06.11.2019

Themenreihe Berufsbild

Autor*in

Björn Gebert
studierte mittelalterliche Geschichte und Religionswissenschaft und absolvierte ein Referendariat zum wissenschaftlichen Bibliothekar. Nach Tätigkeiten an der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ist er seit Ende 2018 Abteilungsleiter an der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Zudem ist er Mitbegründer und Herausgeber eines Wissenschaftsblogs zur Mittelalterforschung.
Berufsbilder im Kulturbereich

Abteilungsleitung einer wissenschaftlichen Bibliothek

Die Aufgaben von Bibliotheken gehen heute weit über das Verleihen von Büchern hinaus. Das gilt auch für Forschungs- und Universitätsbibliotheken. Neben Kenntnissen der jeweiligen Fachdisziplin und vor allem der Digitalisierung brauchen hier gerade Führungspositionen auch eine große Portion Kulturmanagement.

Themenreihe Berufsbild

Würdest Du uns deine wichtigsten beruflichen Stationen beschreiben? Welche haben Dich auf besondere Weise geprägt?
 
Intensiv in Berührung mit wissenschaftlichen Bibliotheken kam ich das erste Mal direkt vor dem Studium als Mitarbeiter in einem so genannten "Retrokatalogisierungsprojekt". Dabei ging es um die Überführung der Zettelkataloge einer Bibliothek ins Digitale. Während meines Studiums arbeitete ich dann in der Bibliothek für Geschichte der Freien Universität Berlin und spätestens hier wurde mein Berufswunsch geweckt: wissenschaftlicher Bibliothekar! Doch nach dem Magister wollte ich zunächst forschen und lehren, was ich dann in Frankfurt a.M. und Darmstadt tat. An der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt begann ich anschließend ein Bibliotheksreferendariat, also eine zweijährige Zusatzausbildung für den höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken, die mit einem Master-Fernstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin verbunden war. Im Anschluss hatte ich Projektstellen an meiner Ausbildungsbibliothek und an der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar inne, bis ich Ende 2018 nach Münster auf meine erste unbefristete Stelle wechseln konnte: 21 Jahre nach dem Abitur und 8 Jahre nach meinem Magisterabschluss.
 
Mehr als die anderen Stationen haben mich sicher die Zeit als "Bibliotheks-Hiwi" in Berlin und das Referendariat in Darmstadt geprägt. In Berlin fasste ich den Entschluss, in Darmstadt konnte ich ihn realisieren und die zwischenzeitlichen Zweifel überwinden. Aber auch die anderen Stationen waren prägend und lehrreich, beispielsweise hinterlässt eine Bibliothek wie die Anna Amalia in Weimar einen bleibenden Eindruck. Ich hatte überall überwiegend angenehme Kolleg*innen und fast ausnahmslos auch Vorgesetzte, die mich nach Möglichkeit mit - selbstgewählten - Aufgaben betrauten, die meinem Hintergrund, meinen Interessen und Fähigkeiten am besten entgegenkamen.
 
Welche Aufgaben fallen in Deinen derzeitigen Tätigkeitsbereich? Welche erfüllen Dich dabei mit besonderer Freude?
 
Ich bin Fachreferent und Leiter der Abteilung Geisteswissenschaften 1 (Geschichte, Theologie und Kunst). Als Fachreferent kümmere ich mich hauptsächlich um die wissenschaftlichen Aufgaben wie die Auswahl der anzuschaffenden Literatur aus einer Vielzahl von Quellen und die Verschlagwortung der neuen Bücher oder elektronischen Ressourcen. Der dritte Hauptaufgabenbereich von Fachreferenten - die Vermittlung - umfasst die Beantwortung von fachlichen Anfragen, die Unterstützung von Nutzer*innen bei der Literatursuche oder bei der Bedienung von Datenbanken, aber auch die Kontaktpflege mit den Wissenschaftler*innen an den Fachbereichen. 
 
Als Abteilungsleiter wiederum bin ich für ca. 20 Mitarbeiter*innen verantwortlich, die in verschiedenen Institutsbibliotheken arbeiten und dort alle üblichen bibliothekarischen Dienstleistungen erbringen. Unterstützt von einer Gruppenleiterin besteht meine Aufgabe z.B. darin, sie mit relevanten Informationen von der Bibliotheksleitung zu versorgen, neue Vorgaben zu kommunizieren und mit ihnen umzusetzen, ggf. zwischen Nutzer*innen und Mitarbeiter*innen zu vermitteln, Baumaßnahmen zu begleiten und alle Störungen des Arbeitsalltags "meiner" Mitarbeiter*innen zu beheben. Nicht zuletzt obliegt mir - in Abstimmung mit der Direktion und den betreffenden Mitarbeiter*innen - auch die Personalentwicklung, also die gezielte Förderung mithilfe von Weiterqualifikation oder Aufgabenanpassung.
 
