15.09.2021

Buchdetails

Kulturpolitik für eine pluralistische Gesellschaft: Überlegungen zu kulturellen Grenzen und Zwischenräumen
von Pähler, Alexander
Verlag: transcript Verlag
Seiten: 264
 

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Autor*in

Lara Bader
studierte Kunst-Medien-Ästhetische Bildung, Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Kunstgeschichte und Museumsmanagement. Nachdem sie als kuratorische Assistenz im Pilotprojekt "Transparentes Museum" an der Hamburger Kunsthalle beschäftigt war, arbeitet sie heute als freie Kunsthistorikerin in Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen des Sammelns und Ausstellens, der Postcolonial Studies, Provenienzforschung, Kunstvermittlung sowie Transdisziplinarität in den Künsten.
 
Buchrezension

Kulturpolitik für eine pluralistische Gesellschaft. Überlegungen zu kulturellen Grenzen und Zwischenräumen

Kollektive Identitäten sind in der Kulturpolitik und Kulturförderung der letzten Jahre ein dominierendes Thema. Welche philosophischen und kulturwissenschaftlichen Konzepte die Basis dafür sind und wie sinnhaft ihre Anwendung ist, fragt das Buch "Kulturpolitik für eine pluralistische Gesellschaft".
 
Spätestens seit 2015, mit dem Anstieg der Zahl der in Deutschland schutzsuchenden Geflüchteten und dem Erstarken rechter und rechtskonservativer Parteien, gibt es kaum eine kulturpolitische Ausschreibung zur Förderung von Kunst, Kultur und ihren Vermittlungsangeboten, die nicht eine Auseinandersetzung mit Themen wie ‚Heimat‘, ‚Identität‘ oder ‚Interkulturalität‘ wünscht. 
 
In seinem 2021 bei Transcript erschienen Buch möchte Alexander Pähler zeigen, warum eine bloße Übertragung dieser gesellschaftlichen Diskurse auf die deutsche Kulturpolitik nicht funktioniert. Er verweist dabei auf die Schwierigkeit der Verwendung operativer Begriffe wie "Heimat", die wie selbstverständlich in den Diskursen verwendet werden, jedoch selten eine nähere Definition oder Einordnung erhalten. Um dieser unhinterfragten Nutzung von Begriffen entgegenzuwirken, setzt der Autor sich ausdrücklich für eine vermehrte und reflektierte Anwendung von Konzepten der Transkulturalität und Hybridität ein. 
 
Theoretische Grundlagen
 
Ausgangspunkt der Untersuchungen sind vor allem öffentliche Debatten im deutschen Feuilleton und in Fachzeitschriften, etwa der Kulturpolitischen Gesellschaft oder des Deutschen Kulturrats. Pähler widmet dabei den verschiedenen Bedeutungen und Lesbarkeiten von kulturpolitischen Begriffen wie "kollektive Identität", "Kultur", "Transkulturalität" oder "Hybridität" einzelne Kapitel und macht darin deutlich, wie sehr deren Verwendung heute und in der Geschichte die Realität der Kulturpolitik jeweils beeinflusst (hat). 
 
So zeigt er auf, dass das kollektive Kulturverständnis nach wie vor von der Vorstellung einer homogenen, abgrenzbaren Nationalidentität geprägt ist, obwohl die Realität in der heutigen globalisierten Welt vollkommen anders aussieht. Nichtsdestotrotz hält auch die Kulturpolitik durch die Verwendung von Begriffen wie "Heimat" oder "Identität" an veralteten Denkweisen fest und höhlt damit die Ambiguitätstoleranz aus. Anstatt Vielfalt zu fördern, wird versucht, künstlich Eindeutigkeit herzustellen, anstatt die Stärke von Uneindeutigkeiten herauszuarbeiten. 
 
Gut begründet lautet die Hauptthese Pählers, dass es vor allem Johann Gottfried Herders Kulturkonzept ist, das bis heute die deutsche Kulturpolitik prägt. Es sei nicht besonders positiv zu bewerten, da es zwar kulturelle Diversität anerkenne, aber dadurch kulturelle Grenzziehungen befeuere, um das ‚Eigene‘ weiterhin stets vom ‚Fremden‘ abgrenzen zu können. Durch das starke Denken in kulturellen Grenzen falle der Herdersche Kulturbegriff relativistisch aus, was nach Meinung des Autors in der heutigen pluralistischen Gesellschaft nicht zeitgemäß, leider aber immer noch Basis der meisten parteipolitischen Konzepte zur Kulturpolitik sei. 
 
Beinahe wie ein Mantra fordert der Autor deshalb als Grundlage kulturpolitischer Entscheidungen Konzepte wie die des Soziologen Dirk Baecker, welche die Kommunikation der Gesellschaft über sich selbst zum Zentrum haben. Pähler setzt sich zudem für die Anwendung eines transkulturell angelegten Konzepts wie dem von Wolfgang Welsch oder dem der Hybridität des postkolonialen Kulturtheoretikers Homi K. Bhabha ein. Dabei steht der Gedanke im Vordergrund, dass sich Kulturen nie ohne die Einflüsse des sogenannten ‚Fremden‘ entwickeln können, sich stattdessen ständig gegenseitig beeinflussen und von Austauschprozessen durchdrungen sind. Kulturelle Vernetzung und Vermischung werde dort nicht als Problem, sondern als wünschenswerter Zustand markiert, wobei zugleich darauf zu achten ist, dass nicht jeder transkulturelle Prozess positiv bewertet werden darf. Gerade in Bezug auf Kolonialismus zeigt sich, dass es auch schlechte Formen der Transkulturalität gibt. Ausschlaggebend ist die gleichberechtigte Wertung aller Akteur*innen nach demokratisch-freiheitlichen Grundrechten.  
 
