14.04.2022

Autor*in

Jan Hochkamer
ist Erziehungswissenschaftler und systemischer Berater. Als Leiter des Instituts für Kulturarbeit und Weiterbildung verknüpft er die Pädagogik und die Kultur in Praxis und Lehre. Mit seinen Erkenntnissen möchte er als Berater einen dynamischen Wandel in der Unternehmensführung vorantreiben.
Jérôme J. Lenzen
mag Überraschungen. Als Kulturvermittler und Kurator versucht er folgerichtig klassische Erwartungen an Kunst mit seinen Formaten in Museen, Offspaces und dem öffentlichen Raum zu enttäuschen. Als Leiter des Kölner Instituts für Kulturarbeit und Weiterbildung unterrichtet er die Fachbereiche Kulturmanagement und Kunstvermittlung.
Karriere im freischaffenden Kulturbetrieb

Den roten Faden herausarbeiten

Damit der (freischaffende) Kulturbetrieb auf aktuelle und zukünftige Veränderungen reagieren kann, müssen vor allem die Kulturarbeiter:innen entsprechend vorbereitet sein. Weiterbildungen sind daher insbesondere für Akteur:innen der Freien Szene essentiell. Wie Bildungseinrichtungen darauf reagieren können, darüber sprechen Jan Hochkamer und Jérôme Lenzen, Co-Geschäftsführer des KIK - Kölner Institut für Kulturarbeit und Weiterbildung, miteinander.
Jan Hochkamer: Als Bildungseinrichtung müssen wir uns jedes Jahr aufs Neue fragen, welche Inhalte wir den Freischaffenden und Fachkräften in Kulturbetrieben mitgeben. Aber besteht ein Unterschied zwischen denjenigen, die in der Freien Szene unterwegs sind und jenen in öffentlichen Einrichtungen?

Jérôme J. Lenzen: Aus meiner Sicht würde ich ganz klar mit Ja antworten. Denn es macht durchaus einen Unterschied, ob wir von einem Opernbetrieb mit 500 Mitarbeiter:innen sprechen, oder einem freien Theater, in dem ein Ensemble-Mitglied zusätzlich auch noch die PR-Arbeit betreut.
 
JH: Was verändert sich konkret, wenn wir bei der Anzahl der Mitarbeitenden eine Null streichen?

JJL: Ob sich bei einer Null schon so viel ändert, würde ich nicht pauschal unterschreiben. Aber wagen wir das Gedankenexperiment und streichen zwei Nullen. Dann haben wir einen Betrieb mit lediglich 5 Mitarbeitenden, für die die zentralen Aufgabenfelder eines Theaterbetriebs bestehen bleiben: Dramaturgie, Regie, Technik, Bühnenbild, Maske, Requisite, Buchhaltung, Marketing, Presse, Vertrieb. Gar nicht so wenig und dabei ist auch das nur ein Teil der Aufgaben. Der Grad an Arbeitsteilung ist in der Freien Szene demnach deutlich geringer und die Anforderungen an Kulturarbeiter:innen entsprechend komplex. Da entstehen schon sehr spannende Allround-Profile, während große Einrichtungen viele verschiedene Spezialist:innen versammeln. 
 
Daher frage ich mich vielmehr: Wo liegen überhaupt die Gemeinsamkeiten?

JH: Ein Theaterbetrieb hat natürlich einige besonders spezifische Eigenheiten: Das Zusammenspiel von Schauspiel, Musik, Bühnenbild, etc.. Aber auch für andere Branchen gibt uns dieses Modell einen Einblick in die Komplexität des Arbeitsfeldes für freischaffende Kulturarbeiter:innen. Ebenso gibt es Trends und Megatrends, mit denen sich Fachkräfte im Kulturmanagement beschäftigen müssen - egal wie sehr sich ihre jeweiligen Einrichtungen in der Größe unterscheiden. Dazu gehören aktuell bedeutsame Themenfelder wie Diversität und Nachhaltigkeit. 
 
