16.03.2020

Themenreihe Besucherforschung

Autor*in

Birgit Mandel
ist seit 2019 Leiterin des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und dort Professorin für den Bereich Kultur und Management sowie Kulturvermittlung.
Studie zur Förderung öffentlicher Theater in Deutschland

Hohe Zustimmung, niedriges Interesse

Die Stadt- und Staatstheater gehören zu den am höchsten geförderten Kultureinrichtungen in Deutschland und benötigen deshalb ausreichend Rückhalt. Doch welche Einstellungen zur öffentlichen Förderung und welche Erwartungen an Programme und Aufgaben von Theatern gibt es in der Bevölkerung in Deutschland? Diese Frage hat das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim untersucht.

Themenreihe Besucherforschung

Mit Unterstützung durch ein Meinungsforschungsinstitut hat das Institut eine telefonische Repräsentativbefragung mit 1.000 Personen aus der Grundgesamtheit der deutschsprachigen wahlberechtigten Wohnbevölkerung durchgeführt. Die Befragung ist Bestandteil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Gesamtprojekts "Krisengefüge der Darstellenden Künste" gemeinsam mit dem Institut für Theaterwissenschaften der LMU München
 
In dem Teilprojekt "Strukturwandel der Kulturnachfrage als Auslöser von Anpassungs- und Innovationsprozessen an öffentlichen Stadt- und Staatstheatern" der Universität Hildesheim geht es zum einen um die Frage, wie Theater den Strukturwandel der Kulturnachfrage - u.a. durch veränderte Interessen und Rezeptionsweisen im Zuge von Digitalisierung, Migration und Individualisierung - erfahren und mit welchen Strategien sie darauf reagieren. Zum anderen wird untersucht, wie Theater von Publikum und Bevölkerung wahrgenommen werden. Dies wird durch Fallstudien und Interviews an verschiedenen Theatern sowie durch eine Befragung der Intendant*innen der Stadt- und Staatstheater erhoben. 
 
Legitimation und Interesse
 
Legitimationsprobleme für Theater im Hinblick auf Kulturnachfrage und Wertschätzung in der Bevölkerung können insbesondere dann entstehen, wenn
 
  • nur eine kleine und schrumpfende Minderheit der Bevölkerung Interesse an Theaterangeboten zeigt und sich das kulturelle Interesse zunehmend auf andere Kulturformen richtet;
  • es eine starke soziale Spaltung des Kulturpublikums gibt und Theaterangebote weitgehend nur von einer höher gebildeten und sozial eher besser gestellten Gruppe der Bevölkerung wahrgenommen werden; 
  • Theater im Hinblick auf ihre künstlerischen und gesellschaftlichen Leistungen nicht den Erwartungen des Publikums und der Bevölkerung entsprechen;
  • die Förderungswürdigkeit von Stadt- und Staatstheatern von weiten Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt wird. 
 
Die Befragung ergab zu diesen Hypothesen folgende zentrale Ergebnisse: 
 
Nur ein Drittel der Bevölkerung ist an klassischen Kulturangeboten wie Theater interessiert - überdurchschnittlich Frauen, ältere Menschen, formal hoch Gebildete und Großstadtbewohner*innen. Gefragt nach unterschiedlichen kulturellen Aktivitäten, äußern 33 Prozent der Bevölkerung ein Interesse an klassischen Kulturangeboten einschließlich Theater (Schauspiel, Oper, Klassikkonzerte oder Kunstausstellungen). 
 
Nischen- und Subkultur wie Jazz, Weltmusik, Kunstperformances oder Filmkunst interessiert 24 Prozent der Bevölkerung. Ein gutes Drittel der Bevölkerung (36 Prozent) äußert ein Interesse an popkulturellen Veranstaltungen wie Rock/Popkonzerte oder populären Blockbuster-Filmen. Das stärkste Interesse erfahren mit 40 Prozent Feste und Events in der Umgebung. Das Interesse an primär unterhaltungsorientierten Kulturformen ist also etwas stärker verbreitet als an "ernsten" Kulturformen. 
 
Während sich immerhin 71 Prozent der Bevölkerung für mindestens einer dieser Kulturformen interessieren, also im weitesten Sinne als "Kulturinteressierte" gelten können, kann man 29 Prozent als "Kulturabstinente" bezeichnen, die sich für keine der genannten Kulturformen interessieren. Generell zeigt sich: Wer sich für eine Kulturform interessiert, hat häufig auch ein Interesse an anderen Kulturformen. Umgekehrt gilt: Wer sich nicht für mindestens eine Kulturform interessiert, dem bleiben mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch die anderen verschlossen. 
 
