16.09.2007

Autor*in

Pia Friedrich
Zielgruppenanalyse

Seniorentheater

Laut Statistik geben ältere Menschen den Großteil ihres Geldes für Wohnung und Gesundheitspflege aus und nur den geringsten Teil für Bildung, Sport und Kultur. Nur rund 10 Prozent besuchen zumindest einmal pro Monat eine kulturelle Veranstaltung. Obwohl oftmals das grundsätzliche Interesse vorhanden wäre, nehmen das Verlangen nach Kultur und die Häufigkeit der Veranstaltungsbesuche mit zunehmendem Alter ab. Auch wenn manchmal der Eindruck entsteht, die Theater seien ohnedies voll mit älteren Menschen, so liegt die Besuchshäufigkeit dennoch weit unter dem Möglichen.

Zielgruppe Oldies

Nähern wir uns der grauen Gesellschaft? Bewahrheiten sich die Prognosen, so wird bis zum Jahr 2030 weltweit eine Milliarde Menschen über 60 Jahre alt sein. Damit läge der SeniorInnenanteil allein in Österreich bei 33 Prozent, was mehr als doppelt so hoch ist wie noch Mitte des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig wird der Anteil der jungen Menschen zunehmend kleiner. Die heute 60 und 70jährigen unterscheiden sich jedoch frappant von den Menschen gleichen Alters aus der Generation ihrer Eltern und Großeltern.
 
Gestiegene und weiter steigende Lebenserwartung, höhere körperliche und geistige Fitness und weitgehende finanzielle Wohlversorgtheit relativieren den Altersbegriff zunehmend. Das Alter hat sich sozusagen verjüngt. Auch die Einstellungen zum Alter sowie zu Gesellschaft und Konsum verlaufen zum Großteil gegen das Seniorenklischee.
 
Waren in der Geschichte Alter und Armut häufig eng miteinander verknüpft, so stellt sich uns heute ebenfalls ein konträres Bild dar. Die ältere Generation ist anspruchsvoller geworden, hat jedoch auch die Möglichkeiten, diese Ansprüche zu befriedigen, denn sie verfügt in vielen Fällen über Zeit und Geld.
 
Eine Überfülle an Theaterangeboten für Kinder und Jugendliche steht einem vergleichsweise geringen Entgegenkommen mancher Theater für Senioren, das sich zumeist auf Preisreduktionen beschränkt, gegenüber. Das kulturelle Engagement kann mit dem steigenden Altersdurchschnitt in unserer Gesellschaft
nicht Schritt halten.
 
Es gibt Bücher, Veröffentlichungen, Filme, Fernseh- und Radiosendungen eigens für Kinder und Erwachsene: für Alte nicht schrieb Simone de Beauvoir in ihrem Standardwerk Das Alter und seit den 70er Jahren hat sich hier nicht viel geändert.
 
Was sind nun die Gründe der kulturellen Abstinenz älterer grundsätzlich kulturinteressierter Menschen und welche Überlegungen können seitens der Theater angestellt werden um dem entgegenzuwirken?
 

Gesundheitliche Gründe

Rückenschmerzen, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, Schwäche und Müdigkeit, sowie abnehmende Wendigkeit sind häufige Symptome des Alters. Obwohl 6 von 10 über 50 Jährigen ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut bewerten, sind es oftmals körperliche Gründe, warum viele das Theater meiden. Unbequeme Sitzgelegenheiten, zu wenige Pausen während der Vorstellung sowie die schlechte Luft im Theatergebäude und die schlechte Akustik lässt manchen lieber zuhause bleiben und sich einen gemütlichen Fernsehabend machen.
 
