
Seien Sie also Held*innen. Machen Sie sich bewusst, dass es immer einen Ausweg gibt, dass Sie Dinge in der Hand haben, dass Sie über viele Kompetenzen verfügen und dass Sie jeden Grund haben, selbstbewusst zu sein. Im Kulturbetrieb zu arbeiten, kann schwierig sein, doch niemand zwingt Sie dazu. Sie können sich dagegen entscheiden, Ihre Stimme erheben und etwas ändern - für andere, aber auch einfach nur für sich selbst.

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