Praktische Umsetzung
 
Pähler vertritt die Meinung, dass vornehmlich eine solche, transkulturell ausgerichtete Kulturpolitik zu mehr Teilhabe von Menschen mit hybriden Identitäten führen könne und deshalb erklärtes Ziel der heutigen Kulturpolitik sein sollte - auch um Eigenständigkeit gegenüber anderen Politikfeldern zu beweisen. Anstatt den Status von Menschen zwischen verschiedenen Kulturen und Realitäten als einen Makel zu definieren, der ihnen das Zugehörigkeitsgefühl beraube, könne die Anerkennung ihrer Hybridität dazu führen, ihr gesamtgesellschaftliches kulturelles Potenzial anzuerkennen. Anstatt beispielsweise Bilingualität mit Sprachen wie Chinesisch, Französisch oder Englisch positiv zu bewerten, aber mit Sprachen wie Türkisch oder Arabisch als Nachteil zu klassifizieren, sollte grundsätzlich die transkulturelle Kompetenz die positive Basis der Bewertung sein. Nur so lässt sich erzielen, dass die jeweiligen Kulturen Wertschätzung erhalten, eben weil sie als Teil hybrider Identitäten anerkannt werden. 
 
Eng verknüpft mit diesem Ziel ist die von Pähler gewünschte Aufnahme transkultureller, mehrdeutiger Kunstwerke in den schulischen Bildungskanon, was dem Autor zufolge die Akzeptanz transkultureller Identitäten steigern könnte. Die aktuelle Tendenz zu "eindeutigen" Kunstwerken führe zum Entwurf einer klar abgrenzbaren Gesellschaft, anstatt deren Pluralität mit all ihren Ambiguitäten auch in der Kunst abzubilden. Mehrdeutiger Kunst mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, klingt zwar plausibel, welche Kunstwerke dem Autor dabei vorschweben, was er unter dem "allgemeinen Kanon" versteht und wen er als verantwortlich für eine solche "Kanonisierung" sieht, bleibt jedoch in weiten Teilen unklar.
 
Fraglich ist zudem, wie frei eine Kunst ist, die stets dem Anspruch der Mehrdeutigkeit untergeordnet wird. Seine Argumentation führt Pähler ohne praktische Beispiele, sodass die Diskussion teilweise abstrakt wirkt und es bisweilen schwerfällt, den Ausführungen bis ins letzte Detail zu folgen. Plausibel erscheint hingegen seine Forderung, dass ausgebildete Fachleute in den jeweiligen Disziplinen mit der sachgebundenen Urteilsfällung beauftragt werden sollten, da sie die nötigen wissenschaftlichen Verfahren beherrschen. Als Beispiel solcher Bewertungen nennt er die Fördermittelvergabe, aber auch immer wieder die Kanonisierung von Kunstwerken. Offen bleibt, wer diese Fachleute auswählen soll, wer sie kontrolliert und wie sichergestellt wird, dass die ‚Jury‘ möglichst divers und transkulturell sensibilisiert ist. 
 
Aktualität
 
Es hätte wohl kaum einen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung des Buches geben können: Interkulturelle und identitäre Fragestellungen prägen sowohl die aktuellen Debatten rund um den Umgang mit kolonialer Raubkunst und Diversität in Kulturinstitutionen als auch Bewegungen wie den intersektionalen Feminismus, Black Lives Matter oder Fridays for Future und deren Fokus auf Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Macht und fehlende Diversität in Entscheidungsgremien. Da wünscht man sich, mehr Entscheidungsträger*innen würden Pählers Buch lesen. 
 
Fazit
 
Für Leser*innen, die sich einen Überblick über die Transkulturalitäts- und Identitätsdebatten und die ihnen zugrundeliegenden kulturtheoretischen Auseinandersetzungen verschaffen wollen, bietet dieser Band einen guten Einstieg. Entsprechend bieten die theoretischen Einführungen des Autors in die verschiedenen Konzepte vor allem Lesenden mit wenigen Vorkenntnissen einen guten Überblick, verlieren sich teilweise jedoch auch zu sehr in Aneinanderreihungen von Zitaten wichtiger Theoretiker*innen. Hier wäre eine Zusammenfassung in eigenen Worten teilweise zielführender gewesen und hätte über die verschiedenen Kapitel hinweg den vielen auftretenden Wiederholungen entgegengewirkt. 
 
Wer jedoch bereits tiefer in das Thema eingestiegen ist und die Primärtexte kennt, kann stellenweise eine gewisse Tiefe vermissen und wird sich an den sich wiederholenden Argumenten stören, die sich durch das gesamte Buch ziehen. Hier verschenkt der Autor leider Potenzial. Gleiches gilt für den oft fehlenden Praxisbezug und die teilweise willkürlich wirkende Wahl der beschriebenen künstlerischen Beispiele. 
 
Zudem wäre gerade im Zusammenhang eines Textes, der sich so sehr für eine transkulturelle Sensibilität einsetzt, auch eine größere Sensibilität in Sachen gendergerechter Sprache wünschenswert gewesen. 
 
Nichtsdestotrotz liest sich das Buch sehr gut und fasst als eines der ersten breit gefächert und ganzheitlich zusammen, weshalb sich ein systematisches Umdenken zugunsten von Transkulturalität innerhalb der Kulturpolitik lohnt. Erst eine Gesellschaft, welche die Hybridität von Kultur(en) anerkennt, kann sich die nötige Agilität bewahren, um Fragen nach dem Umgang mit kulturellem Erbe und verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen sicher verhandeln zu können. All jenen, die sich selbst eine solche Beweglichkeit im Denken bewahren wollen, sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. 

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