04.07.2022

Themenreihe Karriere

Autor*in

Katharina Aufhauser
ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei L&R Sozialforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Gender, Digitalisierung und Inklusion. Sie ist Autorin der Studie "Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungsaufgaben bei Filmschaffenden: Status Quo und Handlungsperspektiven".
Claudia Wohlgenannt
arbeitet seit gut 20 Jahren im Filmbereich, sie ist Produzentin und Geschäftsführerin von Plan C Filmproduktion. Sie ist eine starke Netzwerkerin, u.a. im Vorstand der Akademie des Österreichischen Films und in der Wirtschaftskammer aktiv und setzt sich im filmpolitischen Kontext vor allem für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität ein.
Daniela Purer
wurde 1977 in Wien geboren, studierte "Bildtechnik und Kamera" sowie "Produktion" an der Filmakademie Wien. Sie arbeitet nach über 10 Jahren als Kamerafrau nun seit 2013 als Producerin bei Gebhardt Productions.
Studie Arbeitsbedingungen in der Filmbranche

Film UND Familie - geht das?

Wie viel Glamour bleibt Filmschaffenden nach 60 oder mehr Stunden Arbeitszeit pro Woche? Und wie vereinbart man eigentlich seinen 60+-Stunden-Job mit seinen familiären Betreuungspflichten? Gute Planung wäre eine Lösung, aber solange von Filmarbeiter:innen ständige Flexibilität gefordert wird, bleibt das ein unerreichbarer Luxus. Wer sich für einen Beruf in der Filmbranche entscheidet, muss sich daher eher auf belastende Arbeitsbedingungen als auf Glamour einstellen. Und so darf es auch nicht verwundern, dass gerade Frauen in der Branche trotz vieler Bemühungen immer noch unterrepräsentiert sind, wie eine neue Studie aus Österreich zeigt.

Themenreihe Karriere

Bereits der erste Genderreport des Österreichischen Filminstituts hat gezeigt: Es gibt in der Filmbranche den Leaky Pipeline Effekt. Dieser beschreibt die abnehmenden Frauenanteile im Verlauf einer Karriere, also je höher in der Hierarchie, desto weniger Frauen. Um Maßnahmen zu entwickeln, die diesem Effekt entgegenwirken, wurde von FILM FATAL erstmals eine Studie in Auftrag gegeben, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Filmschaffenden (aller Geschlechter) untersucht. Auch aus der klaren Notwendigkeit heraus, dass alle bereits eingesetzten (und noch einzusetzenden) Förderungen von jungen Frauen und Quotenmodellen nur greifen können, wenn diese Frauen auch in späteren Jahren nicht aus Frustration die Branche wieder verlassen, weil sie keine Möglichkeit sehen, Beruf und Betreuungspflichten unter einen Hut zu bringen. Damit werden nun auch die jahrelangen Forderungen der Arbeitnehmer:innen nach einer dringenden Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen mit Zahlen bestätigt. Viele der hier nun vorliegenden Ergebnisse waren leider wenig überraschend - und lassen sich auch auf andere Bereiche der Kulturbranche umlegen.
 
"Always on!" vs. "always available?"
 
In Anlehnung an bisherige Studien und zu Vergleichszwecken mit anderen Branchen wurde der Fokus auf die Konflikte zwischen Berufs- und Familienleben gelegt. Filmschaffende sind davon deutlich stärker betroffen als Arbeitnehmer:innen anderer Branchen. Als zentrale Ursache dafür kristallisierten sich im Rahmen der Befragung und der qualitativen Interviews die Arbeitsbedingungen heraus, die in hohem Maße durch die Erwartungshaltung geprägt sind, "always on" zu sein und die deshalb mit privaten Verpflichtungen nur schwer vereinbar sind.
 
Markant sind dabei lange, unplanbare und wechselhafte Arbeitszeiten in Kombination mit einem hohen Konkurrenzdruck, der es umso schwerer macht, sich der "always on!"- Erwartung zu entziehen. "Always on" bedeutet im Filmbereich eine ständige Verfügbarkeit rund um die Uhr. Während laufender Dreharbeiten wird von Mitarbeitenden erwartet, auf Abruf immer einsatzbereit zu sein. Vereinbarkeitsprobleme erleben somit sowohl Filmschaffende ohne als auch mit Betreuungspflichten. Letztere stehen aber vor der besonderen Herausforderung, Betreuungsangebote organisieren zu müssen, die "always available" sind. Die Organisation der Betreuung erfordert somit ein hohes Maß an Flexibilität, Spontanität, Aufwand sowie finanzielle bzw. personelle Ressourcen und wird insgesamt als sehr herausfordernd erlebt. Die folgende Abbildung zeigt, dass Selbständige in ihrer Einteilung etwas flexibler sind und sich demnach etwas leichter arrangieren können als Angestellte. 
 