Mir machen all diese Aufgaben große Freude, insbesondere wenn ich Menschen helfen, ein Problem für jemanden lösen kann, seien es Nutzer*innen oder Mitarbeiter*innen. 
 
Welche Aspekte Deiner Ausbildung haben Dir bei Deiner beruflichen Laufbahn am meisten geholfen?
 
Vor dem Studium habe ich eine kaufmännische Ausbildung im Öffentlichen Dienst des Landes Berlin absolviert. Dabei habe ich gelernt, Verwaltungshandeln zu verstehen und - ganz wichtig - mit zehn Fingern auf der Tastatur zu schreiben. Beides sind soft skills, die mir später viel Zeit und Nerven gespart haben. In einem geisteswissenschaftlichen Studium wiederum lernt man analytisch zu denken, Quellen zu finden und - nicht minder wichtig - kritisch zu interpretieren. Und man lernt wissenschaftlich zu schreiben und sich angemessen auszudrücken! Da ich in der glücklichen Lage bin, Fächer zu betreuen, die ich studiert habe, kann ich meine fachwissenschaftlichen Kenntnisse häufig bei der Arbeit nutzen. 
 
Während des Referendariats habe ich dann nicht nur gelernt, wie wissenschaftliche Bibliotheken funktionieren und wer dort wie welche Aufgaben erledigt, sondern auch das Handwerkszeug, das ich als Fachreferent brauche. Als Quereinsteiger hätte ich mir das erst in der Praxis aneignen müssen. Schließlich kenne ich aus meiner Zeit als Student und wissenschaftlicher Mitarbeiter die Bedürfnisse und Erwartungen derer, die nun zu "meinen" Nutzer*innengruppen gehören, sehr gut und kann besser auf sie eingehen.
 
Welche Bereiche haben Dir in Deiner Ausbildung gefehlt und wie hast Du diese Kompetenzen stattdessen erworben?
 
Mitarbeiterführung! Das ist weder ein Inhalt meines Fachstudiums noch des Bibliotheksreferendariats gewesen, wenn man von einer kurzen Schulung in Projektmanagement absieht. Das bibliothekarische Zusatzstudium hat zwar ein bisschen geholfen, aber erste Erfahrungen habe ich erst als Herausgeber des Wissenschaftsblogs gesammelt, das ich 2012 mit zwei Kolleg*innen gegründet habe. Heute sind wir 13 Redakteur*innen und haben uns in der Mediävistik etabliert. Das ist quasi ein kleines, nicht-kommerzielles Unternehmen, das wir zu dritt leiten, obwohl letztlich alles auf der Freiwilligkeit und dem ehrenamtlichen Engagement der Redakteur*innen beruht. Darüber hinaus habe ich eine Fortbildung zur Konfliktkommunikation und -lösung besucht und mein aktueller Arbeitgeber ermöglicht mir die Teilnahme an weiteren Qualifikationsmaßnahmen für diesen Bereich. 
 
Allerdings geht es auch nicht ohne persönliche Grundvoraussetzungen, die man für eine Führungstätigkeit einfach mitbringen muss: Durchsetzungsvermögen, Aufmerksamkeit, Geduld und Einfühlungsvermögen sind ebenso wichtig wie die Fähigkeit, sich präzise und verständlich auszudrücken oder objektiv und neutral zu formulieren. Das sind Fertigkeiten, die einerseits vom Charakter abhängig sind und die andererseits eher das Leben lehrt als eine Ausbildung oder ein Studium. 
 
Wie hat sich Dein Berufsbild in den letzten Jahren verändert? Und wie wird es sich voraussichtlich in den nächsten Jahren entwickeln?
 
