17.06.2020

Buchdetails

Orchestermanagement (2. Auflage)
von Gerald Mertens
Verlag: Springer VS
Seiten: 172
 

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Autor*in

Katja Frecke
studiert aktuell im Fernstudium Management von Kultur- und Non-Profit-Organisationen (MA), nachdem sie bereits jahrelang in unterschiedlichen Kultureinrichtungen tätig war. Sie engagierte sich vorrangig in der lokalen Musikszene. Derzeit arbeitet sie in einem Dachverband für kulturelle Kinder- und Jugendbildung im Bereich der Finanzen und betreut Freiwilligenprojekte.
Buchrezension

Orchestermanagement (2. Auflage)

Wer Orchester managt weiß, dass dieser Job sehr umfassend ist und von Themen von A wie Arbeitsplatz bis Z wie Zielgruppe beeinflusst wird. Um dabei den Überblick zu behalten, hat Gerald Mertens das Berufsfeld detailliert, aber kompakt in der 2. Auflage seines Handbuchs "Orchestermanagement" zusammengefasst, das neben einer Menge an Praxisbeispielen auch persönliche Kritik mit sich bringt.
 
Das Buch "Orchestermanagement" ist in der Reihe "Kunst- und Kulturmanagement", herausgegeben von Andrea Hausmann, 2018 bei Springer VS erschienen. Das Ziel der Reihe ist die Vermittlung von Fachwissen, das schnell aufgenommen und verarbeitet werden soll, hier speziell von Studierenden, Wissenschaftlern und Kunst- und Kulturmanagern, mitunter Quereinsteigern. Das Buch soll dabei vor allem den Mangel einer umfassenden Ausbildung von Orchestermanagern in Deutschland auffangen, indem es praktisches Wissen mit möglichst hohem Erkenntnisgewinn für den Leser vermittelt. Dabei steigt Gerald Mertens mit Basisthemen wie der deutschen Orchesterlandschaft ein, vermittelt die Themen eines typischen Orchesteralltags, erläutert die Finanzierung und das Tarifsystem von Orchestern. Ebenso befasst er sich mit ganzheitlichem Marketing und schließt mit der Rolle und den Kompetenzverteilungen von Intendanten, Chefdirigenten und Orchestermanagern. Jede Theorie wird dazu um aktuelle Praxisbeispiele ergänzt.

Dabei basieren alle Themen auf den zwei Leitfragen: Wie können sich Orchester aus privaten und öffentlichen Mitteln finanzieren? Und wie gelingt eine nachhaltige Publikumsbindung? Den Schwerpunkt setzt der Autor dabei vor allem auf Orchester, die nicht in einen Musiktheaterbetrieb eingebunden sind, sondern eigenständig agieren, wie etwa die Berliner Philharmoniker. In seiner aktualisierten Auflage greift er vor allem die Weiterentwicklung im Marketing und Qualitätsmanagement, die neue Dynamik im Führungsverständnis und die Verjüngung und Internationalisierung von Orchestern auf, die wesentlichen Einfluss auf das Selbstverständnis und die Mission von Orchestern haben.
Desolate Finanzierung   

Gerald Mertens veranschaulicht über alle Kapitel einen wahren Teufelskreis: Gutes Management erfordert qualifiziertes Personal und einen entsprechenden Personalschlüssel, hierfür bedarf es eines ausreichenden Budgets. Die Finanzierungslage ist jedoch genau das Gegenteil, ohne gutes Management können Orchester ihre Produktivität und Einnahmen nicht steigern und sie fallen im Wettbewerb zurück. Die notwendige Professionalisierung, die auf allen Ebenen des Kulturmanagements thematischer Brennpunkt ist, gerät ins Stocken.

Der Autor sieht hier die öffentliche Hand in der Verantwortung, im Speziellen die Kommunen. Dabei greift er die lange bestehende Kritik auf, dass Kultur nur als freiwillige Aufgabe in der Haushaltsordnung vorkommt - ein Problem, das nicht nur die Orchesterlandschaft hat. Er fordert eine gesetzliche Raumordnung, in der sich auch die umliegenden Kommunen an der Finanzierung von kulturellen Einrichtungen verbindlich beteiligen und greift dabei das bislang einzigartige Kulturraumgesetz in Sachsen als Erfolgsbeispiel auf. Hier sind alle Landkreise und Gemeinden zur gemeinsamen Finanzierung der örtlichen Kultureinrichtungen verpflichtet. Weiterhin schlägt Gerald Mertens eine konjunkturunabhängige Finanzierung und eine Überarbeitung der Regelungen vor, die wirtschaftliches Handeln im Zuwendungsrecht derzeit benachteiligen.

