30.10.2019

Themenreihe Besucherforschung

Buchdetails

Kulturpublikumsforschung: Grundlagen und Methoden (Kunst- und Kulturmanagement)
von Patrick Glogner-Pilz
Verlag: Springer VS
Seiten: 140
 

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Autor*in

Frauke Kreis
studierte Literatur- und Kulturtheorie und Kulturmanagement und hat in ihrer Arbeit im Museumsmarketing täglich mit den Bedürfnissen des Kulturpublikums zu tun. 
Buchrezension

Kulturpublikumsforschung. Grundlagen und Methoden

Wollen Kultureinrichtungen ihre Besucher* erreichen, müssen sie wissen, wer diese überhaupt sind und welche Bedürfnisse sie haben. Die Kulturpublikumsforschung ist also ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Aber wie forscht man dazu und wie lernt man dabei sein Publikum kennen? Antworten liefert die Publikation "Kulturpublikumsforschung. Grundlagen und Methoden".

Themenreihe Besucherforschung

 
Dem Konkurrenzkampf um Besucher begegnen
 
Es ist eine pessimistische These, mit der Patrick Glogner-Pilz in sein 2019 bei Springer VS erschienenes Buch einsteigt: Die Förderaktivitäten für öffentliche und öffentlich bezuschusste Kulturinstitutionen gehen zurück und gleichzeitig erhöht sich der Legitimationsdruck gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Darüber hinaus kommt es aufgrund der Vielzahl verschiedenster öffentlicher und kommerzieller Kulturangebote zu einem bislang nicht da gewesenen Konkurrenzkampf um Besucher. Zudem werden die Besucher der klassischen Kultureinrichtungen immer älter und junges Publikum kommt kaum nach, obwohl Kultureinrichtungen sich mit digitalen Formaten stark auf dieses ausrichten. Die Frage nach deren Bedürfnissen gewinnt demnach mehr und mehr an Bedeutung. Die einfach formulierte Lösung des Autors lautet: Publikumsfoschung!  
 
Da diese jedoch auch Herausforderungen birgt, nimmt er den Leser Schritt für Schritt an die Hand und zeigt auf, welche Methode für welches Ergebnis geeignet ist. Er relativiert Erwartungen und ermöglicht einen Überblick, wie Kulturpublikumsforschung funktioniert (und wie nicht). Zudem vermittelt er Kenntnisse, die dem Kulturmanager erlauben, eine Studie beurteilen und selbst auswerten zu können.
 
Grundlagen, Konzeption, Planung
 
Zunächst werden Kernbegriffe, Grundfragen und -probleme geklärt. Der Autor beleuchtet im Besonderen das Publikum als Forschungsobjekt und stellt heraus, wie rückständig die kulturwissenschaftliche und -soziologische Forschung hier ist, vor allem im Vergleich zur publikumsorientierten Aneignungs- und Rezeptionsforschung im Medienbereich. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen quantitativer und qualitativer Kulturpublikumsforschung, die er in den Kapiteln 4 bis 8 in ihren Ausprägungen vorstellt, definiert und bewertet. Er schließt sich dabei der Definition von Böhm-Kaspar an, nach der man bei quantitativem Forschen "einen Zugang zur Realität über die Erfassung von Häufigkeit" und statistisch überprüfbare Hypothesen wählt, um zu einer breiten Datenbasis zu gelangen, die generalisierbare Aussagen zulässt. Er beschreibt quantitative Forschung als linearen Prozess und qualitative Forschung als zirkulär. Bei dieser wird eine flexible Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand angestrebt und Hypothesen auf Basis der ständigen Reflexion der Methodik weiterentwickelt. Qualitative Zugänge kommen bei der Publikumsforschung im Kulturbereich seltener zum Einsatz, obwohl sie vertiefte Einsichten in komplexe Zusammenhänge und Prozesse geben können. Dies ist etwa der Fall in Bezug auf Entscheidungs- und Rezeptionsprozesse von Kulturnutzern oder auf die identitätsstiftende Funktion von Kulturveranstaltungen.
 
Das inhaltlich erste Drittel des Buches dient der Einführung ins Thema und der Vorbereitung einer Kulturpublikumsstudie. Dabei erläutert der Autor Methoden und Vorgehensweisen, stellt mögliche Konzepte, Theorien und Hypothesen vor und ermöglicht die grundsätzliche Einordnung der eigenen Fragen in Schemata und Erhebungsinstrumente. Ihm geht es im Besonderen um die Grundregeln des soziologisch-statistischen Arbeitens und ein Verständnis für Publikumsformen, da dies Einfluss auf forschungsmethodische Entscheidungen haben kann.
 