Zunehmend digital ist das Bibliothekswesen schon vor längerer Zeit geworden. Der Anteil elektronischer Ressourcen ist heute aber wesentlich höher als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Viele Wissenschaftsverlage bieten ihre Bücher und Zeitschriften gedruckt und digital an, für elektronische Medien wird inzwischen weit mehr Geld ausgegeben als für gedruckte. Das liegt aber auch an den teils enorm hohen Kosten für die Lizenzierung von Datenbanken und eJournals. Heutige Fachreferent*innen müssen deshalb sehr stark informationstechnisch versiert sein. Seit einigen Jahren ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines adäquaten und nachhaltigen Forschungsdatenmanagements an den Universitäten, bei den Wissenschaftsförderern und in der Politik gestiegen. Das ist für die Aufdeckung von Plagiatsfällen wichtig, aber auch, weil einmal veröffentlichte Forschungsdaten - wie Formeln, Dokumentationen von Versuchsaufbauten oder Transkriptionen alter Texte oder Tonaufnahmen - für künftige Arbeiten relevant sein können. Die Bedeutung und der Umgang mit Forschungsdaten als eigener Publikationsform dürften also künftig noch steigen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit zwischen Fachwissenschaftler*innen und wissenschaftlichen Bibliothekar*innen auf Augenhöhe von der Antragsstellung über die Projektdurchführung bis zur Evaluierung, denn im Bereich Digital Humanities werden die Spezialist*innen zunehmend in Bibliotheken beschäftigt. 
 
Damit werden auch Erfahrungen im Bereich Wissenschaftskommunikation wichtiger. Schon seit Längerem übernehmen wissenschaftliche Bibliothekar*innen immer weniger klassische Aufgaben des Fachreferats, sondern Tätigkeiten im Management-Bereich. Das sind so genannte Querschnittsaufgaben, z.B. als Projekt-, Abteilungs- oder Standortleiter*innen. Dieser Trend wird sich vermutlich fortsetzen, so dass beispielsweise Personalführungskompetenzen noch wichtiger werden - idealerweise sollte dies also künftig bereits im Referendariat oder Volontariat ausgebildet werden. Ferner nehmen auch transparente und standardisierte Auswahlverfahren für Bewerber*innen zu. 
 
Trotz dieser zusätzlichen managerialen Aufgabenbereiche bleibt es schwierig, als Quereinsteiger in leitende Funktionen einer Universitäts- und/oder Landesbibliothek zu gelangen. In der Regel müssen die Bewerber*innen zumindest nachträglich noch einen Abschluss in Library and Information Science erwerben. Zudem bilden die meisten Länder (außer NRW) nach wie vor über ihren eigenen Bedarf hinaus aus, sodass klassische Bibliothekar*innen auch künftig bessere Chancen haben. In Spezialbibliotheken sind Direktor*innenstellen hingegen mitunter mit einer Professur verbunden, so dass hier oft Kandidat*innen ohne bibliothekarischen Hintergrund zum Zug kommen - aber nur mit den entsprechenden wissenschaftlichen Qualifikationen.
 
Gab es Situationen in Deiner Karriere, in denen Du das Gefühl hattest, das Ziel nicht mehr zu erreichen? Welchen Rat kannst Du jungen Kulturmanager*innen in solchen Situationen mit auf den Weg geben?
 
Sicher, immer mal wieder. Prekäre befristete Beschäftigungsverhältnisse sind im Hochschulkontext leider Alltag, auch wenn es im Bibliothekswesen nicht ganz so schlimm ist. Und wenn die Arbeitsbedingungen in einem konkreten Job unbefriedigend sind, zweifelt man schnell am Sinn des Weges, den man beschritten hat. Das Wichtigste scheint mir zu sein, dass man entweder hinter den eigenen Entscheidungen steht - schließlich hat man sie aus guten Gründen getroffen - oder den Mut hat, eine neue Entscheidung zu treffen, wenn die Zeit dafür gekommen zu sein scheint. Es hilft nicht, lange in Agonie zu verharren oder eine getroffene Entscheidung untätig zu bedauern statt aktiv eine Lösung zu suchen. Manchmal hilft es auch, sich das große Ziel immer wieder vor Augen zu führen, um eine Durststrecke zu überstehen. Das gilt insbesondere für temporäre Ausbildungs- und Qualifizierungssituationen wie Referendariate oder Volontariate, die einem nach einem abgeschlossenen Studium oder gar einer Promotion zeitweilig sinnbefreit oder trostlos vorkommen können, zumal das Einkommen in dieser Phase oft niedrig ist und es Situationen geben kann, in denen man sich nicht anerkannt oder unterfordert fühlt. Die Ausbildung dauert aber nicht ewig, sondern ist endlich. Und die Chancen stehen gut, dass die Arbeitsbedingungen danach besser werden, jedenfalls im Bibliothekswesen. 
 
 

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