Orchester als Gesamtkunstwerk

Im zweiten Teil des Buches verdeutlicht Mertens eindrücklich, an welchen sensiblen Stellschrauben Orchestermanager drehen müssen, um die einzeln ineinandergreifenden Zahnräder weiterhin am Laufen zu halten. Dabei geht es um Marketing als Unternehmensphilosophie, Zufriedenheit und Weiterentwicklungsmöglichkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters, Rollen und Kompetenzen der Schlüsselfiguren und was eigentlich einen guten Spiel- und Konzertplan ausmacht. Nach Mertens Ausführungen hat man vor Augen, wie der Orchestermanager zwischen sozialen, formalen und künstlerischen Befindlichkeiten und Perspektiven taktieren muss. Er muss verschiedene Künstlerpersönlichkeiten in Einklang bringen, dabei den Fokus auf eine hochwertige Produktion legen, ist dabei aber nicht vor externen Eingriffen aus der Kultur- und Finanzpolitik gefeit, die jedoch einen wichtigen Faktor für die notwendige Finanzierung des Orchesterbetriebs ausmacht.

Eigenständige Orchester stehen darüber hinaus vor ganz anderen Herausforderungen, da sie für ihre betriebliche Organisation verantwortlich sind, im Gegensatz zu abhängigen Orchestern, bei denen das Musiktheater jegliche Planung und Verwaltung übernimmt. Nichtsdestotrotz wird der Vergleich zwischen diesen beiden Arten während des gesamten Buchs gezogen. Das ist auch sinnvoll, um die Schwierigkeiten von unabhängigen Orchestern mehr Bedeutung beizumessen.

Unabhängig davon ist die Bandbreite des Managements von Orchestern immens, der Alltag komplex und die Planung an formale Kriterien gebunden. Der Autor geht bei seinen Erörterungen äußerst pragmatisch vom Groben ins Detail und nimmt durch seine auf sich aufbauende Darstellung und Argumentation auch Neulinge in diesem Themengebiet mit. Aber auch Kenner der Orchesterlandschaft kann Gerald Mertens am Lesefluss halten, da er bei all seinen Lösungsansätzen fundierte Beispiele und Vorbilder aus der Praxis erläutert. Spannend ist das Beispiel des Paul Chamber Orchestra aus Minnesota, das einen künstlerischen Planungsbeirat aus Orchestermitgliedern und Mitarbeitern des Managements entwickelt hat und damit durch Partizipation seine künstlerische Qualität verbessern und die Einnahmen steigern konnte. Durch seine ergänzenden Literaturtipps ermöglicht er eine weitergehende Recherche der jeweiligen Themengebiete. Sein persönliches Engagement wird besonders dann deutlich, wenn er Kritik übt, deren Schlüssigkeit dann doch so klar auf der Hand zu liegen scheint. So zum Beispiel das Thema Personal: Personalkosten sind im öffentlichen Haushalt fortwährend unterrepräsentiert, was aber den enormen Personalbedarf der Orchester konterkariert und diese zum Stellenabbau und damit zu einem deutlichen Qualitätsverlust zwingt. Die Politik weiß um das Thema, verändert hat sich bislang jedoch nichts.

Die Leichtigkeit des Buches verliert sich jedoch etwas beim vermeintlichen Lieblingsthema von Gerald Mertens: dem Flächentarifvertrag TVK, der für etwa 80% der öffentlich finanzierten Berufsorchester die Arbeitsbedingungen und Grundlagen der Vergütung regelt. Das eher trockene Thema wird zwar hinsichtlich der mit dem Tarifvertrag verbundenen Probleme im Orchesteralltag aufgewertet und zeigt seine Stärken und Schwächen auf, doch wirkt es im Vergleich zu den übrigen Kapiteln etwas zu detailverliebt. Man mag es ihm aber nicht übelnehmen, da er als Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung arbeitgeberseitig ein besonderes Interesse am TVK hat, der in 2009 nach Arbeitskämpfen neu verhandelt wurde und in seiner Entstehung letztlich einzigartig ist, da er parallel und auf Basis des öffentlichen Tarifvertrages entwickelt wurde. Letztlich zeigt er gut die Stolperstellen des Tarifvertrages auf, der immerhin für einen Großteil der Orchestermitarbeiter praktische Relevanz hat.  Typische Stolperstellen sind die zwingende Nutzung des Vertragsmusters, die Zahlung von monatlichen Tätigkeitszulagen bei zusätzlichen Verpflichtungen, engere Regularien zum Teilzeiteinsatz, die besondere Zählung der Arbeitszeit und die über das reguläre Arbeitsgesetz hinausgehende Probezeit.

