25.10.2021

Buchdetails

Theaterdisposition: Die Kunst des Kunstermöglichens: ein Leitfaden für Theorie und Praxis (Kunst- und Kulturmanagement)
von Oliver Graf
Verlag: Springer VS
Seiten: 148
 

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Autor*in

Thomas Schmidt
ist Professor für Theater- und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. 
Buchrezension

Theaterdisposition: Die Kunst des Kunstermöglichens

Disposition: Was zunächst technizistisch klingt, bezieht sich am Theater auf die Detailplanung. Mit dieser wird der Spielplan (Programm) in eine operative Feinplanung für den Theaterbetrieb übersetzt, die aus Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagesplänen besteht. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Beide - Spielplan und Disposition - sind zentrale Managementinstrumente am Theater, von denen die Disposition bislang noch zu wenig beleuchtet wurde. Mit seinem Buch "Theaterdisposition" schließt Oliver Graf damit eine wichtige Lücke in der Theatermanagement-Literatur.
 
In seiner Publikation durchdringt Oliver Graf die Disposition - von Theater-Insidern auch kurz Dispo genannt - um seinen Leser*innen dieses Managementinstrument in erster Linie von der rechtlichen und tariflichen Seite nahezubringen. Zugleich möchte er auch die entsprechende Theaterpraxis beleuchten. Erschienen ist das Buch 2020 in der Reihe Kunst- und Kulturmanagement bei Springer VS. Andrea Hausmann sei an dieser Stelle besonders erwähnt, die es sich als Herausgeberin der Reihe seit ca. zehn Jahren zur Aufgabe gemacht hat, gemeinsam mit den engagierten Lektorinnen des Verlages Corinna Mackrodt, Nora Valussi, u. a., Einführungsliteratur in das Kulturmanagement herauszugeben - geschrieben von Praktiker*innen für Praktiker*innen.

Einstieg in die Disposition
 
Entsprechend kann auch Grafs Buch als Einstiegsleitfaden für all jene gesehen werden, die ein unterstützendes Nachschlagewerk für den Arbeitsbereich der Disposition suchen oder diese als Managementinstrument besser durchdringen wollen. Vor allem Mitarbeiter*innen in den Künstlerischen Betriebsbüros und den Personalverwaltungen der Theater, aber auch im rechtlichen Bereich weniger stark ausgebildete Leitungskräfte werden hier schnell wichtige Anhaltspunkte für ihre tägliche Arbeit finden. Dazu gehören die relevanten Gesetzestexte, die aktuellen Tarifverträge, und mögliche Software-Lösungen. Ebenso sind in einem Wörterverzeichnis die aktuell gebräuchlichen Fachausdrücke der Disposition übersichtlich dargestellt. Interessante Antworten von praktizierenden Disponent*innen und Künstlerischen Betriebsdirektor*innen auf spezifische Fragestellungen der Arbeitsprofile ergänzen den Text durch praktisches Hintergrundwissen.
 
Künstlerische Betrachtung wünschenswert

Was ich aufgrund des großen Potentials dieses Themas vermisse, ist die fehlende Ganzheitlichkeit und damit Vollständigkeit in der Darstellung, die sich sehr ausgeprägt auf die technischen, viel zu wenig allerdings auf die künstlerischen Aspekte der Theaterplanung bezieht. Meine nachfolgenden Anmerkungen sollen jedoch die Leistungen des Autors nicht im Mindesten schmälern, sondern vor allem helfen, das große Potential des Buches zu heben und jenen Interessierten weiterführende Aspekte an die Hand geben, die über das Stadium einer ersten Beschäftigung mit tariflichen und rechtlichen Aspekten hinaus, in die Materie eindringen wollen.