Ein Thema, das ich darüber hinaus für immer wichtiger halte, ist New Work; vor allem in etablierten Kulturbetrieben! Lange Arbeitszeiten bei schlechter Bezahlung als Preis für Purpose mag lange Zeit funktioniert haben. Aber der Fachkräftemangel erreicht mittlerweile auch die Kulturbranche. Spätestens mit dem ersten Kind oder dem ersten Rentenbescheid stellen sich Arbeitnehmer:innen dann die Frage: Was kann mir mein:e Arbeitgeber:in eigentlich bieten?

JJL: Eine berechtigte Frage, ganz klar. Und hier sage ich jetzt etwas Überraschendes: Da kann der freie Kulturbetrieb eine ganze Menge bieten, wie etwa die Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung. Durch niedrige Hierarchien und kurze Dienstwege zum Beispiel, aber auch das Einbringen eigener Ideen ist unkomplizierter. Zudem gibt es durchaus bezahlbare Weiterbildungsmöglichkeiten für Akteur:innen der Freien Szene. Gleichzeitig bietet die Arbeit in kleinen Betrieben eine autodidaktische Komponente durch die Herausforderung, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Wenn kein:e Spezialist:in im Büro nebenan sitzt, muss man selbst zum:zur Spezialist:in werden. Für die Entwicklung eines ganzheitlichen Kulturmanagement-Profils kann ich die Arbeit in der Freien Szene wärmstens empfehlen. Als Personalverantwortlicher berücksichtige ich daher gerne diejenigen Bewerber: innen, die freischaffend Verantwortung übernommen haben.
 
JH: Kommen wir nochmal zurück zu den Inhalten. Manche Themen haben durchaus universellen Charakter. An Kenntnissen in Projektmanagement beispielsweise kommt keine Fachkraft vorbei. Aber auch Kreativmethoden wie Design Thinking oder generell eine agile Arbeitsweise gehören zum festen Repertoire unseres Curriculums. Was wäre denn ein Beispiel für ein neueres Themenfeld, mit dem sich Freischaffende und Kulturbetriebe neuerdings auseinandersetzen sollten? 

JJL: Hierzu gehören insbesondere die von Dir erwähnten Megatrends. Wer in der Kultur arbeitet, muss sich mit Diversity beschäftigen. Mit einem antiquierten Verständnis von "Kultur für Alle" von oben kannst Du längst nicht mehr arbeiten. Gesellschaftliche Vielfalt ist schon längst die Gegenwart und diese Vielfalt muss sich selbstverständlich auch in Programm, Publikum und Personal widerspiegeln.
 
Der Kulturbetrieb von heute muss divers sein und der von morgen muss auch nachhaltig sein. Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht nur weniger Müll und Energieverbrauch. Wir müssen Nachhaltigkeit vielmehr ganzheitlich sehen, wozu im Kulturbereich insbesondere ein nachhaltiger Umgang mit Fördermitteln gehört. Das ist allerdings keine Aufgabe, die allein Freischaffende betrifft. Das Zuwendungsrecht spricht zwar von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, aber wenn wir ehrlich sind, wird am Ende doch auch viel Geld aus dem Fenster geworden, damit der Kostenfinanzierungsplan aufgeht. Ich würde mir wünschen, dass mehr Akteur:innen mit Erfahrung in der Freien Szene im Verwaltungsbereich und der Kulturpolitik vertreten sind.
 
JH: Und wo siehst Du unsere Aufgabe?

JJL: Unsere Aufgabe besteht darin, dass wir innerhalb einer diversen Kulturbranche den roten Faden herausarbeiten. Wir müssen aber mehr als nur den kleinsten gemeinsamen Nenner definieren, zugleich geht es auch darum, Entwicklungen zu antizipieren und die Fachkräfte auf Herausforderungen vorzubereiten, die wir heute noch nicht kennen.
 
JH: Hast du da ein konkretes Beispiel?