Methoden: Vom Fragebogen bis zum Experiment
 
Bisher dominiert die klassische Umfrage als Methode die Besucherforschung. Der Autor stellt verschiedene Möglichkeiten vor, eine Umfrage durchzuführen vor, und bewertet die Herangehensweisen. Am häufigsten eingesetzt wird dabei der schriftliche Fragebogen, der es durch kurze Antwortmöglichkeiten, am besten Kreuze, ermöglicht, viele Leute in kurzer Zeit zu befragen. Der Nachteil: Das Publikum lässt sich bei einem Rücklauf von nur ca. 30-40% nicht vollständig abbilden. Zudem werden die schriftlichen Fragebögen oft nicht so ausgefüllt, wie bei der Erstellung gedacht. Bei der digitalisierten Variante spricht man von computergestützter Befragung, die den Einsatz multimedialer Funktionen ermöglicht, jedoch wenig computeraffine Menschen ausschließt. 
 
Soll eine spezielle, klar definierte Teilgruppe untersucht werden, bietet sich die telefonische Befragung an. Diese wird eher selten durchgeführt, da sich die Interviewsituation nur schwer kontrollieren lässt und es wegen des mangelnden Sichtkontakts schwerfällt, Nähe zum Befragten herzustellen. 
 
Qualitative Interviews und Gruppendiskussionen ermöglichen es, tiefer auf bestimmte Aspekte einzugehen, das Gegenüber besser kennenzulernen, nachzufragen und die Untersuchung individueller zu gestalten. Sie schaffen Offenheit und individuelle Erzählungen. Der Aufwand ist zwar höher als bei quantitativen Methoden, jedoch lassen sich aus den Ergebnissen erheblich mehr Informationen ziehen, wenn sich der Interviewer an einige methodisch-technische Aspekte hält. Diese listet der Autor knapp auf und besteht dabei auf die Schaffung vergleichbarer Standards. Auch die Offenheit der Fragen, die Gestaltung der Situation, Protokollierung, Interviewdauer, notwendige intellektuelle und kommunikative Kompetenzen und das Verhältnis der Interviewpartner sind festzulegen. Gruppendiskussionen fördern zudem den direkten Austausch auch unterschiedlicher Meinungen und Milieus. Beide Befragungsformen dienen allerdings nicht dazu, die Masse abzubilden, sondern eher für ein vertieftes Verständnis über wenige Einzelfälle.
 
Obwohl die Methode der Beobachtung in der Kulturpublikumsforschung nicht weit verbreitet ist, widmet der Autor dieser Untersuchungsform ein eigenes Kapitel. Er will damit aufzeigen, dass diese zurückhaltende Methode "ungefärbte" Ergebnisse über das Verhalten von Besuchern in Kultureinrichtungen ermöglicht - zumindest, wenn diese nicht wissen, dass sie beobachtet werden. So lassen sich Reaktionen, Äußerungen, Laufwege und Handlungen ohne Störung des Kulturbesuchs beobachten und aufnehmen. Auch hierbei betont der Glogner-Pilz, wie wichtig ein Konzept und festgelegte Kriterien sind, und führt verschiedene Formen der Beobachtung aus.
 
Ebenso selten kommt in der Kulturpublikumsforschung das Experiment zum Einsatz. Glogner-Pilz ist jedoch der Meinung, dass dessen Ergebnisse wertvoll sein könnten, vor allem wenn es um unbewusste Wahrnehmung geht. Er führt aus, wann von einem Experiment gesprochen werden kann und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, z.B. eine zufällige Zuordnung der Untersuchungsteilnehmer zur Versuchs- und Kontrollgruppe. Außerdem sollte es sich um einen Blindversuch handeln, d.h. die Teilnehmer kennen weder die Untersuchungsfrage noch wissen sie, ob sie zur Versuchs- oder Kontrollgruppe gehören. Die im Buch beschriebenen Experimente zu Wartezeiten und Organisation des Ticketverkaufs in Kinos bzw. der Rezeption der Fernsehserie "Lindenstraße" lehnen sich jedoch eher an die klassische Befragung an, da der Autor keine Brücke zur Kulturpublikumsforschung schlägt und somit die Beispiele eher der Vollständigkeit halber dargestellt wurden.
 
Obwohl jede Befragung im Grunde eine Stichprobe des Gesamtpublikums darstellt, wird die Stichprobenziehung als eigene Kategorie aufgenommen, wobei hier gezielt eine kleine Gruppe herausgegriffen werden soll, die ein verkleinertes Abbild der Gesamtheit des möglichen Publikums darstellt. Die Stichprobe ist im Besonderen dann sinnvoll, wenn finanzielle oder personelle Ressourcen nur eingeschränkt vorhanden sind.
 
Vorbereitungen, Pretest und Auswertung
 
Kapitel 9 und 10 befassen sich mit der Vorbereitung und Auswertung, die zu jeder Erhebung gehört. Unverzichtbar ist dabei der Pretest, bei dem Kollegen, Stammbesucher und Vertrauenspersonen die Befragung (egal welche Form) durchgehen, diskutieren und verbessern. Die verbesserte Version wird dann für eine Testerhebung unter realen Bedingungen verwendet. So können Fragen umformuliert, hinzugefügt oder gestrichen werden. Zur Vorbereitung gehört zudem die Kommunikation innerhalb der Kultureinrichtung und ggf. die Schulung des durchführenden Personals. Anhand der Ausführungen des Autors lässt sich eine einfach nachzuvollziehende Checkliste für die Vorbereitung erstellen und abarbeiten.
 