Besuchshäufigkeit
 
Nur 10 Prozent der Bevölkerung können zu den Viel-Besucher*innen gezählt werden (mit vier und mehr Theaterbesuchen), 31 Prozent zu den Gelegenheits-Besucher*innen (1-3 Mal pro Jahr) und 59 Prozent zu den Nicht-Besucher*innen. 
 
In einer Kreuzung der Variablen "Interesse an klassischen Kulturangeboten" und "Besuchshäufigkeit von Theatern" wurde eine Typologie gebildet, nach der etwa 7 Prozent der Bevölkerung zu den "Kern-Besucher*innen" von Theatern gehören und knapp die Hälfte (47 Prozent) zu den "Nie-Besucher*innen". Der Anteil der "Viel-Besucher*innen" nimmt mit dem Bildungsniveau und dem Alter zu. 
 
Außerdem haben Frauen eine höhere Besuchsfrequenz als Männer, die ebenso wie Niedriggebildete deutlich überproportional bei den Nicht-Besucher*innen zu finden sind. Dennoch gehören auch ältere Personen mit einfacher und mittlerer Bildung zu den häufigen Besucher*innen von Theatern, wenngleich mit niedrigeren Anteilen als die Hochgebildeten. Auffällig ist, dass auch bei den höher Gebildeten der jüngeren Generation knapp die Hälfte den Nicht-Besucher*innen sind. Die Altersgruppe 60plus mit höherer Bildung hat hingegen den mit Abstand höchsten Anteil an Viel-Besucher*innen. 
 
Der tendenzielle Rückgang von Interesse an und Nutzung von Theatern bei der jungen Bevölkerung mit hoher Bildung, wie er in Längsschnittbetrachtungen durch Befragungen des Instituts für Demoskopie Allensbach nachgewiesen wurde sowie durch Studien (de Sombre / AWA 2017; Reuband 2018), verweist auf intergenerationelle Verschiebungen im kulturellen Geschmack und Lebensstil. Popkulturelle Veranstaltungen haben in dieser Altersgruppe eine deutlich höhere Bedeutung und es gibt Anzeichen dafür, dass sich dies kaum verändert, wenn diese Generation älter wird. 
 
Besuchshürden und Erwartungen
 
Bei den Gründen für den Nicht-Besuch oder nicht häufigeren Besuch wird "mangelnde Zeit" (36 Prozent) an erster Stelle genannt, erst dann folgt "mangelndes Interesse" (28 Prozent), was ein Zeichen für die soziale Erwünschtheit von Theaterbesuchen sein könnte. Mit Abstand werden an dritter Stelle mit jeweils 12 Prozent Zustimmung "zu teuer" und "begrenzte Auswahl bzw. mangelnde Qualität" als institutionelle Barrieren angeführt. 
 
Befragt nach den Erwartungen an Theater stehen in Bezug auf die Spielplangestaltung auf den ersten Plätzen: "Programme für Kinder und Jugendliche" (89 Prozent), "Programme anbieten, bei denen man lachen kann" (86 Prozent) und "Stücke zeigen, die für jeden verständlich sind" (80 Prozent). 66 Prozent wollen "aktuelle Stücke und künstlerische Experimente", 60 Prozent erwarten "klassische Stücke von wichtigen Autor*innen". Viele wollen sowohl klassische als auch experimentelle Stücke auf dem Spielplan sehen. Der Wunsch nach humorvollen Stücken ist unabhängig von Bildung und Alter hoch. 
 
In Hinblick auf weitere Erwartungen an Theater werden genannt: 
 
  • "Preisgestaltung, die Menschen aus allen sozialen Schichten Teilhabe ermöglicht" (92 Prozent) 
  • "Theater sollte ein Treffpunkt für die breite Bevölkerung der Stadt sein" (73 Prozent) 
  • "Theater sollte gesellschaftliche und politische Diskussionen in der Stadt anstoßen" (57 Prozent). 
  • partizipative Angebote im Sinn von "Selbst Theater spielen" (33 Prozent). Dabei ist auffällig, dass die Jüngeren dies deutlich häufiger erwarten. 
Für die Mehrheit ist es demnach besonders wichtig, dass die Theater durch spezifische Programme für Kinder und Jugendliche sowie durch günstige Preise und humorvolle und verständliche Stücke für eine hohe Zugänglichkeit sorgen. 
 