JJL: Nehmen wir das Thema Marketing. Natürlich können wir vermitteln, was aktuell funktioniert und wie eine Veranstaltung durch die Nutzung bestimmter Tools so beworben werden kann, sodass sie bestenfalls ausverkauft ist. Aber insbesondere Online-Marketing ist schnelllebig. Wir sehen aktuell, dass etablierte Kanäle plötzlich nicht mehr gefragt sind, neue soziale Netzwerke entstehen, die Öffentlichkeit als Kollektivsingular zu pluralen Öffentlichkeiten in Blasenform zerfällt. 

JH: Beispielsweise bei Meta. Mit Facebook erreichen wir nur noch wenige, wer kann heute prognostizieren, wie lange wir mit Instagram noch unsere Zielgruppen erreichen.
 
JJL: Ganz genau. Daher geht es nicht nur darum, das Marketing-Handwerk zu vermitteln, sondern stattdessen lebenslanges Lernen in den Fokus zu nehmen. Wir müssen Kulturarbeiter:innen ausbilden, für die es selbstverständlich ist, permanent dazuzulernen und neuen Entwicklungen gegenüber offen zu sein.
 
JH: Dazu gehört sicherlich auch Erfahrungen nicht nur top-down weiterzugeben. Wenn jüngere Mitarbeitende in eine Einrichtung kommen, bringen sie nicht nur neuen Schwung mit, sondern vor allen Dingen ein anderes Mediennutzungsverhalten.
 
JJL: Richtig. Vorgesetzte tun gut daran, ihren Mitarbeitenden genau zuzuhören, auch wenn diese vielleicht noch nicht die riesige Erfahrung haben.
 
JH: Wir haben jetzt viel über Betriebe gesprochen. Auch wenn diese sehr klein sind, unterscheiden sie sich doch noch einmal wesentlich von Freiberufler:innen. Also gleiche Frage: Was können wir den klassischen Freischaffenden als Bildungseinrichtung mitgeben?

JJL: Zuallererst möchte ich eine Lanze brechen. Selbstständigkeit in der Kulturbranche wurde zuletzt vor allen Dingen mit negativen Entwicklungen assoziiert. Die Corona-Pandemie hat vieles offengelegt und Missstände deutlich erkennbar gemacht. Gleichzeitig bekomme ich im Gespräch mit Selbstständigen auch immer wieder zu hören, wie sehr sie die Vorteile genießen: Freie Einteilung der Arbeitszeiten, sein eigener Chef zu sein, von zu Hause oder aus dem Coworking heraus zu arbeiten. Sicherlich ist eine freischaffende Existenz nichts für jede:n. Aber auch aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es ein spannendes Modell ist.

JH: Neben positiven Aspekten, etwa einer freieren Einteilung der eigenen Zeit, was war als Selbstständiger für Dich besonders schwierig?

JJL: Den Wert der eigenen Arbeit richtig einzuschätzen. Insbesondere nach dem ersten Schritt in die Selbstständigkeit, freut es einen natürlich, wenn spannende Angebote reinkommen. Aber wie berechne ich mein eigenes Honorar, wenn ich unheimlich viel Lust auf das Projekt habe und gleichzeitig Angst, dass meine Forderung als zu hoch abgelehnt werden könnte? Am Ende verkaufen sich viele unter Wert.
JH: Das betrifft sicherlich sowohl Kulturarbeiter:innen in organisatorischer Funktion, als auch diejenigen, die auf der Bühne stehen. Hast Du einen Tipp?
 
JJL: Es gibt die Möglichkeit, sich bei Berufsverbänden über die üblichen Honorarsätze, Mindesthonorar-Empfehlungen, etc. zu informieren. Das gibt einen guten ersten Eindruck. Aber es reicht bei einer Verhandlung nicht aus, nur die Zahlen zu kennen. Am Ende muss die eigene Forderung auch mit Konsequenz eingebracht werden. Hierzu kann eine zuvor festgelegte Strategie helfen. Womit gehe ich in die Verhandlung, was ist meine Untergrenze? Diese Fragen sollten geklärt sein, bevor ich ein Gespräch beginne. Aber auch das kann gelernt werden. Im März werden wir dieses Thema mit einer Bildungsveranstaltung vertiefen. Dazu gibt es bei uns permanent die Möglichkeit einer Gratis-Beratung, solche Formate kenne ich aus verschiedenen Städten. Wer Hilfe braucht, sollte ruhig nach Hilfe fragen.
 
