06.10.2022

Themenreihe Corona

Autor*in

Lara Bader
studierte Kunst-Medien-Ästhetische Bildung, Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Kunstgeschichte und Museumsmanagement. Nachdem sie als kuratorische Assistenz im Pilotprojekt "Transparentes Museum" an der Hamburger Kunsthalle beschäftigt war, arbeitet sie heute als freie Kunsthistorikerin in Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen des Sammelns und Ausstellens, der Postcolonial Studies, Provenienzforschung, Kunstvermittlung sowie Transdisziplinarität in den Künsten.
 
Prototyp einer motivierenden Förderung

Kulturfunke* in Lübeck

Keine drei Jahre ist es her, dass sich ganz Deutschland Gedanken darüber machte, was als "systemrelevant" gilt und was nicht. So trat bei den rund 1,2 Millionen hauptberuflich in der Kulturbranche Beschäftigten neben die hohen finanziellen Einbußen vor allem das psychisch belastende Gefühl der Bedeutungslosigkeit. Nur durch innovative Förderprogramme wie Kulturfunke* in Lübeck war es einigen Künstler:innen möglich, ihren Job weiterhin ausführen zu können.

Themenreihe Corona

Wertschätzung von Kultur 
 
Als Wirtschaftszweig, dessen Bruttowertschöpfung 2019 insgesamt noch bei 106,4 Milliarden Euro lag, ist die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) in Deutschland kein bedeutungsloses "Sahnehäubchen". Immerhin erzielte die KKW damit eine höhere Wertschöpfung als Branchen wie die Chemieindustrie, die Energieversorgung oder die Finanzdienstleistung. Und doch schienen die staatlichen Hilfspakete die Nöte der vielen in der KuK tätigen Solo-Selbstständigen zunächst nicht ausreichend zu berücksichtigen.
 
Die Possehl-Stiftung und die Arbeitsgemeinschaft Kulturtreibhaus in Lübeck erkannten die Situation hingegen schon früh und reagierten blitzschnell. Bereits am 29. Mai 2020, nur knapp über zwei Monate nach Beginn des ersten Lockdowns, beschloss der Stiftungsvorstand ein umfassendes Kulturförderprogramm. Damals wurde kurzfristig, nach einer Planungsphase von nur zwei Wochen, eine erste Förderung in Höhe von 600.000 Euro für die Initiative Kulturfunke* bereitgestellt, die seitdem von Stefanie Reis vom Kulturtreibhaus und ihrem dreiköpfigen Team koordiniert wird. 
 
Förderung neu gedacht
 
Schon nach 10 Tagen hatten sich 117 Kulturschaffende mit 78 Projektideen auf die Ausschreibung von Kulturfunke* beworben. Ein Zulauf, der die neunköpfige, von der Stiftung unabhängige, Jury überraschte. Bis Januar 2022 wurden insgesamt 308 Projekte von 419 Kulturschaffenden mit einer Gesamthöhe von 2,15 Millionen Euro unterstützt und die vierte Auswahlrunde für Projekte läuft, für die weitere 480.000 Euro zur Verfügung stehen.**
 
Die in Lübeck lebende Theaterpädagogin Katharina Feuerhake betont im Nachhinein, wie wichtig die Spontaneität und Offenheit der Ausschreibung für sie waren. Durch Corona mussten analoge Proben und Aufführungen oft ausfallen. Im Gegensatz zu vielen anderen Förderprogrammen ermöglichte die Possehl-Stiftung von Anfang an Online-Formate, sodass die Theaterpädagogin sich gemeinsam mit ihren Schauspieler:innen im Kleinen an diese Projektform herantasten konnte, um sich schauspielerisch in diesem Feld auszuprobieren, mögliche Ästhetiken via Zoom zu erproben, genauso wie den Einsatz von partizipativen Elementen. Herausfordernd war dabei vor allem der enge zeitliche Rahmen, denn die Kulturfunke*-Projekte müssen innerhalb eines halben Jahres erstellt und realisiert werden. Da Katharina Feuerhake hauptsächlich mit Laienschauspieler:innen arbeitet, war es umso schöner, dass die Projekte trotz Corona zu einem Abschluss mit Aufführung gebracht werden konnten. Während die Proben für ihr erstes Stück "Vergessene Orte" noch analog stattfanden, musste die Aufführung im Winter 2020 kurzfristig in den digitalen Raum verlegt werden. Bei ihrem zweiten Projekt "CluBtopia" war es genau andersherum: Was zunächst digital geprobt wurde, konnte schließlich auf dem Außengelände der Kulturwerft Gollan vor Publikum aufgeführt werden.
 
Die Arbeitsfähigkeit der Künstler:innen soll mit dem Förderprogramm der Initiative Kulturfunke* gestärkt und ihr Ideenreichtum genutzt werden, um für die kulturelle Entwicklung der Stadt Lübeck bedeutende Projekte zu initiieren, die im besten Fall auch eine soziale Komponente beinhalten. Jede Einzelperson kann eine Summe von bis zu 6.000 Euro beantragen, die direkt nach Bewilligung abrufbar ist, ohne vorher eine finanzielle Bedürftigkeit oder ähnliches nachweisen zu müssen, wie es sonst oft der Fall war und ist. Die Nachweispflicht der Kulturschaffenden besteht stattdessen darin, die Stadt Lübeck wieder mit Kultur zu beleben. 
 
