29.04.2022

Autor*in

Marion Minkus
hat Kultur + Management an der DIU Dresden International University studiert. Sie forschte zu den Themenfeldern Kulturmarketing, Musikvermittlung und Spielplangestaltung und hat ihre Masterarbeit zum Stellenwert des Marketings in deutschen Konzert- und Opernorchester im November 2018 verteidigt. Sie lebt als selbständige Musikerin in Erfurt.
Studie zum Orchestermarketing

Orchestermarketing ganzheitlich denken

Wollen Orchester neue Konzertbesucher:innen gewinnen, müssen sie ihre traditionelle Programmierung und Aufführungspraxis weiterentwickeln. Welche Auswirkungen dabei ein ganzheitliches Orchestermarketing auf den Orchestererfolg und dessen Offenheit für neue Impulse hat, zeigt die vorliegende empirische Untersuchung.
In meiner Masterarbeit, die im Studiengang Kultur + Management an der DIU Dresden International University entstanden ist, habe ich den Stellenwert des Marketings in deutschen Konzert- und Opernorchestern erforscht. Mittels schriftlicher Befragung im Zeitraum November 2017 bis April 2018 habe ich dafür empirische Daten zu den System- und Finanzkennzahlen, zur Marketingorganisation, zur Ziel- und Strategiebestimmung, zur Produktpolitik und Publikumsorientierung erhoben. Die Deutsche Orchester-Stiftung hat diese Befragung unterstützt und den Fragebogen auf ihrer Website zum Download bereitgestellt. Von den 110 angeschriebenen deutschen Konzert- und Opernorchestern haben 26 an der Untersuchung teilgenommen. Durch vier Forschungsfragen habe ich untersucht: 
  • wie das Orchestermarketing strukturell aufgestellt und in den Prozess der Programmplanung und Ausgestaltung von Zusatzleistungen eingebunden ist, 
  • welchen Stellenwert das Marketing im Orchestermanagement-Gesamtkonzept hat und 
  • welche Bedeutung der Publikumsorientierung zukommt. 
Was unterscheidet Konzert- von Opernorchestern?
 
Während Opernorchester mit der Eröffnung eines Opernhauses gegründet wurden, um hauptsächlich die Opern-, Operetten- und Musicalaufführungen zu begleiten, erfolgte die Gründung eines Konzertorchesters oft ergänzend zu einem schon bestehenden Opernorchester. Selbständige Konzertorchester agieren unabhängig von einem Theater, verfügen über einen eigenen Etat, bieten ein eigenständiges Konzertangebot an und können zudem in Theatern Opernaufführungen begleiten (Vgl. Werner, Jensen (2015), S. 11 und 19). 
 
Vorgehen
 
Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung ist die im Jahr 1998 veröffentlichte Dissertation Orchesterkrise und Orchestermarketing von Thomas Schmidt-Ott. Für meine Masterarbeit habe ich die Fragen und Antwortschemata der Studie von Schmidt-Ott vollständig überarbeitet und weiter ergänzt. Schmidt-Ott bestimmte den Marketinganteil am Orchestererfolg anhand des Verhältnisses von Zielerreichung und Zielpriorität (Vgl. Schmidt-Ott (1998), S. 276 ff.). Diesen Ansatz habe ich auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht.
 
In der empirischen Untersuchung vergleiche ich erstmals die deutschen Konzert- und Opernorchester hinsichtlich der System-, Finanz- und Strukturdaten sowie der Marketingorganisation und Marketingaktivitäten. Auch der Vergleich anhand der Orchestergrößenklassen sowie der Standorte im Westen bzw. Osten Deutschlands ist neu. Außerdem habe ich die Methoden zur Messung des Marketingerfolges um das herausgearbeitete Kriterium der Entwicklungsstufe des Marketings ergänzt. Das ebenfalls neu aufgestellte Kriterium der systematischen beziehungsweise unsystematischen Arbeitsweise des Marketings baut auf der Studie Marketing für Sinfonieorchester (1995) von Jan C. Giller auf. Diese weist empirisch nach, dass Orchester, die ihr Publikum segmentieren, im Schnitt mehr Konzerte aufführen, mehr Konzertbesucher:innen erreichen und auch mehr Zuwendungen erhalten als Orchester, die dies nicht tun (Vgl. Giller (1995), S. 204f.). Gegenüber dem Kriterium der Kundensegmentierung greift die Systematik der Arbeitsweise des Marketings deutlich weiter und betrachtet die Häufigkeit und Regelmäßigkeit von durchgeführten Publikumsbefragungen und Publikumsanalysen. Im Folgenden werden einige Untersuchungsergebnisse vorgestellt.
 