JH: Du sprichst da gerade einen weiteren Punkt an, der für Kulturarbeiter:innen von größter Bedeutung ist: Kommunikation. Verhandlungen führen, Teams moderieren, Feedback geben. All das ist unser tägliches Brot, aber nur die wenigsten haben es von der Pike an gelernt. 
 
JJL: Welche professionellen Ansätze gibt es da?
 
JH: Ach weißt du, auf den Einen möchte ich mich gar nicht festlegen. Prinzipiell gibt es viele Weiterbildungen, aber auch Literatur zu den diversen Ansätzen, die ansprechend aufbereitet und erschwinglich sind. Ich möchte hier bewusst keinen Ansatz hervorheben, da diese sich oft gegenseitig ergänzen und mit den individuellen Lebens- & Arbeitswelten vereinbar sein sollten. Es macht sicherlich Sinn, die eigene Kommunikation zu reflektieren und an ihr zu arbeiten - vor allem, wenn wir uns häufiger missverstanden fühlen oder den Eindruck haben, dass Andere nicht so auf uns reagieren, wie wir beabsichtigt haben. Denn solche Erfahrungen führen früher oder später zu Konflikten, die oft die Arbeit erschweren, da sie meist für das gesamte Team präsent werden. Ist es so weit, kennen die meisten gar nicht mehr den Ursprung des Konflikts, weil dieser sich aus vielen einzelnen Kommunikationsfehlern der unterschiedlichen Protagonist:innen zusammensetzt.    
 
JJL: Das erinnert mich ein wenig an Asterix bei den Korsen. Da wusste auch keiner so richtig, wie der Streit untereinander entstanden ist. Aber das müssen wir nicht vertiefen. Du beschreibst, was ich als Individuum machen kann, um nicht an einen kritischen Punkt zu kommen. Wie kann ich als Teamleitung solche Zustände auflösen? 
 
JH: Am besten antizipierst Du solche Konflikte im Vorfeld und lässt es nicht zu einem solchen Zustand kommen. Hilfreich dafür kann hier ein Einblick in das Feld der systemischen Beratung sein. Eine Weiterbildung in systemischer Beratung empfehle ich gerne. Fehlt dafür die Zeit, oder ist die Situation schon so verfahren, lohnt es sich, eine Beratung von außen ins Haus zu holen. Hier empfehle ich eine Person, die sich auf den Kultursektor spezialisiert hat.
 
JJL: Ganz ohne konkreten Tipp lass ich dich aber nicht aus dem Thema, was kann ich direkt tun, um meine Kommunikation zu reflektieren?
 
JH:  Ganz klar, besorg Dir den Taschenbuchklassiker von Thomas A. Harris "Ich bin o.k. - Du bist o.k.". In dem Buch werden Grundeinstellungen beschrieben, die unser Verhalten im Alltag bestimmen. Das kann uns dabei helfen unser eigenes Verhalten im Umgang mit anderen zu verstehen.
 
JJL: Du selbst hast auch schon viel freischaffend gearbeitet. Gibt es noch etwas, das du ergänzen möchtest?
 
JH: Ich würde gerne noch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit ergänzen, denn ein nachhaltiger Umgang mit Kolleg:innen ist mir ein Anliegen. Mitarbeiter:innen dürfen nicht ausbrennen, oder noch schlimmer von mir als Führungdkraft verbrannt werden. Nur ein achtsamer Umgang mit sich selbst und dem Umfeld, sprich auch mal Pausen machen oder offline sein, kann die Kreativität hochhalten.
 
Dieses Gespräch erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 164: "Freischaffender Kulturbetrieb".

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