30.09.2021

Themenreihe Führung

Autor*in

Berndt Schmidt
ist Intendant, Geschäftsführer und Produzent der Grand Shows und Young Shows des Friedrichstadt-Palastes Berlin. Zuvor war er von 2004 bis 2007 Regional-Geschäftsführer für die beiden Musicalhäuser Apollo- und Palladium-Theater in Stuttgart, die von der Stage Entertainment betrieben werden.
Theater mit Verantwortung

Die Übereinstimmung von Worten und Taten

Auf der Bühne nähern sich Theater oft mit großer Geste den drängenden Fragen unserer Zeit. Aber Verantwortung und Verantwortungsgefühl zeigt sich in der Übereinstimmung von Worten und Taten. Ein Kommentar.

Themenreihe Führung

Gerhart Hauptmanns kapitalismuskritisches Stück "Die Weber" spielen und den Schauspieler*innen Gehälter am Rande der Selbstausbeutung zu zahlen, ist scheinheilig. Verständnis bei #metoo ausdrücken, aber unter dem Deckmantel von Kunstfreiheit manchmal noch despotisches und sexistisches Verhalten von Regisseuren durchgehen lassen, ist verantwortungslos. Vorne auf der Bühne wird Rassismus geächtet und Diversität proklamiert, aber in den Hinterhäusern der Theater? Obwohl wir es könnten (Macht) und sollten (Verantwortung}, sind die meisten Beschäftigten Deutsche mit deutschen Eltern und Großeltern und weißer Haut. Auf den Leitungsebenen auch noch überwiegend männlich. Da dies kein Abbild der Bevölkerung ist, wird man auch hier der Verantwortung nicht gerecht.

Viele Kulturinstitutionen werden vom Staat gefördert, damit sie unabhängig sind und sich auf die Kunst konzentrieren können, nicht auf das blanke Überleben. Diese Freiheit birgt Verantwortung und man muss sie auch nutzen. Nicht zuletzt sollten wir das, was wir auf der Bühne fordern - faire Beschäftigungsbedingungen frei von Sexismus und Rassismus - in unseren eigenen Institutionen umsetzen, denn wir haben dazu die Möglichkeiten, vulgo: Macht. Macht verpflichtet zu einem verantwortungsbewussten Umgang damit. Auch das Nichtausüben von Macht, sprich: Das Nichtausschöpfen von Möglichkeiten, kann verantwortungslos sein.

Die Angst, Verantwortung zu tragen

Warum übernehmen 2020 viele im Kulturbetrieb immer noch nicht wirklich Verantwortung, obwohl sie das müssten und vor allem: auch könnten? Zunächst schwingt im Wort "Verantwortung" viel Positives mit. Aber in Wahrheit ist es, tief in uns, immer noch angstbesetzt. Kein Wunder. Der Begriff Verantwortung hat eine wenig zimperliche Herkunft aus dem Mittelalter. Damals war dies eine Frage der "Verantwürtung" des Angeklagten vor Gericht. Rechtfertigung war damals kein Zuckerschlecken mit Anwalt und Recht auf Schweigen. Wenn man nicht sogleich gestand, wurde der Delinquent einer peinlichen Befragung unterzogen, im Wortsinne der Pein, also unter Folter. Dementsprechend erinnern noch heute Synonyme für die Übernahme von Verantwortung an die damit verbundenen Körper- und Todesstrafen: für etwas geradestehen (Pranger), den Buckel oder Kopf dafür hinhalten (prügeln, hängen, köpfen) oder etwas auf die eigene Kappe nehmen (Schläge).