Marketingstrukturen 
 
Vergleicht man die in der empirischen Untersuchung erhobenen Marketingstrukturen mit denen von Schmidt-Ott aus dem Jahr 1998, wird deutlich, dass sich die Spielarten des Marketings im Jahr 2018 ausdifferenziert haben und neue Organisationsformen des Marketings im Theater/Orchester entstanden sind. 
 

Besaßen im Jahr 1998 insgesamt 58 Prozent der deutschen Orchester überhaupt keine Abteilung für Presse/Marketing, sind es im Jahr 2018 nur noch 23 Prozent. Bemerkenswert ist, dass darüber hinaus im Jahr 1998 ausschließlich Presse-Abteilungen existierten. Diese Presse-Abteilungen schienen schwerpunktmäßig Aufgaben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu erledigen, wobei ein weiterführendes Marketing noch nicht etabliert war. Gegenwärtig sind hingegen neben 31 Prozent Presse- auch 31 Prozent Marketing-Abteilungen installiert; in 15 Prozent der Theater/Orchester sind sogar beide Abteilungen vorhanden. 
 
Mit Blick auf den Personalanteil der Mitarbeitergruppen hat die Studie gezeigt, dass Konzertorchester mit insgesamt 2,8 Prozent mehr als doppelt so viel Presse/Marketing-Personal beschäftigen als Theater/Opernorchester, die auf nur 1,2 Prozent kommen. Der Marketingbereich scheint demnach in den komplexer strukturierten Theatern/Opernorchestern gegenüber Konzertorchestern unterrepräsentiert zu sein, wodurch keine zusätzlichen Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden können.
 
Auch die Stellung der mit Presse sowie Marketing beauftragten Abteilungen innerhalb der Hierarchie des Theaters bzw. Konzertorchesters ist ein Anhaltspunkt für deren Bedeutung für die Kultureinrichtung: Im Vergleich mit den empirischen Befunden aus dem Jahr 1998 haben sich die Marketingstrukturen deutlich weiterentwickelt:


Waren 1998 mit 36 Prozent Stabsstellen und 64 Prozent Stellen in Personalunion ausschließlich Vorstufen des Marketings vorhanden, haben sich im Jahr 2018 in mehr als der Hälfte der Theater und Konzertorchester schon reifere Formen des Marketings herausgebildet: 43 Prozent haben die Funktionen Presse bzw. Marketing als Abteilungen auf der zweiten Hierarchieebene und 9 Prozent als Abteilungen auf der dritten Hierarchieebene implementiert. 

Programmplanung
 
Ich habe untersucht, welchen Einfluss unterschiedliche Orchesterinstanzen auf die Programmplanung haben. Für zwölf vorgegebene Instanzen haben die Befragten auf einer Skala von eins bis fünf eingeschätzt, wie stark jede Instanz in die Programmplanung eingebunden ist. Für die Auswertung wurde für jede Instanz das arithmetische Mittel errechnet.

Während der GMD/Chefdirigent sowie die Intendanz/künstlerische Leitung die Programmplanung mit einem mittleren Wert von 4,8 bzw. 4,5 dominieren, hat das Marketing mit einem durchschnittlichen Wert von 1,5 einen äußerst geringen Einfluss auf die Programmplanung. In Konzertorchestern kann das Marketing mit einem mittleren Wert von 1,9 noch etwas mehr Einfluss als in Opernorchestern nehmen, deren Marketing nur einen mittleren Einfluss von 1,3 auf die Programmplanung ausübt.
 