Öffentliche Förderung
 
Die Bevölkerung stimmt weitgehend darin überein (86 Prozent), dass die Förderung von Stadt- und Staatstheatern auch in Zukunft mindestens in bisheriger Höhe mit Steuergeldern erfolgen oder sogar erhöht werden sollte, darunter auch der Großteil der Nicht-Besucher*innen. Nur 14 Prozent wollen die Förderung kürzen. Auffällig ist, dass die jüngste Altersgruppe der 18bis 39-Jährigen deutlich häufiger für eine Kürzung plädiert als die älteren Generationen. Die Legitimität der Stadt- und Staatstheatern in der Bevölkerung scheint demnach derzeit nicht gefährdet, es deuten sich aber mittel- und längerfristig Legitimitätsrisiken an, die vor allem von der demografischen Entwicklung ausgehen. 
 
Rückschlüsse für die Praxis
 
Obwohl deutlich wurde, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung die öffentlich geförderten Theater nutzt, dass sich ein Großteil persönlich nicht für Theater interessiert und dass deren Publikum eher zu den höhergebildeten und eher älteren Bevölkerungsgruppen gehört, zeichnet sich ein Image von Theater als förderungswürdiger öffentlicher Einrichtung ab. Die hohe Zustimmung weit über den Kreis des Publikums hinaus dafür, die Stadt- und Staatstheater auch zukünftig zu fördern, verweist auf die gesellschaftliche Bedeutung, die den Theatern zugeschrieben wird. Dahinter scheint auch die Erwartung zu stehen, dass Theater über die Produktion von Kunst hinaus soziale und gesellschaftliche Leistungen erbringen sollen. 
 
Der in den Befragungsergebnissen zum Ausdruck kommende Anspruch, dass Theater für alle, unabhängig vom sozialen Status und Bildungsniveau, leicht zugänglich sein sollten, könnte einerseits als Indikator dafür gewertet werden, dass die Bürger*innen Theater als sozial exkludierende Einrichtung wahrnehmen, andererseits als Hinweis darauf, dass die Theater als bedeutsam für die gesamte Bevölkerung betrachtet werden. 
 
Insgesamt sprechen die empirischen Befunde also nicht dafür, dass sich öffentliche Theater aktuell in einer Legitimitätskrise befinden. Dennoch gibt es in den Daten dieser Befragung sowie in den Ergebnissen von vorhandenen Längsschnittschnittbefragungen Hinweise auf eine nachlassende Nachfrage nach Theaterangeboten in der Zukunft: 
 
Für einen wachsenden Anteil auch der höher Gebildeten in den nachwachsenden Generationen gehören die Rezeption von klassischer Kultur (eine Ausnahme bilden Blockbuster-Ausstellungen) und Theaterbesuche nicht mehr selbstverständlich zum Lebensstil (AWA 2017) und es kann im Sinne einer Kohortenabhängigkeit auch nicht von einem automatischen "Hineinwachsen" in die klassische Kultur im Alter ausgegangen werden (Reuband 2018). Viel mehr deuten sich Brüche an, also eine nicht mehr gelingende Weitergabe kultureller Praktiken von einer Generation zur nächsten in Bezug auf die klassischen Kulturformen und insbesondere auf das Theater. Insgesamt zeichnet sich eine Pluralisierung kultureller Interessen und Angebote ab, sodass Theater auf dem Markt kultureller Freizeitangebote zukünftig an Bedeutung verlieren könnten. 
 
Allerdings zeigen die vielfältigen Aktivitäten der Stadt- und Staatstheater, sich für neue, diverse Publikumsgruppen zu öffnen und neue Aufgaben für die Stadtgesellschaft zu übernehmen (von Vermittlungsaktivitäten über Bürgerbühnen bis zur höheren Durchlässigkeit in Führung und Personal), dass diese sich der Notwendigkeit bewusst sind, ihre Programme, Aufgaben und Strukturen an eine veränderte gesellschaftliche und demografische Situation anzupassen. 
 
Fazit
 
Der große Rückhalt in der Bevölkerung für die öffentliche Theaterförderung bietet eine gute Ausgangsbasis dafür, die Stadt- und Staatstheater als zentrale kulturelle Einrichtungen weiter zu entwickeln und ihre Zugänglichkeit und Diversität im Publikum und den Angeboten zu erhöhen, vor allem indem sie für jüngere Generationen relevante Anschlussmöglichkeiten bieten. Öffentliche Zuwendungsgeber und Kulturpolitik können die Theater dabei unterstützen durch spezifische Anreize und Vorgaben in Bezug auf kulturelle Teilhabe. 
 
Zugleich brauchen die Theater die Freiheit, neue Programme, Formate, Kooperationen mit neuen Besuchergruppen und neuen Partnern ausprobieren zu können und sich dabei auch von alten Mustern und bürokratischen Strukturen zu lösen und ihre Organisationskultur verändern zu können. 
 
Die gesamte Studie kann hier heruntergeladen werden: https://hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1011 
 
Referenzen
 
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Prozesse"

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