Umfragen zeigen, dass die Angst vor körperlichen Beschwerden zumeist größer ist als die tatsächlichen Leiden. Das Gedränge bei Garderobe und Büffet bereitet vielen Sorge, ebenso die langen Wartezeiten bei den Toiletten. Sind die Schauspieler unverständlich leise, oder gibt es zu laute Nebengeräusche oder Hintergrundmusik, so ist es Älteren oft unmöglich, das Stück mitzuverfolgen. Leopold Rosenmayr bringt es auf den Punkt wenn er feststellt, dass die Gesundheit zu einem Herzstück der Kultur, der Bildung und der Sozialpolitik geworden ist. Geist und Leben, in der Philosophie oft als Widersacher angesehen, kommen so in einen neuen Bemühungszusammenhang.
 

Mobilität

Mobilität korreliert naturgemäß mit dem Alter. Sie nimmt mit zunehmenden Jahren deutlich ab. Im Allgemeinen sind Menschen einer höheren Sozialschicht und naturgemäß Personen mit besserem Gesundheitszustand zwar mobiler, doch auch bei ihnen stellt die Anreise zum Theater oft ein Problem dar.
 
Bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind ältere Menschen oft vor Probleme gestellt. Besonders das lange Warten an der Station, das Gedränge, der nicht vorhandene Sitzplatz sowie mangelndes oder schwer verständliches Ansagen der Haltestellen stellen Stressfaktoren für Senioren dar.
 
Bereits der Weg zur nächsten Haltestelle wird oftmals als Gefahr empfunden. Stark befahrene Straßen und zu hohe Fahrgeschwindigkeiten auf der einen Seite, zu schmale Gehwege auf der anderen Seite sind Gründe dafür.
 
Zahlreiche engagierte Seniorenverbände versuchen dem entgegenzutreten, indem sie Busfahrten zu Festspielen oder Theatern organisieren. Diese Angebote werden erfahrungsgemäß sehr gern angenommen, da es nicht nur geselliger ist, gemeinsam hin- und zurückzufahren, sondern den Theaterbesuch auch um einen Stressfaktor verringert.
 

Finanzielle Gründe

Viele der älteren Generation geben an, auf Grund der teuren Eintrittspreise und der Schwierigkeiten, Karten zu bekommen, ihr Kulturinteresse einzuschränken. Ist es bei den sozial Schwächeren tatsächlich das angelnde
Geld, das zur kulturellen Passivität beiträgt?
 
In Österreich ist die Kaufkraft eines 60 Jährigen durchschnittlich dreimal so hoch wie die eines 20 Jährigen. Vielfach sind es die Großeltern, die den Enkelkindern Geld zustecken oder ihren eigenen Kindern finanziell unter die Arme greifen. Im Gegensatz zu dem öffentlichen Transfer durch das pensions- und Sozialversicherungssystem, in dem die Jüngeren zur Sicherung der Alten beitragen, läuft der private Kreislauf in der anderen Richtung, nämlich von den Alten zu den Jungen. Zum überwiegenden Teil kann die Generation
50 plus also ein Leben ohne große finanzielle Sorgen führen.
 
Dennoch geben PensionistInnen durchschnittlich bloß 2,2 Prozent von ihrem Einkommen für Kultur und Unterhaltung aus. Je höher der Bildungsstatus ist, desto höher liegen die Ausgaben für Bildung, Erholung, Freizeit und Sport. Frauen sind generell kulturinteressierter als Männer und geben dementsprechend auch mehr Geld dafür aus. Und das obwohl die Eigenpensionen von Frauen meist niedriger sind als die ihrer männlichen Altersgenossen.
 
Das Argument, sich auf Grund der hohen Eintrittspreise vom kulturellen Angebot fernzuhalten, ist insofern kein wirklich ernstzunehmendes. Auch ist es nicht der Fall, dass die Theater und Festspiele, die Preisreduktionen für Senioren bieten, vermehrt von Älteren besucht werden.
 

Künstlerische & inhaltliche Gründe

Das können Sie sich ja vorstellen! meinte Dr. Hilde Hawlicek, ehemalige Bundesministerin für Unterricht und Kunst, nun Vizepräsidentin des Österreichischen Pensionistenverbands auf meine Frage, welche Stücke und welche Arten von Theater ältere Menschen in erster Linie interessieren würden. Jelineks Bambiland wohl eher nicht! Ist es also doch nicht nur ein Klischee, dass Senioren leichterer Kost wie Operette und Unterhaltungstheater den Vorzug geben?
 