Bei der Gestaltung konzertbegleitender Services und Zusatzleistungen sind die Einflussbereiche des künstlerischen und administrativen Personals ausgewogener verteilt: Während die Intendanz/künstlerische Leitung mit einem durchschnittlichen Wert von 4,3 den größten Einfluss auf die Ausgestaltung der Services hat, sind die Instanzen mit dem zweitgrößten Einfluss das Marketing und die kaufmännische Geschäftsführung mit einem mittleren Wert von jeweils 3,5. Der Besucherservice nimmt mit einem durchschnittlichen Wert von 2,6 auf die Ausgestaltung der Serviceleistungen Einfluss.
 
Marketingverständnis
 
Die Bedeutung des Orchestermarketings wird neben seiner Positionierung im Orchester und seinen Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Programme und Services auch durch das im Orchester vorherrschende Marketingverständnis gelenkt. 

Vergleicht man die empirischen Befunde dieser Untersuchung mit denen des Jahres 1998, ist festzustellen, dass sich das Marketingverständnis im Verlauf von zwanzig Jahren deutlich verändert hat: Die instrumentelle Sichtweise hat sich von damals 75 Prozent auf jetzt 44 Prozent reduziert, das erweiterte Marketingverständnis hat um 33 Prozent auf 56 Prozent zugenommen. Marketing wird damit weniger als Verkaufsinstrument verstanden, sondern mehr als marktorientierte Führungskonzeption.


Hindernisse
 
Die Studie konnte weiter zeigen, dass der Entwicklung eines modernen, ganzheitlichen Marketings mit einem mittleren Wert von 3,7 vor allem fehlende finanzielle und personelle Ressourcen entgegenstehen. Diese fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen sind mit mittleren Werten von 3,9 sowie 3,8 insbesondere bei Theatern/Opernorchestern stark ausgeprägt; Konzertorchester schätzen fehlende finanzielle Ressourcen mit mittleren Werten von 3,1 bzw. fehlende personelle Ressourcen mit 3,6 als geringere Hürden ein, um ein modernes Marketing zu etablieren. Wenn die finanziellen und personellen Marketing-Ressourcen in Konzert- und Opernorchestern erhöht werden würden, könnte das Marketing zur vollen Entfaltung kommen und sich hin zu einem modernen, ganzheitlichen Marketing entwickeln.
Strategische Marketingplanung
 
Das Marketing wird mit einem mittleren Wert von 3,0 erst auf Rang sechs hinter GMD, Intendanz, Geschäftsführung, Orchesterdirektion, Dramaturgie und Orchestervorstand in die Ziel- und Strategiebestimmung des Orchesters einbezogen. 
Im Konzertorchester verbessern sich die Einflussmöglichkeiten des Marketings auf Ziele und Strategien: Hier stellt das Marketing mit einem durchschnittlichen Wert von 3,4 immerhin noch die vierteinflussreichste Instanz dar. Im Theater/Opernorchester hat das Marketing mit durchschnittlich 2,8 Punkten geringe Einflussmöglichkeiten auf die Marketingplanung, ihr ureigenstes Arbeitsfeld. Eine gleichberechtigte Mitbestimmung aller Instanzen könnte dazu beitragen, dass alle in der Institution vorhandenen Marketing-Kompetenzen zur Entfaltung kommen.
 
Publikumsorientierung
 
Publikumsorientierung bedeutet ein am Publikum ausgerichtetes Handeln des Orchesters. Eine wichtige Voraussetzung der Publikumsorientierung ist, das Publikum und dessen Bedürfnisse zu kennen, um diese nach Maßgabe der orchestereigenen Zielvorgaben erfüllen zu können. Wichtige Werkzeuge dafür sind Publikumsbefragungen und -evaluationen sowie die Analyse von Zuschauerdaten. Diese Werkzeuge werden erst von 19 Prozent bzw. 23 Prozent der Orchester der effektiven Stichprobe systematisch angewendet.
 