Wofür das Geld eingesetzt wird, ist jeweils von Projekt zu Projekt unterschiedlich und den Antragsstellenden überlassen. Die Sängerin Jana Nitsch konnte sich beispielsweise bei ihrer One-Woman-Show mit Moped stets sicher eine feste Gage auszahlen, egal wie groß das Publikum war, was ihr Einkommen sicherte. Für andere bedeutet das Geld wiederum, größere Vorhaben - wie die von Katharina Feuerhake - in die Tat umsetzen zu können, weil etwa Sach- und Materialkosten oder Raummieten sicher gedeckt sind oder Gagen für zusätzlich engagiertes Personal gezahlt werden können.
 
Ein "Trotzdem" gegen die Krise 
 
Eine Inspiration für das Förderkonzept Kulturfunke* war unter anderem das Stipendienprogramm "Denkzeit" der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen. Durch dieses konnten Kunst- und Kulturschaffende auch in Krisenzeiten weiterhin kreativ tätig sein. Die Possehl-Stiftung geht bei ihrem Förderkonzept allerdings weiter - nicht nur finanziell. Es geht darum, neue Anreize zu schaffen, die Stadt - auch fernab der bekannten Altstadt - zu beleben und mit einem lauten "Trotzdem" Kultur innerhalb der Pandemie zu ermöglichen; einen Wert zu schaffen, der über den rein monetären hinausgeht. Schaut man sich die Anzahl der ermöglichten Programmpunkte seit Mitte 2020 an, so könnte man beinahe denken, Corona hätte in Lübeck zwischendurch Pause gemacht. Über 2.500 Veranstaltungen an über 600 Orten konnten dank der besonderen Förderstruktur und trotz der Pandemie bisher stattfinden.
 
Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft würdigte dies, indem er die Aktion Kulturfunke* 2021 mit dem "Sonderpreis für Projekte mit Bezug zu Covid-19" aus einer Auswahl von 40 deutschlandweiten Projekten prämierte. 
 
Kleine und große Funken 
 
Beeindruckend ist vor allem die Vielfalt des Programms. Spartenübergreifend werden die verschiedensten Ideen verwirklicht. Diese reichen von Ausstellungen mit jungen deutschen Künstler:innen in leerstehenden Geschäften der Lübecker Innenstadt, über eins-zu-eins Konzerte an ungewöhnlichen Orten, einen Miniatur-Zirkus, clowneske Jonglage, Kunst im Kleingarten bis hin zu Performances auf einem Kunstschiff. Manche der Projekte sind laut und sorgen für viel Aufmerksamkeit in der Innenstadt. Andere wiederum bringen die Kultur in die Peripherie, an Orte die bei der Auswahl von möglichen Spielstätten normalerweise nicht mitgedacht werden. Zu überlegen, welche Kulturformate außergewöhnlich sind, ist für viele Antragsstellende eine Herausforderung mit nachhaltigem Effekt. So entstanden viele neuartige Projekte, aber auch Weiterentwicklungen von solchen, die es auch vor Corona schon gab, nun aber nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form realisierbar waren. 
 
Ein Beispiel sind die "Weckworte". Der in der deutschen Szene bekannte Slam-Poet arbeitet schon seit mehreren Jahren eng mit verschiedenen Seniorenheimen und sozialen Einrichtungen zusammen, um in Workshops mit Schüler:innen, Personal und pflegenden Angehörigen durch Gedichte und Worte aktivierende Impulse für den Alltag mit Pflegebedürftigen zu bieten. Zu Beginn von Corona waren jene Workshops nicht mehr möglich, sodass das Förderprogramm für Lars Ruppel genau zur rechten Zeit kam. Die Fördervorgaben führten ihn schließlich zu der Idee eines dreiteiligen Online-Workshops mit pflegenden Personen, in denen niedrigschwellig der Einsatz von Poesie im Alltag erlernt, geprobt und eingesetzt wurde. Durch das digitale Format konnten mehr Personen als gewöhnlich an den Workshops teilnehmen und sich bereichs- und regionsübergreifend austauschen. "Gerade der Vertrauensvorschuss in die Kunst- und Kulturschaffenden ist besonders bei der Förderung und ich würde den Kulturfunken* wünschen, dass sie damit viele Nachahmende finden und zum Prototyp werden", meint Lars Ruppel nach Abschluss seines Projekts.
 
Bedürfnisse erkennen
 
Mitten in der Krise, als eh viel Ungewohntes geschah, kehrten die Initiator:innen von Kulturfunke* die bis dato gewohnte Förderlogik um. Sie hörten auf die Stimmen der Kunst- und Kulturproduzent:innen, ebenso wie auf die der Konsument:innen und schenkten vor allem eins: Vertrauen - und das wirkt sich auf die gesamte Stadt aus.
 