Das Kapitel zur Auswertung ist sehr mathematisch, da Glogner-Pilz betont, dass auch mit Hilfe von Computerprogrammen (Excel, SPSS oder GrafStat) mathematische Kenntnisse unverzichtbar sind. So erhält der Leser hier einen Crashkurs in Statistik sowie eine Hilfestellung, um anhand von Umfragen Zahlen zu erhalten und diesen einen Wert und damit eine Bedeutung zuzuordnen. Dieses Kapitel ist besonders nützlich, da Tabellen einen Überblick über Studienergebnisse geben und die Zahlen im Einzelnen mit Formeln und den zugrundeliegenden Daten erläutert werden. Der Leser erhält Informationen zur Berechnung eines Mittelwerts, zu absoluten und prozentualen Häufigkeiten, zu Standardabweichung und Ergebnisformulierung. Ebenso wird auf die Auswertung qualitativer Methoden eingegangen. Hierbei gibt der Autor besonders Empfehlungen zur Transkription, Kodierung, Festlegung von Definitionen und stellt im Besonderen die qualitative Inhaltsanalyse vor. Auch hierbei liegt der Fokus auf einer systematischen und nachvollziehbaren Vorgehensweise.
 
Hilfreich, um sich ein differenziertes Bild über Kulturnutzer machen zu können
 
Besonders hilfreich sind die jedes Kapitel begleitenden Fehlerquellen, die die Erhebungsmethode verfälschen oder für eine bestimmte Fragestellung disqualifizieren können. So empfiehlt der Autor Filter- und Kontrollfragen in eine Untersuchung einzubauen, um Bögen mit systematischen Antwortmustern oder nicht fundierten Aussagen aussortieren zu können. Da keine Methode frei von möglichen Fehlerquellen ist, findet keine Bewertung bzw. kein Ranking durch den Autor statt. Seine Einschätzung ermöglicht jedoch, die eigene Aufmerksamkeit auf mögliche Verzerrungen zu schärfen und diese in der Auswertung zu erkennen oder im Idealfall gänzlich zu vermeiden.
 
Der Autor streut reduzierte, leicht verständliche Tabellen und Schemata in den Text, um Zielgruppen, Konzepte und Abläufe zu visualisieren, die als Arbeits- bzw. Entwurfsgrundlagen verwendet werden können. 
 
Eine Antwort auf die Frage, wer das "Kulturpublikum" ausmacht und aus welchen Typen es sich zusammensetzt, gibt das Buch nicht. Aber der Autor nimmt eine Einteilung basierend auf der Art des Konsums einer Kulturveranstaltung vor. Auch hat das Buch nicht den Anspruch, tiefer auf die Weiterverwertung der Ergebnisse einzugehen.
 
Empfehlung für Einsteiger
 
Um sich ein differenzierteres Bild über die Kulturnutzer machen zu können, wird immer öfter der Weg eigener Besucherstudien gegangen, denen jedoch oft die nötige Systematik fehlt. Obwohl es ein breites Interesse an der Publikumsforschung gibt und Kulturinstitutionen vielfältige Aktivitäten in diesem Bereich zeigen, bestehen nach wie vor häufig Berührungsängste bei Studierenden ebenso wie bei Kulturpraktikern, wenn es um eine eingehendere Beschäftigung mit den Methoden der Publikumsforschung geht. Der Autor legt mit "Kulturpublikumsforschung" also ein wichtiges und hilfreiches Buch zur ersten Auseinandersetzung mit Methoden und nützlichen Erkenntnissen aus Theorie und Praxis vor.
 
Das Buch gibt eine leicht verständliche und übersichtliche Einführung in das Thema und ist somit insbesondere für Studierende des Kulturmanagements geeignet sowie für Jobeinsteiger und diejenigen, die sich intensiver mit dem eigenen (potenziellen) Publikum auseinandersetzen möchten. Es liefert genau das, was der Titel verspricht: Grundlagen und Methoden. Damit ist es eine wichtige Stütze, um eine erste Orientierung in diesem Forschungsgebiet zu bekommen. Es werden jedoch keine Studien detailliert ausgeführt, sondern knapp Methoden, deren Nutzen und Fehlerpotenzial vorgestellt. 
 
Angelegt ist das Buch als Komplettablauf mit grundsätzlichen Begriffserklärungen, Ausführung der Methoden bis hin zu Vorbereitung und Auswertung der Ergebnisse. An den Stellen, an denen eine Vertiefung eines bestimmten Themas nicht möglich ist, gibt der Autor direkte Verweise auf weitere ergänzende Publikationen. Darüber hinaus ermöglicht eine umfangreiche Literaturliste den tieferen Einstieg in das Thema der Kulturpublikumsforschung, so dass es in keinem Regal angehender und praktizierender Kulturmarketingleute fehlen sollte. 
 
*Zur besseren Lesbarkeit ist dieser Text mit einer einheitlichen Geschlechtsform geschrieben, die jedes Geschlecht gleichermaßen meint und keine Wertung oder Ausgrenzung vornehmen soll.

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