 
Nur 11 Prozent der Konzertorchester führen im Sinne eines professionellen Marketings regelmäßig, mindestens alle zwei bis drei Jahre Publikumsbefragungen durch. Immerhin tun dies schon 24 Prozent der Theater/Opernorchester. 24 Prozent der Theater/Opernorchester sowie 22 Prozent der Konzertorchester führen regelmäßig, mindestens alle drei Jahre Publikumsanalysen durch. 
 
Zudem bleibt der Fokus bei ca. 40 Prozent der Befragungen und Analysen auf das gesamte Konzertpublikum beschränkt. Wenn spezielle Teilsegmente der Konzertbesucher:innen analysiert werden, dann vor allem nach dem Kriterium des Vertriebsweges. Denn die im Orchester installierten Ticketingsysteme speichern diese Verkaufs- und Publikumsdaten und machen sie somit auswertbar. Weitere Zielgruppen spielen bis dato eine untergeordnete Rolle, da detailliertere Publikumsdaten oft nicht gesammelt werden.
 
 
Bei der Entwicklung neuer Konzert- und Veranstaltungsformate kommen die Instrumente der Publikumsbefragung und -analyse mit einem mittleren Wert von 2,5 bzw. 2,6 nur nachrangig zum Einsatz. Dabei machen Konzertorchester mit durchschnittlichen Werten von 2,8 bzw. 2,9 von diesen Werkzeugen mehr Gebrauch als Opernorchester. 
 
Zusammenfassung
 
Im Rahmen der empirischen Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass in Orchestern, deren Marketing systematisch arbeitet und als Hauptabteilung installiert ist:
  • eine effizientere Arbeitsweise erreicht wird. Insbesondere werden mehr Veranstaltungen durchgeführt und mehr Konzertbesucher:innen erreicht. Es wird eine höhere Konzertauslastung und eine höhere Einspielquote erzielt, gleichzeitig ist der relative Personalaufwand der gesamten Institution geringer;
  • eine effektivere Arbeitsweise erreicht wird, da eine stärker ausgeprägte Zielpriorisierung und Zielerreichung mit besonders hohen Werten bei den Leistungszielen erfolgt;
  • Marketingstrategien konsequenter umgesetzt werden;
  • der Prozess der Leitbild-, Ziel- und Strategiebestimmung konsequenter vollzogen wird;
  • ein erweitertes Marketingverständnis erreicht wird;
  • das Problem fehlender personeller und finanzieller Ressourcen weniger stark ausgeprägt ist;
  • die Administration/das Marketing mehr Einfluss auf die Marketingplanung ausübt, wobei auch der Einfluss des künstlerischen Personals verstärkt wird;
  • die wahrgenommenen Hinderungsgründe, neue Veranstaltungsangebote und Konzertformate zu entwickeln, insgesamt geringer sind.
Orchester, die ihr Marketing ganzheitlich betreiben, sind demnach insgesamt erfolgreicher und offener für neue Impulse ihrer Anspruchsgruppen. Diese Studie empfehle ich daher allen Kulturmanager:innen, Geschäftsführer:innen, Verwaltungsdirektor:innen, GMD und Intendant:innen, Orchesterdirektor:innen und Marketingfachleuten, die in ihren Kultureinrichtungen und Orchestern mit Marketingaufgaben betraut sind bzw. auf Marketingstrukturen und -entscheidungen Einfluss nehmen können.
 
Literatur
  • Giller, Jan C. (1995): Marketing für Sinfonieorchester. Aachen.
  • Werner-Jensen, Arnold (2015): Die großen deutschen Orchester. Laaber. 
  • Schmidt-Ott, Thomas (1998): Orchesterkrise und Orchestermarketing. Frankfurt am Main.
Der Beitrag erschien zuerst im freien Teil des Kultur Management Network Magazins Nr. 165: "Wege ins Kulturmanagement"

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