Aus meiner Sicht ist es vor allem wichtig, die Disposition und die zugehörigen Prozesse am Theater immer auch künstlerisch zu betrachten. Denn ohne diese sind Disposition oder Theatermanagement nicht denkbar. Der Theaterbetrieb ist ein besonderer Betrieb. Nicht nur, weil sich sein Produkt, das am Ende eines langen Prozesses entsteht, Abend für Abend aufs Neue verflüchtigt - ähnlich wie die Musik im Konzertsaal, aber anders als die Werke der Bildenden Kunst. Dass die Mitarbeiter*innen des Theaters, angefangen bei den Spieler*innen, Musiker*innen und Tänzer*innen auf den Bühnen, oder im Orchestergraben, wie in Technik und Handwerk, allesamt (auch) Künstler*innen sind, macht das Theater zu einem Künstlerischen Betrieb. Überall sickert das Künstlerische natürlich auch in die oft idealtypisierten "rationalen" Instrumente und Prozesse der Planung und Produktion ein. Das Theater kann nur erfolgreich gemanagt werden, wenn die hierfür eingesetzten Instrumente auch als künstlerische betrachtet und eingesetzt werden.

Disposition erfüllt eine Schnittstellenfunktion zwischen Management- und künstlerischen Aufgaben und Prozessen an einem Haus. Es ist das Relais, an dem die künstlerischen Ideen der Leitung und der beteiligten Regisseur*innen in Form der Spielplanung immer wieder aufs Neue in eine machbare, künstlerische Planung übersetzt werden. Wer die Arbeit im Künstlerischen Betriebsbüro eines Theaters kennt, der weiß auch, dass ein vom Intendanten freigegebener, im Haus verteilter und von der PR in einen Monats-Leporello übersetzter Monatsplan morgen schon wieder der "Schnee von gestern" sein kann. Etwa wenn neue Ideen hinzukommen und das Programm umgestellt und ausgebaut wird - was im Theater nicht selten der Fall ist. Hier fließen die vorhandenen künstlerisch-personellen, finanziellen und logistischen Ressourcen ein, so dass eine enge Kopplung zu allen wichtigen Schnittstellen entsteht: zur Geschäftsführung, Intendanz, Ensemble, Assistent*innen und Technische Leitung. Zu dieser Funktion hätte ich gerne ausführlich gelesen, bevor ich in juristische und planerische Details eingeführt werde. Ansonsten bleiben diese für mich als Leser zu abstrakt, zumal sie bei einem Betrieb wie dem Theater mehr Farbe verdient hätten.
Fehlende Einordnung von aktuellen Kontexten und Diskursen

Meine zweite Anmerkung bezieht sich auf die Einordnung in aktuelle Kontexte, mit denen das Buch ein Zeichen hätte setzen sollen. Anstatt die Themenfelder mit Diskursen anzureichern, bezieht Oliver Grafs Buch die neuen Publikationen zu den Themengebieten nicht ein, die seit 2016/17 wie Pilze aus dem publizistischen Humus hervorbrechen. Stattdessen setzt Graf dort auf Vereinfachung, wo Vielfalt und Differenzierung angebracht gewesen wären. Ich erkenne die Notwendigkeit der Abstraktion an, um die Planung aus unterschiedlichen Sichtweisen idealtypisch darzustellen. Aber das Theater vollzieht viele kleine und größere Reformprozesse, indem es die oben genannten kritischen Diskurse reflektiert.

Insbesondere weil wir seit einigen Jahren auch in unserer Theaterlandschaft von asymmetrischer Macht, Machtmissbrauch, Ungerechtigkeit, fehlender Partizipation,  von Intransparenz und Überproduktion sprechen, und mehr Inklusion und Diversität einfordern, hätte das Instrument Disposition stärker kontextualisiert werden können. Disposition heißt, künstlerische Prozesse und Menschen, Künstler*innen und ihre Einsätze zu planen. Gesetze und tarifliche Vorgaben sind sehr wichtige Essenzen. Sie bleiben aber in erster Linie Hilfsinstrumente im Auge der künstlerischen Planung, die zunehmend auf Flexibilisierung drängt, während das Kulturmanagement im Theaterbetrieb eine Rationalität zu spiegeln versucht, die es nicht gibt.