Das scheint uns noch in den Knochen zu stecken. Zwar würden, wenn man sie fragt, viele Beschäftigte gerne mehr Verantwortung übernehmen, weil das zunächst mit mehr Anerkennung, Freiheiten und weniger Kontrolle einhergeht. Wenn alles gut läuft, sind am Erfolg auch viele beteiligt und reklamieren ihn für sich. Er hat sprichwörtlich viele Mütter und Vater. Wenn bei ausbleibendem Erfolg von Vorgesetzten oder gar Politik und Medien die Frage im Raum steht, ,,wer ist dafür verantwortlich?", dann bricht aber doch eher der kalte Angstschweiß aus, kaum jemand möchte sie über-nehmen, Sündenböcke werden gesucht. An der Spitze wird es dann eng, da ist niemand anderes zum dahinter verstecken. Kurzum: Jenseits großer Sonntagsreden ist das Thema Verantwortung zwiespältig.

Verantwortung zu tragen, muss positiv besetzt sein

Dennoch ist offensichtlich, dass es für das Gemeinwesen und den Kulturbetrieb besser wäre, wenn nicht nur die an der Spitze ihrer Verantwortung gerecht würden, also mutiger wären, sondern auf allen Ebenen mehr Beschäftigte mehr Verantwortung übernehmen wollen und auch dafür einstehen würden, wenn etwas nicht funktioniert oder Fehler passieren.

Welche Voraussetzungen bräuchte es dafür? Der oben skizzierte Sprachgebrauch zeugt noch immer von der Urangst, die mit der Verantwortungsübernahme verbunden ist. Angst vor echten oder befürchteten Konsequenzen ist die größte Bremse. Das muss sich ändern, es muss positiv besetzt sein. Auch Fehler einzugestehen, muss positiv besetzt sein.
Am Friedrichstadt-Palast versuchen wir, eine fehlertolerante Kultur zu leben. Klar, das behaupten viele. Im Ernstfall ist es damit dann nicht weit her. Daher muss im Ensemble das Vertrauen wachsen, dass das nicht Teil einer Sonntagsrede ist. Auch ich mache Fehler oder unterliege Fehlein-schätzungen. Dann stehe ich dazu und entschuldige mich, wo das angebracht ist. Unser Fokus am Haus liegt nicht auf disziplinarischen Konsequenzen, sondern im Bestreben, den Prozess, der zur Fehleinschätzung führte, aufzuarbeiten und zu lernen, wie das nicht wieder passiert. Daher lobe und fördere ich explizit Mitarbeiter*innen, die das Rückgrat haben, die Wahrheit zu sagen und Fehler einzugestehen. Wo ich richtig in die Gänge komme, ist, wenn ich sehe, dass Fehler vertuscht oder verharmlost werden oder versucht wird, die Aufarbeitung (zur künftigen Vermeidung solcher Themen) auszusitzen oder zu boykottieren.

Tatsächlich kann es das eine nicht ohne das andere geben, wenn man es ernst meint und es nicht nur Wohlfühlrhetorik ist: Verantwortung über-nehmen, bedeutet auch, Fehler einzusehen und einzugestehen, also auch eher unangenehme Gespräche auszuhalten und nach Lösungen zu suchen. Wenn aber alle die Möglichkeit haben, Fehleinschätzungen mit einer sauberen Aufklärung und Lernkurve zu bereinigen, dann ist Verantwortungsübernahme nicht per se bedrohlich.

Machtpositionen auszunutzen, ist unverantwortlich

In Kulturorganisationen, die mit Machtdemonstrationen, Angst und expliziten oder impliziten Formen von Drohungen geführt werden, wird kaum ein Klima herrschen, in dem unterhalb "der Despoten" jemand Verantwortung übernehmen will. Zu unberechenbar sind die Konsequenzen. Manche künstlerische Leitungen nehmen gar für sich in Anspruch, dass große Kunst gar nicht geschaffen werden kann ohne eine Form von Druck, Zwang oder Gewalt. Dann wird auf "Vorbilder" wie Rainer Werner Fass-binder verwiesen. Dieser war schwerwiegend psychisch krank und drogenabhängig, er schlug seine Künstler, demütigte und quälte sie, indem er Zigaretten auf ihnen ausdrückte. Ich finde, man kann Fassbinders Filme nur großartig finden, solange man sich nicht mit ihm oder der Entstehungsgeschichte seiner Filme beschäftigt hat. Auf solche Kunst kann die Welt verzichten. Die Freiheit meiner Faust endet, wo die Nase eines Mitmenschen beginnt. Das gilt auch für die Kunstfreiheit.