Katharina Feuerhake berichtet von spürbaren Veränderungen in der Lübecker Kulturszene: "Das betrifft wohl vor allem die Sichtbarkeit von Kultur, aber eben auch, und das ist wirklich überall spürbar, die Vernetzung der Szene untereinander". Bei ihrem Antrag für die erste Förderrunde sei sie noch sehr in der Gewohnheit verhaftet gewesen, sich als Solo-Selbstständige zu bewerben, wohingegen sie in späteren Runden ganz bewusst die Möglichkeit der gemeinsamen Bewerbung wahrnahm, zum Beispiel mit der Ausstatterin Katia Diegmann für das Projekt "CluBtopia". Obwohl die Kulturszene in Lübeck nicht sehr groß ist, funktionierte die Vernetzung untereinander lange nicht gut. Die Hamburger Videoproduzentin Anne Schulte vom Projekt "Screen in a Box" erzählt, wie überrascht sie bei ihrer ersten Fahrt nach Lübeck für die Vorbereitungen war: "Wir konnten ja gar nicht glauben, als Leute uns sagten, dass es, trotz der geringen Größe der Stadt, keine zentralen Anlaufpunkte für die Kulturszene gibt, wo sich alle treffen, aber so war es dann wirklich, als wir da waren. Unser Plakat haben wir bei den Kulturfunken aufgehängt, sonst gab’s quasi nichts." 
 
Seit 2021 hat die Kulturszene mit dem Kulturfunke* Quartier einen festen Anlaufpunkt. Das vierköpfige Team aus Stefanie Reis (Projektleitung), Heide Klingelhöfer, Pascal Simm und Tilo Strauß hilft nicht nur bei Fragen rund um Antragsstellung und Projektrealisierung. Die vier sind auch gerne beratend tätig für alle Interessierten, die in Ergänzung zur kommunalen Kulturarbeit Hilfe bei der Suche nach den richtigen Ansprechpartner:innen in der Stadt benötigen. Neben der fachlich breit aufgestellten Expertise des Teams, zeigt allein die Verortung der Anlaufstelle mitten in der Innenstadt die Wertschätzung der Stiftung gegenüber den Kulturschaffenden. Die Kreativen fühlen sich gut aufgehoben und das zahlt sich aus: So wird die Idee auch stadtübergreifend verbreitet und zieht Künstler:innen aus Hamburg, Berlin, Düsseldorf und vielen weiteren Städten an, um Projekte in Lübeck zu realisieren. Das sorgt wiederum für neue Vernetzungsmöglichkeiten. 
 
Funken sprühen
 
Neben Lars Ruppel, erfuhren auch die drei Hamburger:innen Anne Schulte, Andreas Dorau und Sönke Held über einen Bekannten von dem Lübecker Förderformat. "In einer Zeit, die vor allem von Absagen dominiert war, war es total toll und schön zu sehen, dass es auch Orte gab, an denen Neues entstand, wo was passierte", erinnert sich Andreas Dorau. Die künstliche Limitierung durch die Faktoren Corona, Zeitraum, Innovationskraft und Veranstaltungsort setzte bei den beiden Film-/ Videoproduzent:innen Anne Schulte und Sönke Held sowie dem Musiker Andreas Dorau kreative Prozesse in Gang. Entstanden ist eine Art modernes und begehbares Scopitone (Vorgänger des Musikvideos im Jukebox-Format): Je zwei Personen konnten sich in einem umgebauten Pferdeanhänger drei von zehn maximal zweiminütigen musikalischen Filmminiaturen ansehen, die nur für "Screen in a Box" entstanden sind und nirgendwo sonst aufgeführt werden. "Es klingt abgedroschen, aber das Format sprach Jung bis Alt an und sorgte eben für flüchtige Vergnügungen im Corona-Alltag" resümiert Andreas Dorau.
 
Nachhaltigkeit
 
Schon jetzt hat das Förderprogramm nachhaltige Effekte auf die Stadt Lübeck: Kultur ist sichtbarer im Alltag der Einwohner:innen geworden, Netzwerke wurden ausgebaut, die Gemeinschaft der Kulturschaffenden wurde gestärkt, es gibt weniger Einzelkämpfer:innen als zuvor. 
 
Mit dem Kulturfunke* haben die Possehl-Stiftung und das Kulturtreibhaus in Lübeck einen antizyklischen "Funkensprüher" erschaffen, der Dinge möglich macht in einer Zeit, in der so vieles für die Kultur zunächst unmöglich schien. Der Zeitpunkt wurde außerdem genutzt, um Förderung neu zu denken. Es ist wünschenswert, dass Lübeck sich diese Agilität weiterhin bewahren kann und viele Nachahmer:innen in Deutschland findet, da sind sich alle Geförderten einig. 
 
** Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 164: "Freischaffender Kulturbetrieb". Ein weiterer Beitrag zum Fördermodell des Kulturfunken* sowie zu weiteren Förderstrukturen im deutschen Kulturbetrieb finden Sie im Kultur Management Network Nr. 169: "Förderstrukturen".

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