In Gesprächen mit Älteren ist zu bemerken, dass sich das Interesse tatsächlich zumeist auf das kulturelle Angebot beschränkte, das man gemeinhin als für Senioren geeignet bezeichnen würde. Die Vorstände der Seniorenverbände, selbst Senioren, organisieren Operettenabende, weil sie überzeugt sind, dass ihre Mitglieder dies wollen. Sie nehmen an, dass alte Menschen lieber harmlose, unterhaltende Stücke, am besten in historisierender Inszenierung mit romantischer Kulisse sehen möchten, anstatt aufwühlende, schwierige Produktionen.
 
Manchmal hat man das Gefühl, dass sie gar nicht hinterfragen oder nachdenken, was die Mitglieder (oder sie selbst) wirklich sehen möchten; vielleicht wäre das ja etwas ganz anderes als die immergleichen Operetten und Kammerspiele.
 
Die Senioren selbst wiederum scheinen sich bereits damit abgefunden zu haben, dass sie alt sind und frequentieren ein dementsprechend auf ihr Alter zugeschnittenes Angebot nach dem Motto das ist das kulturelle Angebot, das meinem Alter entspricht und für mich gemacht ist. Vielleicht dient dies teilweise auch als Ausrede um sich nicht mehr mit Neuem, Unverständlichem abgeben zu müssen, sondern sich von der (seichten) Unterhaltung einlullen lassen zu dürfen. Man hat es sich schließlich verdient!
 

Themen

Ein Wertewandel, ein empirisch nicht nachweis- und messbarer Begriff, hat sich deutlich in den letzten Jahrzehnten vollzogen. Einstellungsänderungen und Veränderungen der Wertstruktur lassen sich besondern anhand bestimmter heikler Themen wie etwa Sexualität oder Religion feststellen, welche ja in der darstellenden Kunst häufig zum Inhalt gemacht werden.
 
Ein konservativer Normendruck, unter dem viele in der Kindheit zu leiden hatten, prägt für das gesamte Leben. Zwar stößt sich heute niemand mehr an Nacktheit auf der Bühne, doch stellt die pornographische Darstellungen auf der Bühne immer noch für viele Ältere etwas dar, was sich nicht gehört und womit sie auch nicht gern konfrontiert werden. Auch wenn sich die Wertvorstellungen vieler verjüngt haben, so können sie doch mit Sexualität, die auf Jüngere provokant wirken soll, nicht viel anfangen.
 
Ebenso nimmt für viele Ältere Religiosität eine zentrale und wichtige Funktion ein. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft gibt den Alten mehr als den Jungen das Gefühl, nicht allein zu sein. Und auch hier ist die Bindung der Frauen an die Gemeinde stärker als die der Männer. Für 47 Prozent hat sich ihre Beziehung zur Religion mit zunehmendem Alter verstärkt. Aus diesem Grund sind ältere Personen oft skeptisch bei der Thematisierung dieses Inhalts und sehen es nicht gerne, dass dieser auf der Bühne lächerlich gemacht wird.
 

Was können die Theater tun?

All dies führt dazu, dass ein Theaterbesuch bei Älteren viel Aufwand erfordert und somit vielfach etwas Besonderes darstellt. Dazu gehört, sich elegant zu kleiden, die festliche Stimmung, die Atmosphäre sowie gutes Essen vor oder nach der Vorstellung. So ist es auch zu erklären, dass besonders die Sommerfestivals gerne von Senioren besucht werden. Denn auf Grund der temporären Begrenzung des Festivals handelt es sich um etwas Einmaliges, wofür man gerne großen Aufwand treibt.
 