Wegsehen und Nichtstun ist unverantwortlich

Letztlich übernimmt man im Zweifel an der Spitze einer Einrichtung auch Verantwortung für den Umgang mit Vorgängen, an denen man nicht selbst zugegen oder unmittelbar beteiligt war.

An der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen musste vor einiger Zeit deren damaliger Leiter die Verantwortung für sexistisches Fehlverhalten seines Stellvertreters übernehmen, vor allem deswegen, weil er wohl nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe nicht entschlossen genug zur Aufklärung und künftigen Prävention beigetragen haben soll. "Ich habe nichts getan" ist keine Entschuldigung, sondern Teil des Problems, wenn mangerade handeln müsste. Nichtstun und Wegsehen ist auch unverantwortlich für Verantwortliche. Man darf unangenehmen Situationen und Gesprächen nicht aus dem Weg gehen und man sollte auch bereits sehr niedrigschwellig einsteigen, denn meist kündigen sich spätere gravierende Probleme lange vorher in kleinen Schritten und mit dezenten Vorzeichen an.

Die Parameter, die man zur Beurteilung der Verantwortung heranzieht, basieren in Fällen wie sexueller Diskriminierung oder Rassismus auch auf gesetzlichen Vorgaben. Aber ansonsten ist vieles bei der Beurteilung subjektiv. Was ist künstlerischer Erfolg? Was ist eine erwünschte Unternehmenskultur? Ab wann ist man divers genug? Darüber kann man diskutieren, aber schon die Diskussion schärft das Bewusstsein und verändert den Blick.

Verantwortung beginnt mit Vertrauen

Solche Diskussionen sollten nicht zufällig passieren, man muss sie gezielt führen. Gegenseitigen Respekt kann man nicht von oben verordnen, dieser muss aus der Mitte der Belegschaft kommen.

Am Palast haben wir die "Dialog: Werkstatt - Für einen respektvollen Umgang" ins Leben gerufen, die in Arbeitsgruppen mit Delegierten aus allen Hierarchien, dem Betriebsrat, der Frauenvertreterin und dem Beauftragten für Menschen mit Behinderungen besetzt sind. Wir wollen unserer Verantwortung gerecht werden, aus eigenem Antrieb. Nicht getrieben von Medien und Öffentlichkeit, wenn erstmal das Kind im Brunnen liegt.

Mein Eindruck ist, dass der Palast insgesamt ein freundliches und offenes Haus ist und die meisten von uns sich gegenseitig vertrauen und auch vertrauen können. Aber natürlich können und müssen auch wir noch besser werden wollen. Und überhaupt: Eine belastbare Vertrauenskultur ist kein finaler Zustand, den man erreicht und sich dann anderen Themen zuwendet. Vertrauen ist ein scheues Reh, man muss sich dessen immer wieder aufs Neue würdig erweisen. Das ist, wie auch in jeder privaten Beziehung, eine Daueraufgabe, die auch beim besten Willen mal Höhen und Tiefen erfahren wird. Auf den Höhen darf man sich nicht ausruhen und die Tiefen müssen anspornen, sich wieder an den Aufstieg zu machen.

Der Ansporn ist, dass eine funktionale Vertrauenskultur die Voraussetzung für ein weitverbreitetes Verantwortungsgefühl ist. Ohne ein weitverbreitetes Verantwortungsgefühl auf allen Ebenen kann ein komplexer Organismus wie der Friedrichstadt-Palast gar nicht erfolgreich funktionieren, da er auf Wendigkeit angewiesen ist. Schnell und wendig sind Organisationen aber nur, wenn nicht alles an der Spitze entschieden wird oder entschieden werden muss.
 
Dieser Kommentar erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 156: "Kultur mit Verantwortung".

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