Eine wichtige Zielgruppe - insbesondere in diesen Umbruchszeiten - sind Schauspieler*innen, Sänger*innen, Tänzer*innen und künstlerische Mitarbeiter*innen. Unter ihnen befindet sich auch das gesamte Assistenzpersonal, das nicht selten Tag für Tag, die Wochenenden eingeschlossen, zehn, zwölf oder mehr Stunden arbeitet. Es gilt, sie zu ermuntern und zu stärken im Sinne von Empowerment, und ihnen mit Geschick ein Werkszeug an die Hand zu geben, das ihnen erlaubt, mit ihren Intendanten, Geschäftsführer*innen, Künstlerischen Betriebsdirektor*innen und Disponent*innen auf Augenhöhe sprechen zu können, wenn es um die Einhaltung ihrer Rechte geht. Das Ziel muss es hier sein, dass sie künftig nicht mehr alles hinnehmen, was an nicht erfassten Arbeitszeiten, Erreichbarkeit, Proben an Sonntagen, u.a. verlangt wird. Welche Wege gibt es hier, die Theaterwirklichkeit auch so in der Planung zu spiegeln, dass jede von der Disposition betroffene Person auch ihre und seine Bedürfnisse, z.B. nach Pausen, freien Tagen und nächtlichen Ruhezeiten, gleichermaßen und selbstverständlich berücksichtigen darf, wie die der Musiker*innen im Orchester und der Mitarbeiter*innen von Technik und Verwaltung?

Fazit

Das Buch ist ein guter Aufschlag, um das Thema der Disposition an die bestehende Kulturmanagement-Literatur anzuschließen und damit ein wichtiges Managementinstrument vorzustellen. Viele Informationen zum Thema Disposition sind in diesem Buch zu finden, die Theatermitarbeiter*innen, Student*innen des Kulturmanagements, Theater-Aspirant*innen und Laien helfen, den Theaterbetrieb noch besser zu verstehen. Allerdings fehlen Hinweise, dass es bei jeder Regelung auch eine Sonderregelung gibt - sei es im Arbeitszeitgesetz, wie auch im NV-Bühne für die künstlerisch Beschäftigten. Eine unmittelbare Ansprache dieser Zielgruppe wäre hilfreich und wünschenswert gewesen. So bleibt das Buch zu unpersönlich und verhalten, was das Ausloten der Potentiale des Themas und der Zukunft des Theaters betrifft. Darüber hinaus würden einige praktische Fallbeispiele die formale Strenge des Textes auflockern. Und, nicht zuletzt, fehlen aktuelle Quellen. Insbesondere die Theatermanagementliteratur ist nicht 2012 stehen geblieben, sondern hat sich mit vielen neuen Artikeln und Fachbüchern auch mit Fragen der Theaterplanung, der Spielplanung und Programmgestaltung, der Disposition und angrenzenden Themen auseinandergesetzt. Deren Analyse und Reflexion hätte sicher einige der hier genannten kritischen Aspekte getilgt.

Trotz aller Kritik ist dieses Buch für Studierende im Kulturmanagement, die keine Theatermanagement-Spezialisierung haben, empfehlenswert, um Engpässe des Theaters und dessen betriebliche Arbeitsweise besser kennenzulernen. Das gilt auch für all jene, die ein unterstützendes Nachschlagewerk als Einstieg in den Arbeitsbereich der Disposition suchen. Für alle, die im Theaterbetrieb arbeiten (möchten) - insbesondere im Bereich Produktion, in der Geschäftsführung, im Künstlerischen Betriebs- oder im Intendanzbüro - empfehle ich jedoch begleitende Literatur, die sich ergänzend mit dem Disponieren in künstlerischer Reflexion und im Kontext von Spielplanung und Programmmachen befasst.

Oliver Graf hat einen guten Aufschlag für ein wichtiges Thema gemacht und das Buch als weiteren Baustein zu den Instrumenten des Theatermanagements beigesteuert, das ist anerkennswert.

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