Was können nun die Theater tun, um verstärkt ältere Menschen anzusprechen und vermehrt ein älteres Publikum dazu bewegen zu können, öfter ins Theater zu gehen? Großteils scheitert es bereits daran, dass Pensionisten gar keine Hauptzielgruppe der Marketingverantwortlichen in Theatern sind. Vielmehr ist man um die Jungen bemüht, man möchte das Publikum von morgen aufbauen, die Besucherstruktur verjüngen und meint, die Alten kämen ohnedies von selbst, was leider ein Irrtum ist. Wo es Bemühungen in Richtung Senioren gibt, da beschränken sich diese vielfach auf eine Kartenpreisreduktion. Mit einem Seniorenausweis oder einer 50 plus Card erhält man vergünstigte Tickets, manchmal auf alle Vorstellungen eines Hauses, manchmal nur für bestimmte Produktionen. Einige Theater bieten auch Gruppenermäßigungen, was in vielen Fällen besonders von Senioren genutzt wird und daher hier von Interesse ist. Kooperationen mit Seniorenheimen und vereinen sind leider bislang noch die Ausnahme. Es gibt jedoch Veranstalter wie die Salzburger Festspiele, die Bestellungen von Seniorenheimen bevorzugt behandeln.
 
Oftmals werden auch Vorstellungen mit früheren Beginnzeiten angeboten. Zumeist sind es Seniorenverbände, die mit einer Gruppe Interessierter eine Vorstellung besuchen oder Räumlichkeiten und Infrastruktur eines Theaters mieten um selbst Veranstaltungen durchführen. Es ist festzustellen, dass
der Seniorenanteil bei den Abonnenten höher ist als im normalen Kartenverkauf. Dies mag einerseits daran liegen, dass viele Theater im Abonnement Packages für Ältere anbieten, jedoch darf daraus auch geschlossen werden, dass Senioren lieber im Vorhinein Karten für die gesamte Saison erwerben, anstatt sich kurzfristig um Karten für bestimmte Vorstellungen zu bemühen.
 
Dies sind Entwicklungen, die darauf hinweisen, dass ein Umdenken vielfach bereits stattgefunden hat. Dennoch werden die Theater weiter Voraussetzungen schaffen und sich verstärkt in Richtung Senior- Besucher bemühen müssen um das Publikum von gestern auch heute halten zu können.
 

Altersunabhängiges Theater

Kommunikation und Marketing müssen also den Anforderungen der Älteren angepasst, die Serviceleistungen, die ein Theater bietet, auf die Zielgruppe ausgerichtet sein. Doch inhaltlich betrachtet ist es vielleicht gar nicht so wichtig, die Frage nach Alt oder Jung zu stellen. Vielleicht darf und kann Theater gar nicht für bestimmte Zielgruppen gemacht werden? Vielleicht werden Entscheidungen für und gegen einen Theaterbesuch eher auf Grund von Bildungsvoraussetzungen, auf Grund von Zugehörigkeiten zu Bevölkerungsschichten und dem ökonomischem Status getroffen und sind von finanziellen und gesundheitlichen Voraussetzungen bestimmt, jedoch unabhängig vom Alter?
 
Altern ist ja ein lebenslanger Prozess, das Alter daher keine eigenständige, isolierte Lebensphase, sondern es stellt vielmehr die spätere Phase eines lebenslangen Entwicklungsprozesses dar. So wie Seniorenpolitik Generationenpolitik sein sollte, sollte inhaltlich betrachtet Seniorentheater Generationentheater sein. Für die Zukunft wäre daher zu wünschen, dass wir nicht in einer grauen Gesellschaft leben, sondern vielmehr in einer bunten, wobei jedoch grau ein wichtiges Element in der Palette darstellt.
 
PIA FRIEDRICH studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Musikwissenschaft an der Universität Wien. Berufliche Erfahrungen sammelte sie u.a. beim ORF, in Künstleragenturen sowie bei renommierten Musik- und Festivalbetrieben. Von 2002-2004 absolvierte Pia Friedrich einen Postgradualen Lehrgang für Kulturmanagement am IKM in Wien. Seit März 2007 ist sie Leiterin Marketing und Veranstaltungen bei der Esterházy Privatstiftung.
 

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