 
Was kann man tun?
 
Die Befragten wurden in der Online-Befragung gebeten, für 17 Maßnahmevorschläge auf einer Skala von 1 ("ja, sehr") bis 4 ("nein, gar nicht) anzugeben, inwieweit diese die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem im Filmbereich positiv unterstützen könnten. Darauf basierend sollten die Befragten bis zu drei Maßnahmen auswählen, die sie als besonders wichtig erachten. Fasst man die Ergebnisse der als besonders wichtig klassifizierten Maßnahmen zusammen, so ergibt sich folgendes "Ranking": 
 
1. Reduktion oder Komprimierung der Arbeitszeit (60%): 
 
Darunter fallen die Reduktion der täglichen Arbeitszeit von einer 60-Stunden-Woche hin zu einer 40- bzw. 50-Stunden-Woche, geteilte Dienste sowie die 4-Tage-Woche. Die Dringlichkeit dieses Anliegens zeigt sich auch darin, dass ein Großteil jener Personen, die eine Arbeitsreduktion in Richtung einer 40- oder 50h-Woche befürworten, im Zuge dessen Einkommensreduktionen in Kauf nehmen würden: Knapp 60% der Betreffenden stimmen hier zu. 
 
2. Planbarkeit von Projekten und Arbeitszeiten (48%): 
 
Dies inkludiert die frühere und verlässlichere Fixierung von Projekten als auch verlässliche Drehpläne, die nicht täglich geändert werden können. Derzeit ist es einfach so, dass Filmschaffende die Dispo für den nächsten Tag erst am Vortag erhalten, diese aber nie verbindlich und auch selten verlässlich ist. Eltern können damit nicht wissen, ob oder wann sie am nächsten Tag ihr Kind abholen könnten. Diese Situation wird verschärft durch die Tatsache, dass es in Österreich derzeit noch immer kein Filmstudio gibt, daher alle Dreharbeiten extrem von äußeren Einflüssen abhängig sind.
 
3. Ausbau und Organisation von Betreuungsmöglichkeiten (33%): 
 
Dies umfasst Maßnahmen, wie beispielsweise die Einrichtung eines Pools an spontan einsatzbereiten Betreuer:innen, organisierten Kinderbetreuungsmöglichkeiten während der Drehzeit in der Nähe des Drehortes (etwa in Form eines Set-Kindergartens) und verfügbare Sonder-Kinderbetreuungseinrichtungen (dies wäre etwa eine zentrale kommunale Einrichtung, die auch anderen Berufsgruppen, wie z.B. Theaterpersonal, Krankenhauspersonal u.Ä., zur Verfügung steht) außerhalb normaler Betreuungszeiten.
 
Gibt es ein System für alle?
 
Die größten Subgruppenunterschiede lassen sich nach Form der Erwerbstätigkeit, Betreuungssituation und Geschlecht verorten: Während bei Unselbstständigen wie auch bei Selbstständigen (hier sind meist Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) gemeint) die verlässliche Fixierung von Projekten eine hohe Relevanz einnimmt, erachten erstere vergleichsweise öfter Maßnahmen zur Arbeitszeitreduktion (und hier verstärkt in Richtung einer 40-Stunden Woche) sowie die Einführung einer 4-Tage-Woche als zentral. Bei Selbstständigen spielt die finanzielle Unterstützung individueller Kinderbetreuung eine größere Rolle. 
 
Geschlechtsspezifische Unterschiede verweisen auf den Umstand, dass Frauen in höherem Maße als Männer für Betreuungsaufgaben verantwortlich sind: So werden Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung bzw. Förderung der Kinderbetreuung sowie solche zum Ausbau von Betreuungsangeboten von Frauen häufiger als besonders wichtig genannt.
 