Trendwende Klassik

Als "Trendwende Klassik" bezeichnet Gerald Mertens den Aufschwung der Orchesterlandschaft, der durch die Bemühung, bestehendes Publikum zu binden und neue Publikumsschichten zu erreichen, gelungen ist. Im entsprechenden Kapitel verdeutlicht der Autor, wie wichtig ein ganzheitliches Marketing ist, das nicht nur eine Teilaufgabe, sondern ein eigenständiger Platz in der Unternehmensphilosophie sein muss. Als Beispiel hebt er die Bamberger Symphoniker heraus, die sich auf ganz besondere Weise erfolgreich als Marke bewerben. Sie bewerben ihre Wurzeln in Prag und ihre eigene Historie, die letztlich ihr Kernsymbol, den "besonderen böhmischen Klang", entstehen lassen hat. Weiterhin stellt er klar, dass Abonnements keineswegs altmodisch sind, sondern geradezu zur Finanzierung von Orchestern beitragen können. Mertens beschreibt verständlich, wieso nicht nur die Marketingabteilung zur Bewerbung des Orchesters beitragen sollten, sondern alle Mitarbeiter als Markenbotschafter auftreten sollten. Ein einheitliches Erscheinungsbild und Auftreten sowie ausgeprägte Kenntnisse über das Orchester und das Programm durch die den Abend begleitenden Servicekräfte und durch Personal mit Erstkundenkontakt sorgen für besondere Wertschätzung der Kunden und für nachhaltige Publikumsbindung. Er ergänzt damit die typischen "4Ps" des Marketing-Mix durch ein weiteres - People.

Neben den extern gerichteten Marketingaktivitäten legt der Autor aber auch ein besonderes Augenmerk auf die notwendige Professionalisierung im Personalmanagement. Die Besonderheit eines Orchesters ist das künstlerische Zusammenspiel vieler Individuen auf Basis nonverbaler Kommunikation. Um Konflikte nicht entstehen zu lassen, zieht er Beispiele aus regulären Business-Ratgebern heran, wie etwa Job-Rotation in Form von Rollenwechseln im Orchester, Mediation als Strategie der frühen Konfliktbewältigung, das Ernennen von Stimmführen, aber auch die Optimierung von Kommunikationsstrukturen wie etwa Mitarbeitergespräche, monatliche Meetings und Qualifizierungsangebote. Auch hier kann der Autor wieder Vorbilder aus der Orchesterlandschaft benennen, die aufzeigen, dass die Umsetzung von modernen Strategien gelingen kann. Das Orpheus Chamber Orchestra beispielsweise hat eine fest installierte Sitzplatzrotation und die Stimmführer überlassen ihren Platz freiwillig einem anderen Mitglied, um einen Perspektivwechsel zu erfahren, der sich ihre eigene Führung kritisch hinterfragen lässt.

Fazit

Gerald Mertens "Orchestermanagement" ist ideal für all diejenige, die als Quereinsteiger in diese Kultursparte einsteigen wollen, da das Buch Theorie und Praxis einfach und verständlich aufbereitet und direkt zu den wichtigsten Themen leitet. Es lohnt sich aber auch für bereits im Orchestermanagement tätige Mitarbeiter, zum einen als kompakte Wissenssammlung, andererseits gibt es neue Inputs zur notwendigen Professionalisierung der Personal- und Marketingbereiche. Als Goldschatz erweisen sich die zahlreichen Lesetipps am Ende jedes Kapitels und die weiterführenden und stetig aktualisierten Informationen auf der Webseite des Autors. Mit diesem Buch hat Gerald Mertens nicht zuletzt ein unglaublich gutes Marketing für sich selbst und seinen scheinbar endlosen Bestand an Fachwissen betrieben.

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