Die drei als am ‚wichtigsten‘ genannten Maßnahmen sind in allen Subgruppen zentral. Klar ist außerdem, dass ein wie auch immer geartetes Angebot von Kinderbetreuung das Problem nur teilweise zu lösen vermag, da je nach individueller Erwerbs- und Betreuungssituation unterschiedliche Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Vielmehr ist ein Mix aus Maßnahmen erforderlich, darunter auch in Bereichen, die die Arbeitsbedingungen betreffen. 
Maßnahmen
 
Auf Basis dieser Ergebnisse fanden Gespräche in Fokusgruppen mit Expert:innen aus der Branche statt, um umsetzbare Maßnahmen herauszuarbeiten und diese weiterzuentwickeln. Eine neue und eigene Webseite, die Maßnahmen und Angebote bündelt, soll dabei den Grundstein als Anlaufstelle und Informationsquelle für Produktionsfirmen und Arbeitnehmer:innen bilden. Zudem sollen auf der Webseite neue Arbeitszeitmodelle (wie etwa geteilte Jobs) beispielhaft berechnet und Role Models präsentiert werden. Auch das bereits bestehende Gutscheinmodell für Kinderbetreuung - welches auf Basis der ‚freiwilligen Zuschüsse‘ der Arbeitgeber:innen zur Kinderbetreuung existiert (bis zu 1.000€/ Kind/ Jahr steuerfrei) - soll hier vorgestellt werden. Diese müssen möglicherweise für die ständig wechselnden Anstellungsverhältnisse der Filmbranche leicht adaptiert werden. Ebenso ist ein Pool an vertrauenswürdigen und flexiblen Babysitter:innen bzw. Kooperationen mit bestehenden Einrichtungen für flexible Kurzzeitpflege geplant, die bei kurzfristigen Drehänderungen verfügbar sind.
 
Die Errichtung dieser Homepage wird nun von FILM FATAL initiiert und soll ab Herbst 2022 online gehen, sowie ausgehend von der Filmbranche der gesamten Kulturbranche als Wissenspool zur Verfügung stehen.
 
Weitere wichtige, für die Zukunft zu verfolgende Punkte sind:
 
  1. eine sukzessive Reduktion der Arbeitszeit - derzeit ist eine erste Reduktion auf 50h in den KV Ausschüssen in Ausarbeitung;
  2. eine Sensibilisierung der Branche für das Thema "Familienfreundlichkeit” in Form einer Awareness Kampagne inkl. Auszeichnung oder Gütesiegel für vorbildhafte Unternehmen;
  3. Pilotprojekte zu "Planbarkeit", wo sich z.B. Projekte mit hohem Anteil an Studiodreh bereit erklären, Arbeitszeiten vorab bekannt zu geben und nicht mehr zu ändern;
  4. "Sommerferiencamp" für die Kinder von Filmschaffenden im Sommer in Wien, da im Sommer viele Dreharbeiten angesetzt sind;
  5. Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung;
  6. Wiedereinführung der steuerlichen Absetzbarkeit für Betreuungskosten bei Arbeitszeiten von mehr als 40-Stunden-Woche.
 
Denn eines zeichnet sich in der Studie bereits ab: Die nachkommende junge Generation hat recht genaue Vorstellungen von einer Work-Life-Balance und diese ist von einer 60-Stunden-Woche weit entfernt. Die Zeit drängt also auch für den Kulturbereich, ernstzunehmende Richtlinien für Arbeitnehmer:innenrechte zu entwickeln. Dazu bedarf es auch für die Zukunft einer stärkeren Kooperation von Film mit anderen Kulturbereichen wie Theater oder Musik, um in dieser Vernetzung auch Wissen weiterzugeben und stärkere Durchsetzungskraft gegenüber der Politik zu entwickeln. Somit muss sich die Kulturbranche als Ganzes diesen Fragen nicht nur stellen, um für Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit zu sorgen, sondern auch, um weiterhin für den Nachwuchs als Arbeitsfeld attraktiv zu bleiben.
 
 
*FILM FATAL (Interessensgemeinschaft österreichischer Produzentinnen und Producerinnen) hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität einzusetzen und Missstände diese Themen betreffend aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund wurde vor zwei Jahren diese Studie initiiert, durchgeführt wurde sie von L&R Sozialforschung und finanziert von Wirtschaftskammer, VDFS (Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden), VAM (Verwertungsgesellschaft für audiovisuelle Medien) und Österreichischem Filminstitut in Kooperation mit Arbeiterkammer und FC Gloria (Film, Frauen, Vernetzung).

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